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Ziemlich beste LeuteChefarzt behandelt wohnungslose und bedürftige Kölner

Lesezeit 4 Minuten
Das Bild zeigt Mark Oette bei seiner ehrenamtlichen Arbeit.

Mark Oette übernimmt ehrenamtlich die ärztlich-notwendigen Maßnahmen, die bedürftigen Menschen im regulären Gesundheitssystem oft verwehrt bleiben.

In Deutschland kann das Gesundheitssystem nicht alle Menschen hinreichend versorgen. Wo Kranke sonst mit ihren Leiden allein gelassen werden, springt Mark Oette ein.

Abklopfen, abhören, diagnostizieren, Wunden behandeln, Medikamente verschreiben, Tacheles reden, aber dabei immer den richtigen Ton treffen – und nebenbei noch anklopfende Patienten mit netten Worten begrüßen: In der kleinen „Caya“-Praxis („Come as you are“-Praxis) in Köln-Mülheim hat Mark Oette ein trubeliges (Arbeits-)leben. Dort behandelt der Mediziner in einem Container auf knapp 20 Quadratmetern seit über drei Jahren sozial benachteiligte, insbesondere wohnungslose und geflüchtete, Menschen – und zwar ehrenamtlich. In unserer Reihe „Ziemlich beste Leute“ stellen wir ihn vor.

61.000 Menschen sind deutschlandweit nicht krankenversichert

Laut Statistischem Bundesamt haben 61.000 Menschen in Deutschland – trotz der gesetzlichen Pflicht dazu – keine Krankenversicherung. Hinzu kommen über eine halbe Million wohnungslose Menschen, die größtenteils zwar im Besitz einer Krankenversicherung sind, wegen ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage aber de facto keine ausreichende Behandlung erhalten. „Es sind Faktoren wie der Aufenthaltsstatus, die Versicherung, eine potenzielle Drogenabhängigkeit oder sogar die Erscheinung, die darüber entscheiden, ob ein Mensch medizinisch richtig versorgt wird. Für sozial benachteiligte Menschen besteht insgesamt eine massive Unterversorgung in Deutschland“, erklärt Oette.

Und auch wenn sie eine Behandlung erhalten, würden sie oft zu früh aus der ärztlichen Aufsicht entlassen. Die Folge dieser Zustände ist nicht selten schlichtweg der frühe Tod. „Im Durchschnitt sterben wohnungslose Menschen im Alter von 47 Jahren. Viele werden nicht einmal 25 Jahre alt“, so Oette. Genau an dieser Stelle springt der 2021 gegründete Caya-Verein, dessen erster Vorsitzender Mark Oette ist, ein.

Das ist er

Mark Oette ist Chefarzt der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie und Infektiologie im Severinsklösterchen. Dort arbeitet der 63-Jährige bereits seit Anfang der 1990er Jahre. Neben seiner 60-Stunden-Woche findet Oette zudem seit über 30 Jahren mehrere Stunden pro Woche Zeit für ehrenamtliches Engagement. Dabei ist die medizinische Versorgung von systematisch benachteiligten Menschen stets sein Gebiet gewesen. In insgesamt drei Vereinen ist er aktiv und hat bereits 2009 das Bundesverdienstkreuz am Bande für die ehrenamtliche medizinische Versorgung von Obdachlosen in Köln erhalten.

Das Bild zeigt die Container, in denen Mark Oette behandelt.

In diesen Containern behandelt Mark Oette seine Patienten.

Das macht er

Als Arzt kann Oette in der Caya-Praxis allerlei Aufgaben übernehmen, wofür er dankbar ist. „Wir haben hier eine Versorgung auf Hausarztpraxisniveau“, erzählt Oette. Für eine ehrenamtliche Einrichtung ist das einzigartig in Köln. Die mittlerweile 500 Patienten kommen mit den verschiedensten Beschwerden zu Oette, und soweit es ihm möglich ist, versorgt er sie.

Zentraler Bestandteil seiner Arbeit ist allerdings auch die soziale Komponente: „Wir möchten den Menschen ihre Würde zurückgeben. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe. Egal wie krank, kaputt, betrunken sie sind: Hier können unsere Patienten herkommen und werden vor allem anderen als Menschen betrachtet.“

Neben der medizinischen Behandlung, die im Caya-Verein von insgesamt 25 ehrenamtlichen Ärzten übernommen wird, gehören vor allem organisatorische Aufgaben zur Kernarbeit des Vereinsvorsitzenden: „Unser Verein wächst, wir vernetzen uns stetig und möchten unser medizinisches Angebot erweitern. Das erfordert viel Koordination. “

Das sagen seine Patienten über ihn

Oettes Arbeit und sein Umgang mit den Patienten wird von ebendiesen sehr geschätzt. Farsin (62) und Frank (55) sind bereits seit Jahren Patienten in der Caya-Praxis. Während er auf seine Behandlung wartet, sagt Farsin: „Der ist bombastisch – wie das ganze Ärzteteam hier“, und Frank ergänzt: „Bei ihm fühle ich mich wohler als bei meinem Hausarzt. Hierhin komme ich lieber.“

Das Bild zeigt Mark Oette und Krankenpflegerin Saskia Redenius.

Unterstützt wird Mark Oette von einem großen Team: Auch Krankenpflegerin Saskia Redenius gehört dazu.

Das bewegt ihn, sein Ehrenamt auszuüben

Ohne Pathos, und dafür mit einem außergewöhnlichen, bescheidenen Pragmatismus geht Oette seine ehrenamtlichen Aufgaben an: „Es ist notwendig, dass alle Menschen medizinisch versorgt werden können. Weil das im derzeitigen Gesundheitssystem nicht der Fall ist, muss unsere Arbeit getan werden. Sie ist einfach vernünftig.“ Von außen betrachtet wirkt Oette wie ein Mann mit einem außergewöhnlichen Pflichtbewusstsein – wohlgemerkt für eine Pflicht, die er sich freiwillig auferlegt hat.

Das würde er zuerst tun, wenn er OB wäre

Wenn er Oberbürgermeister von Köln wäre, wüsste Oette, was er tun würde: „Das gleiche wie jetzt: bedürftigen Menschen helfen – aber auf struktureller Ebene.“ Konkret fände der Mediziner wichtig, ein funktionierendes Gesamtkonzept für die Versorgung wohnungsloser Menschen in Köln zu erarbeiten. „Das fehlt uns aktuell“, sagt er.

Bei ihm fühle ich mich wohler als bei meinem Hausarzt.
Patient Frank (55) über Mark Oette

Das ist sein persönliches Grundgesetz

„Das deutsche Grundgesetz und der hippokratische Eid. Darin liegt die Grundlage für viel Gutes – man muss es nur auch umsetzen.“

Das ist seine Aussicht

„Unsere nächsten Ziele sind, wissenschaftliche Beiträge zu Leben auf der Straße zu veröffentlichen und eine mobile Versorgungsstation, ebenfalls auf Praxisniveau, einzurichten. Die könnten wir dann auch an andere Städte verleihen“, sagt Oette. Und persönlich? „Ich möchte noch so lange helfen, wie ich gebraucht werde.“