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Loverboys„Die Opfer werden immer jünger"

Lesezeit 4 Minuten

Der neue Spot des Weißen Rings mit Jimi Blue Ochsenknecht und die Schauspielerin Hanna Binke: Der Spot soll auf die Problematik der sogenannten "Loverboys" aufmerksam machen.

Köln – Indem sie ihnen die große Liebe vorspielen, machen sich Zuhälter junge Mädchen gefügig. Die sogenannte „Loverboy“-Masche war Thema im Schimanski-„Tatort“ am Sonntag. Am Montagabend zeigte „RTL Extra“ den wahren Fall einer Kölner Familie, deren Tochter Opfer eines „Loverboys“ wurde. Wir haben mit einer Expertin gesprochen und sie unter anderem gefragt, wie viele Fälle es in Köln gibt.

Bärbel Kannemann arbeitete über 40 Jahre als Kriminalbeamtin, zuletzt als Kriminalhauptkommissarin. Seit ihrer Pensionierung im Jahr 2009 engagiert sie sich in der Aufklärung über die sogenannte „Loverboy“-Masche. Kannemann ist Gründerin und Vorsitzende des in Berlin ansässigen Vereins „No Loverboys“, der bundesweit betroffenen Mädchen Hilfe anbietet.

Frau Kannemann, 8,2 Millionen Deutsche haben am Sonntag den „Tatort: Loverboy“ gesehen. Sie auch?

Bärbel Kannemann Ja. Ich finde, der Film hat sowohl die „Loverboy“-Opfer als auch die Täter sehr gut getroffen. Das war durchaus realistisch. So etwas passiert nicht in fremden Ländern, sondern auch direkt hier bei uns.

Dass Zuhälter ihre Opfer in sich verliebt machen und somit emotional abhängig, ist nicht neu.

Kannemann Nein, es ist sogar ein uraltes Phänomen. Neu ist, dass die Opfer immer jünger werden und dass der erste Kontakt zu 90% übers Internet zustande kommt. Neu ist auch, dass die betroffenen Mädchen nicht mehr nur aus den unteren sozialen Schichten kommen, sondern aus allen sozialen Schichten.

Wer ist gefährdet?

Kannemann Loverboys suchen in der Regel Mädchen mit wenig Selbstwertgefühl. Mädchen, die im Moment der Kontaktaufnahme in einer schwierigen Lebenssituation stecken. Das kann ein Todesfall in der Familie sein, eine Erkrankung, ein Wohnorts- oder Schulwechsel und man hat noch keine Freunde gefunden. Das kann auch die Trennung der Eltern sein oder Arbeitslosigkeit, ganz einfach eine veränderte Situation. Dann suchen die Mädchen irgendwo anders Bestätigung. Die Aufmerksamkeit, das Zuhören, das Dasein, Gefühle vortäuschen - das ist das Entscheidende, was die Mädchen an die Täter bindet.

Wie viele „Loverboy“-Fälle sind Ihnen in Köln und der Region bekannt?

Kannemann Ich habe weder Zahlen für Köln, noch für Deutschland. Ich glaube, die hat niemand. Man kann nicht mal von einer Dunkelziffer sprechen, weil es kaum ein Hellfeld gibt. Betroffene Mädchen erstatten aus Scham und Angst so gut wie keine Strafanzeigen. Und wenn doch, dann wegen anderer Delikte: Körperverletzung, Freiheitsberaubung, was auch immer. Es gibt kein „Loverboy“-Delikt als solches. Ich kann nur sagen, ich unterstütze seit etwa vier Jahren Betroffene und hatte bundesweit 450 bis 500 Fälle.

Im „Tatort“ stellte sich als Täter eine Mutter heraus, die aus Rache einen Loverboy ermordete. Wie realistisch ist das?

Kannemann In meiner Arbeit erlebe ich sehr unterschiedliche Reaktionen von betroffenen Eltern. Mütter stellen sich meistens die Fragen: Was habe ich falsch gemacht? Hätte ich früher etwas merken müssen? Bei den Vätern kommt schon oft die Reaktion: Wenn ich den Kerl erwische, bringe ich ihn um.

Gibt es in der Realität Fälle von Selbstjustiz?

Kannemann Das kann ich nicht beantworten, weil bei einem Rachemord oft nicht klar ist, dass es um Rache geht. Das ist also schwer zu messen. Genauso wie der Zusammenhang von „Loverboy“-Fällen mit Suizidfällen: Ich bin ganz sicher, dass sich schon Mädchen umgebracht haben, weil sie Opfer eines Loverboys waren. Nur wenn sie vorher nie darüber gesprochen haben, was mit ihnen passiert ist, wird die Verbindung mit diesem Phänomen nicht hergestellt.

Sie engagieren sich seit vier Jahren nicht nur für Opfer, sondern auch dafür, die breite Öffentlichkeit für die „Loverboy“-Masche zu sensibilisieren. Hatte der „Tatort“ vom Sonntag einen spürbaren Effekt für ihre Arbeit?

Kannemann Die Besucherzahlen unserer Seite www.no-loverboys.de sind momentan etwa zweihundertmal so hoch, wie sonst. Es haben sich Opfer bei uns gemeldet, die zum ersten Mal Ansprechpartner gesucht haben. Weil sie zum ersten Mal gemerkt haben: Es betrifft nicht nur mich, ich bin nicht allein.

Was bietet ihr Verein „No Loverboys“ betroffenen Mädchen an?

Kannemann Ich biete eigentlich erst mal gar nichts an. Wenn jemand auf uns zukommt, sage ich, dass wir Zeit haben, dass wir reden können. Dass wir gerne Fragen beantworten und dass man alles fragen kann und sich für nichts schämen muss. Wenn das Mädchen dazu bereit ist, versuchen wir, ein Rundum-Paket anzubieten. Dafür vermitteln wir auch an Fachkräfte. Wir arbeiten mit Jugendämtern, Kinder- und Jugendpsychiatrien zusammen. Mit Hilfsorganisationen, die Schutzwohnungen anbieten. Wir vermitteln an Entzugshelfer, denn die Mädchen sind häufig drogen- und alkoholabhängig. Allein schafft es kein Mädchen da raus.

Das Gespräch führte Alexandra Spürk

Der Verein „No Loverboys“ hat gerade eine Informationskampagne mit den Schauspielern Jimi Blue Ochsenknecht, Anneke Kim Sarnau und Hanna Binke gestartet. Einen Spot mit den Darstellern und weitere Informationen gibt es auf der Seite www.no-loverboys.de .