Bildung in KölnDas Erfolgsmodell Gesamtschule feiert Jubiläum

Die Gesamtschule Holweide besteht seit 40 Jahren.
Copyright: Schäfer Lizenz
Chorweiler/Höhenhaus/Holweide – Sie waren die ersten ihrer Art in der Stadt: Gleich drei Gesamtschulen feiern in diesem Jahr Geburtstag. 1975 wurden die Einrichtungen in Chorweiler, Höhenhaus und Holweide gegründet. Eigentlich hätten vor 40 Jahren sogar vier Gesamtschulen eröffnen sollen. „Doch bei der Europaschule in Zollstock dauerte die Bauzeit ein Jahr länger“, sagt Anne Ratzki, erste Schulleiterin der Gesamtschule Holweide.
Die damals neue Schulform hatte als Versuch begonnen. „Es war die Zeit, als geburtenstarke Jahrgänge auf die Gymnasien drängten“, sagt die 78-Jährige. Die waren aber völlig überlastet. Also beschloss der Deutsche Bildungsrat 1965, die Gesamtschule einzuführen. 1968 bekam Köln den Zuschlag für vier der Einrichtungen – von 30 in Nordrhein-Westfalen. „Erst schuf die Stadt 1969 Außenstellen von Gymnasien auf der Grünen Wiese – Holweide war eine Dependance des Thusnelda-Gymnasiums“, erzählt die ehemalige Schulleiterin. Die Schüler lernten in Baracken, neben denen die Gebäude der Gesamtschulen gebaut wurden. Noch heute könne man sehen: Alle Gesamtschulen stehen am Rand der Stadt.
Jüngste Leiterin eines Gymnasiums
Als 1975 die Gymnasien ausliefen, rückten die Gesamtschüler nach, die letzten Gymnasiasten machten 1983 ihr Abitur, die Schulleiter blieben: „Ich war mit 32 Jahren faktisch jüngste Leiterin eines Gymnasiums“, sagt Anne Ratzki. Überhaupt seien die Zeiten verrückt gewesen. Normalerweise habe das Beamtenrecht lange Wartezeiten vorgeschrieben, um Schulleiter zu werden. Die habe sie einfach übersprungen.
Am Samstag, 30. Mai, finden anlässlich des Bestehens große Schulfeste in Chorweiler und Holweide statt. Eine Feier in Höhenhaus folgt im September.
Auf Kölner Stadtgebiet gibt es zwei Gesamtschulen, die älter als 40 Jahre sind – in Rodenkirchen und in Porz. Als sie Anfang der 1970er Jahre gegründet wurden, waren Rodenkirchen und Porz noch eigenständige Städte. (aef)
Heute ist das Erfolgsmodell Gesamtschule aus der Bildungslandschaft der Stadt nicht mehr wegzudenken. Dennoch: Die Anfangsjahre waren schwer. Ratzki: „Das Modell war höchst umstritten.“ Die Leute hätten sich nicht vorstellen können, dass man Kinder mit unterschiedlichen Voraussetzungen gemeinsam unterrichten kann. Oft habe es sogar Diffamierungen gegeben wie „sozialistische Einheitsschule“. Anfang der 1980er Jahre drohte der Gesamtschule gar das Aus. „Die Landesregierung erwägte, den Modellversuch zu beenden“, sagt Georg Steinhausen, der seit 1979 in Höhenhaus lehrt. Im Mai 1981 demonstrierten mehr als 8000 Schüler, Lehrer und Eltern in Düsseldorf – mit Erfolg.
Hinsichtlich des pädagogischen Konzepts waren die neuen Schulen experimentierfreudig. „Wir sind bis an der Grenzen des Erlaubten gegangen“, sagt Ratzki. Holweide und Höhenhaus setzten von Anfang auf längeres gemeinsames Lernen und Teamarbeit – bei Lehrern und Schülern. So bekamen beide Schulen einen Sonderstatus, 1984 beschlossen von der Kultusministerkonferenz: Leistungskurse, ab der siebten Klasse üblich, begannen erst später, die Klassen blieben länger zusammen. Lehrerteams wurden gebildet, die sie sich um je drei Klassen kümmerten. Die Schüler wiederum saßen an Sechsertischen, bunt gemischt nach Talenten und Schwächen. Ratzki: „Diese Gruppen funktionieren gut. Wer in Chemie stark ist, hilft den anderen. Dafür profitiert der wiederum von den Deutschkenntnissen seiner Nachbarn.“ Auf diese Weise sei sogar ein Schüler zum Abitur geführt worden, der zuvor von fünf Schulen geflogen ist. „Der ist jetzt Kulturdezernent in einer Großstadt“, erzählt sie.
Als eine der ersten begann die Gesamtschule Holweide 1985 sogar, behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam zu unterrichten – 30 Jahre später ist Inklusion eines der dominierenden Themen der Schulpolitik.
Unterschiedliches Konzept
Das Konzept der Willy-Brandt-Gesamtschule (WBG) in Höhenhaus unterscheidet sich von der Schwesterschule. Verschiedene Fächer werden in so genanntem Kernunterricht mit dem Klassenlehrer behandelt. „Im Stundenplan steht dann nur noch Kern“, sagt Lehrer Steinhausen. In diesen Stunden gehe es nicht um einzelne Disziplinen. „Beim Thema Römer arbeiten wir gleichzeitig Geschichte, Wirtschaftslehre und Deutsch – es wird ja gelesen – ab“, erläutert er. Erst in der Oberstufe beginne regulärer Fachunterricht. Inklusiven Unterricht biete die WBG seit drei Jahren an.
Die Heinrich-Böll-Gesamtschule in Chorweiler beschritt andere Wege. Hier heißt das Motto „Fordern und Fördern.“ Aus jeweils zwei Klassen werden fünf Fördergruppen gebildet, die sich zwei Stunden pro Woche mit einem Schwerpunktfach wie Deutsch oder Mathematik beschäftigen. „Da sich in der Nachbarschaft Bezirkssportanlage und Fühlinger See befinden, hat bei uns von Anfang der Sport eine besondere Rolle gespielt“, sagt Rüdiger Schmidt, bis vor einem Jahr Schulleiter. Radsport und Rudern haben hier Tradition, viele Schüler betreiben Leistungssport. Die Schule führt die Bezeichnung „Partnerschule des Leistungssports.“ „Wir bekommen zusätzliche Lehrerstunden für Schüler, die wegen des Sports Stunden verpassen. Damit ist für sie Ausgleichsunterricht möglich“, erklärt Schmidt.