Drama in Köln-StammheimZwei Leichen am Rheinufer entdeckt

Mehr als 150 Menschen sammeln sich am Rheinufer in Stammheim.
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Köln-Stammheim – Am Tag nach der wohl größten privaten Suchaktion auf dem Rhein sitzt die Familie des noch immer vermissten Ali Kurt in Stammheim zusammen und berät sich: Wie geht es jetzt weiter? Lohnt eine erneute Suche? Und wenn ja, wo? Die Verwandten sind unschlüssig. Mehr als 100 Kilometer links und rechts des Ufers sind sie mit Freunden des vermutlich ertrunkenen Ali Kurt am Samstag bereits abgegangen, von Köln bis Duisburg, einige suchten sogar in den Niederlanden. Es war zugleich ein Gedenkmarsch. Aber gefunden haben sie ihn nicht. Der 47-Jährige bleibt spurlos verschwunden. „Aber irgendetwas müssen wir tun“, sagt Oktay Ilgaz, der Neffe des Vermissten. „Wir sind unruhig, wir können jetzt nicht einfach zu Hause sitzen und warten.“
Vor neun Tagen war Ali Kurt in Stammheim in Jogginghose und Turnschuhen in den Fluss gesprungen, um zwei Mädchen zu helfen, die ins Wasser gefallen waren. Die Zehnjährige zogen Spaziergänger an Land, die Sechsjährige konnte der mutige Familienvater zunächst retten – sie starb später im Krankenhaus. Ali Kurt aber trieb mit der starken Strömung ab. Seine Familie glaubt nicht, dass er überlebt hat, aber sie möchte Gewissheit, und sie möchte den Leichnam so schnell wie möglich würdig bestatten. „Dann können auch seine Frau und seine drei Kinder endlich abschließen“, sagt Oktay Ilgaz.
Perfekt geplante Suche
Die Suche am Samstag ist bis ins letzte Detail geplant – so perfekt, dass auch Feuerwehr und Polizei staunen. „Es ist sehr beeindruckend, wie gut das hier organisiert ist“, sagt Klaus Frischleder von der Berufsfeuerwehr. „Wir sind hier, um die Familie zu unterstützen.“ Frischleder steht vor einem begehbaren, weißen Zelt, das seine Kollegen am Ufer in Stammheim aufgebaut haben. Es dient den privaten Suchteams als Hauptstützpunkt. Mehr als 150 Familienangehörige und Bekannte von Ali Kurt sind gekommen – aus Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Frankreich und der Schweiz. An einem Baum hängen Fotos und Botschaften an Ali Kurt, davor liegen Blumen und Kerzen.
An einer Zeltwand hängen DIN-A4-Ausdrucke einer Rhein-Kartierung. Die Helfer haben den Fluss in je fünf bis acht Kilometer lange Abschnitte aufgeteilt. Pro Abschnitt sind bis zu zehn Männer und Frauen in zwei Autos zuständig. An einer anderen Wand hängen Zettel mit Verhaltensregeln: „Keine Minderjährigen, keine Gebrechlichen, festes Schuhwerk, immer ein sicherer Abstand zum Rhein“ steht darauf. Wer etwas am Ufer entdeckt, heißt es, solle sofort Feuerwehr oder Polizei benachrichtigen. Auf einem Tisch im Zelt stehen Getränke, Brot und türkisches Gebäck. Die Berufsfeuerwehr hat ein Löschboot geschickt, auch Einsatzkräfte der DLRG suchen in zwei Booten nach der Leiche. Privatleute fahren die Uferbereiche mit Kajaks ab. Ganze Fußballvereine und alevitische Gemeinden zwischen Köln und der Nordsee hätten ihre Unterstützung zugesagt, berichtet Oktay Ilgaz. Der Bund der Alevitischen Jugend in Deutschland (BDAJ) koordiniert die Kommunikation.
Zwei Leichen gefunden
Gegen 13.30 Uhr werden die Helfer in Stammheim plötzlich unruhig: In Höhe der Zoobrücke haben Taucher der Feuerwehr tatsächlich eine Leiche an Land gezogen. Passanten hatten den Körper etwa 200 Meter nördlich der Bastei am linken Rheinufer im Wasser treiben sehen. Laut Polizei handelt es sich aber nicht um Ali Kurt, sondern vermutlich um einen jungen Mann. Seine Familie in Stuttgart hatte ihn als vermisst gemeldet, er sei nach Köln gereist und hätte Suizidabsichten geäußert. Aber noch einmal keimt kurz Hoffnung bei den Suchteams auf: Denn auch in Wesel wird eine Leiche aus dem Rhein gezogen – es ist ein älterer Mann, wieder nicht Ali Kurt.
Am Sonntag vermeldet die Facebook-Seite „Ali Kurt der Held vom Rhein“, die seine Familie gegründet hat, schon mehr als 8000 „Gefällt mir“-Klicks. Die Familie möchte über die Suche hinaus auch eine Diskussion über mehr Sicherheit am Rhein anstoßen, sagt Oktay Ilgaz. „Warum hängt man nicht zum Beispiel alle 500 Meter Rettungsringe am Ufer auf?“ Und sie möchte all jener gedenken, die im Fluss schon ihr Leben gelassen haben. Wie das sechsjährige Mädchen, das Kurt retten wollte. Am heutigen Montag will die Familie des verstorbenen Kindes eine Trauerfeier in Stammheim abhalten. Ali Kurts Ehefrau werde daran teilnehmen, berichet Oktay Ilgaz – auch, wenn es ihr nicht leichtfalle. „Aber sie möchte das unbedingt“, sagt der 30-Jährige, „Ali hätte das ganz sicher so gewollt.“