Polizei und Feuerwehr haben oft keine Kapazitäten, an Einsatzstellen Schaulustige anzusprechen und zu belangen.
Trotz harter StrafenZahl der Gaffer in NRW nimmt zu – Kölner Feuerwehrchef fordert klarere Regeln

Schaulustige fotografieren eine Unfallstelle auf einer Autobahn in Bayern.
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Manchmal verschlägt es selbst gestandenen Feuerwehrkräften nur noch die Sprache. Ein Einsatz im April. Auf der Subbelrather Straße in Ehrenfeld reanimieren Mitarbeiter des Rettungsdienstes ein verunglücktes Kind. Ein Autofahrer sieht das. Er hält an, zückt sein Handy und filmt die Szene. Die Rettungskräfte fragen ihn, was er da macht. „Er antwortete, das würde er heute Nachmittag seinen Kindern zeigen“, schildert Kölns Feuerwehrchef Christian Miller. Erst nach energischer Aufforderung durch die Einsatzkräfte sei der Mann weitergefahren.
Ein weiteres Beispiel: Bis heute erinnert man sich bei der Feuerwehr an einen Einsatz vor vier Jahren in Mülheim. Auf der Holweider Straße brannte eine Wohnung. Zwölf Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, konnte die Feuerwehr durch das verrauchte Treppenhaus ins Freie retten. Jede Sekunde zählte. Doch zunächst verstrich wertvolle Zeit, weil Dutzende Schaulustige auf der Straße standen und den Löschfahrzeugen den Weg versperrten. Nur langsam und nach mehrmaliger Aufforderung war es den Einsatzkräften schließlich gelungen, bis zum brennenden Haus vorzufahren.
Gaffer: Bei Filmen und Fotografieren droht Gefängnis
Aus Sicht der Kölner Polizei sind Gaffer „ein anhaltendes Problem“, berichtet Sprecher Christoph Gilles. „Insbesondere bei schweren Verkehrsunfällen oder Bränden treten sie regelmäßig auf.“ Auch eine Gesetzesverschärfung vor sechs Jahren scheint nichts daran geändert zu haben. Seitdem drohen Schaulustigen bis zu zwei Jahre Gefängnis, wenn sie etwa an Einsatzstellen Tote oder Verletzte filmen – und zwar unabhängig davon, ob sie das Material veröffentlichen. Wer Polizei und Rettungskräfte behindert und sich auch nach Aufforderung nicht entfernt, muss mit einem Bußgeld von 20 bis 1000 Euro rechnen. Die Zahlen steigen dennoch weiter.
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Schaulustige fotografieren bei einem Rettungseinsatz mit der Handykamera. (Symbolfoto)
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Laut NRW-Innenministerium wurden 2022 landesweit insgesamt 2691 Verfahren gegen Gaffer eingeleitet, 2023 waren es 2728 und im Vorjahr bereits 2880. Das Dunkelfeld ist enorm, denn längst nicht jeder Gaffer und jede Gafferin wird auch belangt. „Sich am Leid anderer zu ergötzen, ist abstoßend“, sagt Minister Reul. „Wer so handelt, tritt Mitgefühl und Menschenwürde mit Füßen.“ Er fordert daher: „Null Toleranz für Gaffer.“
Das Problem: Feuerwehr und Polizei fehlt im Einsatz oft schlicht das Personal, um Schaulustige anzusprechen, ihre Daten aufzunehmen und ihr Verhalten zu ahnden. Die rechtlichen Voraussetzungen gebe es zwar, sagt Kölns Feuerwehrchef Christian Miller. Aber: „Es scheitert in der Regel an den Kapazitäten, sie anzuwenden.“ Feuerwehr und Rettungsdienst seien an den Einsatzstellen mit der Rettung von Personen oder Tieren und dem Absichern der Einsatzstellen beschäftigt, die Polizei sichere Beweise und übernehme die Verkehrsführung. Miller: „Es bleibt die Frage, wer kann und soll die Aufgabe übernehmen, gegen Gaffer vorzugehen?“ Er wünscht sich in dieser Hinsicht eine „eindeutigere“ gesetzliche Regelung.
Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hieß es dazu am Freitag aus dem Innenministerium: Die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen stellten eine Straftat dar, und deren Verfolgung sei Aufgabe der Polizei. Bei Unfällen sei aber auch klar, „dass die oberste Priorität der Polizei auf der Absicherung der Unfallstelle, der Beweisaufnahme und der Durchführung von Verkehrsmaßnahmen liege“.
Köln: Erhöhte Unfallgefahr durch Schaulustige
Die Polizei Köln betont, sie verfolge Gaffer „konsequent auf Grundlage des geltenden Rechts“. Aber hinter vorgehaltener Hand hört man auch hier, man könne unmöglich zu jedem Einsatz zwei oder drei zusätzliche Streifenwagenbesatzungen schicken, die Schaulustige identifizieren, ihr Verhalten dokumentieren und ahnden. Hinzu kommt: Nicht selten reagieren Gaffer auf eine Ansprache der Polizei aggressiv. „Dann hast du neben dem ursprünglichen Einsatz plötzlich noch einen Widerstand und brauchst noch mehr Unterstützung“, berichtet ein Beamter.

En Polizist filmt in Ratingen auf der A3 bei einem schweren Unfall auf der Gegenspur vorbeifahrende Autos, um eventuelle Gaffer zu identifizieren.
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Der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, Karl-Heinz Banse, forderte zuletzt, die Strafen weiter zu verschärfen und Gaffern im Zweifel den Führerschein zu entziehen. Denn vor allem auf Autobahnen kann ihr Verhalten lebensgefährlich sein. „Für uns ist es zum Alltag geworden, dass sich bei Autobahneinsätzen auf der Gegenspur direkt ein Stau bildet, mit dem ein hohes Unfallrisiko einhergeht“, sagt Feuerwehrchef Miller. Aber auch bei Einsätzen in der Innenstadt erhöhe sich das Unfallrisiko, wenn Passanten, Radfahrer und andere Verkehrsteilnehmer langsamer würden „oder sogar stehenbleiben, um bloß nichts zu verpassen“. Auch Einsatzkräfte würden gefährdet, weil Autofahrer abgelenkt und unachtsam seien, ergänzt Polizeisprecher Gilles.
Vorerst bleibt Polizei und Feuerwehr offenbar nur der eindringliche Appell an die Vernunft aller: „Respektieren Sie die Arbeit der Einsatzkräfte, halten Sie Abstand und unterlassen Sie Aufnahmen von Personen in Notlagen“, sagt Gilles.
Feuerwehrchef Miller nennt es einen „langen und mühseligen Prozess“, der natürlichen Neugier des Menschen entgegenzuwirken. „Ich setze auf konsequente Aufklärung und Appelle an die Bevölkerung, um zu verdeutlichen: Jede und jeder kann selbst in eine Situation geraten, in der sie oder er auf Hilfe angewiesen ist.“ Und niemand wolle dann in einer solchen Notlage auch noch Opfer von Gaffern werden.