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Forscher über „Köln Check“„Es gibt Großstädte mit einer zufriedeneren Bevölkerung“

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Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts

Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts

Forsa-Chef Manfred Güllner spricht über die Ergebnisse des „Köln-Checks“ und befindet: Die Politik ignoriere die Probleme, die Umfragen offenlegen würden, seit Jahren.

Herr Professor Güllner, in ersten Reaktionen auf den „Köln-Check“ zur Zufriedenheit der Kölner mit dem Leben in ihrer Stadt war davon die Rede, dass sich in einer Millionenstadt die Probleme einer Gesellschaft anders verdichten als in der Fläche, weshalb auch die Urteile der Menschen schärfer ausfielen. Was ist davon zu halten?

Manfred Güllner: Ganz falsch ist das nicht. Es ist aber auch die typische Ausrede einer Politik, die sagt: Die Probleme sind zu komplex, die Krisen zu vielfältig. Und deshalb seien die Städte unregierbar. Aber das ist Quatsch. Erstens haben wir die Kölner immer wieder befragt. Und früher waren sie zufriedener. Zweitens gibt es in Deutschland große Städte mit einer zufriedeneren Bevölkerung. Bei der Klage über die Vermüllung der Stadt hat Köln immer schon einen Spitzenplatz gehabt, und das Problem nimmt zu, weil die Stadt nichts dagegen unternimmt.

Die Verkehrsmisere haben Sie in Ihren Umfragen seit langem als größtes Problem in Köln ausgemacht. Verzweifeln Sie als Demoskop und als alter Kölner an den immer gleichen Ergebnissen?

Ich verzweifle nicht, aber das ärgert. Wir liefern seit Jahren und Jahrzehnten Zahlen, die immer wieder auf dieselben Probleme aufmerksam machen. Aber die Politik ignoriert sie.  Wenn ich in die Gefahr käme, zu verzweifeln, dann nicht an den Umfragen, wohl aber an den Verkehrsplanern, deren Mode-Torheiten sich auf fatale Weise mit der Unfähigkeit der Verwaltung verbunden haben. Eine jahrzehntelange Ideologisierung der Verkehrspolitik in Köln hat den Unmut und den Verdruss immer größer werden lassen. Und das entlädt sich dann an symbolischen Stellen wie zuletzt der „Schilderposse“ um die Neubeschriftung der Hinweistafeln an den Spielplätzen.

Ein Drittel der Kölner sagen, sie erwarteten vom nächsten Stadtrat und auch vom nächsten OB oder der nächsten OB überhaupt keine Besserung. Entspricht dieses Gefühl von Ausweglosigkeit dem, was Sie auch sonst in Umfragen gesagt bekommen?

Generell ist das Vertrauen in die Politik und ihre Lösungskompetenz gesunken. Das war in der Corona-Pandemie anfangs ganz anders. Da schnellten die Vertrauenswerte für die Kanzlerin und die anderen politischen Institutionen nach oben, weil die Menschen das Gefühl hatten: Die Politik kümmert sich um das, was sie in ihrem Alltag wirklich bewegt und ängstigt. Inzwischen haben die Bürger gerade in vielen Städten und Gemeinden den gegenteiligen Eindruck. Und das ist fatal. Ideologische Konflikte sollten allenfalls auf der Ebene der „großen Politik“ ausgetragen werden. Auf kommunaler Ebene geht es um Sachfragen, die gemeinsam gelöst werden sollen.

Die AfD liegt in der Parteipräferenz für die Kommunalwahl in Köln mit 10 Prozent unter dem Landesdurchschnitt von 14 Prozent. Dafür ist der Anteil derer, die angeben, aus Protest AfD zu wählen, mit 48 Prozent deutlich höher als NRW-weit (39 Prozent). Wie ist das zu erklären?

Die AfD-Wähler sind generell verdrossen, oft auch mit sich selbst. Diese Wählergruppe verharrt typischerweise erst im Lager der Nichtwähler, wandert dann zur AfD und übernimmt dann auch deren Positionen. Das ist das Schlimme, dass so aus Protestwählern nach und nach Überzeugungswähler werden, die sich sozusagen an den Inhalten der AfD festkrallen. Man muss seine Wahlentscheidung ja irgendwie rechtfertigen, auch vor sich selbst, und das geschieht in einem Prozess der Angleichung. Wenn das jetzt in Nordrhein-Westfalen auch auf kommunaler Ebene um sich greift, ist das eine ganz gefährliche Entwicklung.

In kritischen Reaktionen auf den „Köln-Check“ wird überlegt, ob solche Umfragen den Unmut nicht potenzieren, indem aus Stimmungen scheinbar griffige Zahlenwerte werden.

Das ist – verzeihen Sie! – Unfug. Wir referieren das, was die Menschen uns sagen, ohne sie in irgendeiner Richtung zu beeinflussen. Ich habe schon in den 1970er Jahren Umfragen in Köln gemacht. Damals sagte eine große Mehrheit der Kölner, die Stadt entwickle sich zu ihrem Vorteil. Das hat sich ins Gegenteil verkehrt. Aber jetzt den Boten für die Botschaft tadeln zu wollen, wäre eine durchsichtige Abwehrstrategie.

Wie erklären Sie es, dass Identitätsmarker wie der Dom oder der Karneval in der Wertschätzung laut Umfrage ganz am Ende rangieren?

Beim Karneval könnte die „Ballermannisierung“ eine Rolle spielen, von der gerade die Kölner selbst genervt sind. Den geringen Wert beim Dom würde ich nicht in erster Linie mit dem erheblichen Ansehensverlust der Kirche in Zusammenhang bringen, denn der Dom ist ja viel mehr als die Kathedrale des Erzbischofs von Köln. Eher gehört der Dom so sehr zum Alltag der Kölner, dass er ihnen nicht als Erstes einfällt, wenn sie gefragt werden, was sie am Leben in Köln schätzen. Für diese These spricht, dass der Dom in bundesweiten Umfragen immer genannt wird, wenn das Stichwort „Köln“ fällt.

Die Oberbürgermeisterin sagt, sie sei eine „Projektionsfläche“ für alles, was in Köln schiefläuft. Ihr werde jede defekte Rolltreppe angelastet. Das ist nicht von der Hand zu weisen, oder?

Ein Stadtoberhaupt ist immer eine Art Projektionsfläche, keine Frage. Aber es gibt eben auch Bürgermeister, die hohes Ansehen genießen. Wir ermitteln ja hin und wieder, wie zufrieden die Bewohner der urbanen Metropolen mit ihren Stadtoberhäuptern sind. Peter Tschentscher in Hamburg hat zum Beispiel hohes Ansehen bei den Hamburgern. Und auch mit dem langjährigen Oberbürgermeister von Nürnberg, Ulrich Maly, waren 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zufrieden. Auch Thomas Kufen in Essen und andere haben recht hohe Zustimmungswerte.

Das Rennen um die Reker-Nachfolge ist nach den Ergebnissen des Köln-Check völlig offen – mit je um die zehn Prozent Wahlabsicht für die Kandidaten von CDU, SPD und Grünen und 40 Prozent, die sagen, sie wollten keinen von ihnen wählen. Ist das zwei Monate vor einer Kommunalwahl normal?

So etwas kommt davon, wenn die Parteien Kandidaten aufstellen, die kaum jemand kennt. Sie haben es wieder alle nicht geschafft, jemanden zu finden, der schon eine gewisse Bekanntheit und Popularität mitbringt. Und da sind wir erneut beim Problemfall Köln. Schon 2020 ist es der viertgrößten Stadt Deutschlands nicht gelungen, starke Persönlichkeiten mit hohem Bekanntheitsgrad für das Amt des Stadtoberhaupts zu interessieren. Und nein, das ist nicht „normal“.

Was ist nun mit den Unentschlossenen? Wie könnten sich die noch für einen Kandidaten, eine Kandidatin gewinnen lassen?

Also … (seufzt) Die drei mit realistischen Chancen auf das Amt müssten die Pessimismus-Schleife unterbrechen und die Zuversicht verbreiten, dass es unter ihrer Führung in Köln besser werden kann.

Wenn das möglich ist…

Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es ist das Einzige, was man den Dreien jetzt noch raten kann. Die Voraussetzung dafür ist im Grunde ganz einfach: Die Ohren öffnen und hören, was die Menschen wirklich bewegt – und sich darum kümmern.