50 Meter KölnTaucher, Freigeister und Partygänger im Mülheimer Hafen

Das Ostbecken des Mülheimer Hafens
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Mülheim – Hans Klaus Sander knurrt, da einer kommt, den er nicht kennt. Er möchte eigentlich nichts sagen, über sein Revier, die Kölner Schiffswerft Deutz (KSD) im Ostbecken des Mülheimer Hafens, auf der er seit 25 Jahren als Geschäftsführer arbeitet. Weil er nicht möchte, dass Leute auf dem Gelände auftauchen, die hier nichts verloren haben. Der Hafen mit seiner breiten Mündung lässt ja jeden willig ein. „Aber hier ist Baustelle, betreten verboten.“
Abenteuerland im Mülheimer Hafen
Er nennt den Hafen „Abenteuerland“ – das gilt für die Arbeit an Frachtern und Kreuzfahrtschiffen, für die Taucher, Diskobetreiber, Erfinder, Schiffsbauer, Filmemacher, Künstler, die sich hier tummeln. Für die Stadt ist das Areal auch irgendwie ein Abenteuerspielplatz – auf dem sie sich schon ordentlich verlaufen hat: Der Rat hatte 2005 beschlossen, im Hafen Gewerbe und Wohnungen anzusiedeln. Politiker sahen schon einen zweiten Rheinauhafen vor der Zoobrücke glitzern. Hatten aber wohl übersehen, dass das Gelände und der angrenzende Grund dem Bund und Privateigentümern gehören. Und, dass das Gewässer als Nothafen dient, der in Betrieb bleiben muss. Burgen bauen verboten. Vorläufig.
Es ist dünnes Eis, auf dem man sich hier bewegt. Und Sander möchte keine Pirouetten drehen. Er schaut aber neugierig und nett, während er knurrt. Und er findet, dass eine Werft mit ihrer über 100-jährigen Geschichte, mit ihrer Helling für 110-Meter-Schiffe, die bald auf 135 Meter vergrößert wird (und damit die größte eines Rheinhafens überhaupt wird), auf der die Köln-Düsseldorfer im Winter fit gemacht werden, die von Frachtschiffen aus der ganzen Welt angesteuert wird, dass diese Werft ihre Bedeutung hat für die Stadt. Es wird dann bei einem Treffen nach dem ersten Knurren, ein längeres Gespräch. Sander erzählt von den Brombeerhecken, die er zum Ärger vieler Beerensammlerinnen wegschneiden ließ und von der Kelly-Family, die hier mit ihrem Hausboot lag; von der Arbeit an den Schiffen, den Müllabladern, von den Filmen, die hier gedreht wurden, der Geschichte der Werft und von sich selbst.
Warum Hans Klaus Sander auf das Internet und Computer verzichten kann, lesen Sie im nächsten Abschnitt.
Die Familie im Mülheimer Hafen
Sander hat 1957 die Volksschule abgeschlossen und eine Lehre zum Rohrschlosser gemacht. Seitdem arbeitet er auf Schiffswerften. Er wird bald 73 und sitzt sechs Tage in der Woche im Büro. Er sagt: „Das Internet und die Computer brauchen mich nicht“, weswegen die Aufträge rechtwinklig geordnet in Papierform auf seinem Schreibtisch liegen. Er kennt jeden Schiffsführer persönlich und bevorzugt die kleinen Dienstwege. Mit der Politik hat er es nicht so.
Wenn Schienen der Helling kaputt sind, auf denen die Schiffe an Land gezogen werden, ruft er die Moissl-Bautaucher von gegenüber an, oder Frank Hebel, Chef-Ingenieur der Werft, läuft direkt rüber. Die Taucher schlüpfen dann in ihre Anzüge und ersetzen die Schienen unter Wasser. „Es ist wie in einer Familie hier“, findet Hebel. „Man kennt sich.“ Ilona Grenzemann-Hambüchen sagt das im gleichen Wortlaut. Sanders und Hebels Leute warten regelmäßig ihre Schiffe. 1995 ist die heute 50-Jährige mit ihrem ersten Mann und der Firma in das ehemalige KHD-Haus am Auenweg gezogen. Als ihr Mann Wolfgang Moissl fünf Jahre später bei einem Motorradunfall starb, entschied sie, die Firma weiterzuführen. Ihr zweiter Mann stieg mit ein ins Unternehmen. Die Familie lebt mit Kindern, Zwerg- und Riesenschnauzer über dem Büro, der Blick geht auf die Werft. Die Hunde schlagen natürlich an, wenn Unbekannte kommen.
Ein Leben unter Wasser
Der Hafen strahlt mit seinen Kränen und Pontons und dem Geruch von Diesel und Lack eine raue Kraft aus. Die Bautaucher legen auf Hafenromantik so wenig wert wie Sander, für sie ist der Standort praktisch. Sie können von hier zu Aufträgen starten: Zur Wartung von Kaimauern, der Bergung von Schiffen, zum Verbauen von Unterwasserbeton im Rhein. „Wir betonieren unter Wasser und wir schweißen unter Wasser“, sagt Axel Papendick, der seit 20 Jahren bei den Bautauchern arbeitet. Auch so ein hart-aber-herzlicher Knurrer, der genau hinschaut, wer sein Revier betritt. Er ist gelernter Schiffsführer. Einer der Taucher war vorher Optiker, ein anderer Sanitäter. „Alles Individualisten“, sagt Ilona Grenzemann-Hambüchen. Alles schwere, hemdsärmelige Männer. Die zierliche Chefin umarmt jeden ihrer netten Brummer, bevor sie in der Halle, in der die Tauchanzüge hängen, vor Schwarz-Weiß-Fotos unbekleideter Damen mit ihnen plaudert. Axel Papendick spielt in seiner Freizeit Darts. Er war früher mal im Nationalteam, ein massiger Typ mit sehr viel Feingefühl.
Seine Chefin würde nie sagen, dass die Stadt solche Sensoren nicht hätte. Aber den neuen Radweg vor ihrer Haustür, der als Teil des Rheinboulevards gilt, versteht sie nicht. „Auf der anderen Straßenseite war ja schon ein Radweg.“ Sie musste der Stadt für den Weg, der im Nirwana vor der Claudius-Therme endet, einen Teil ihres Grundstücks verkaufen. Die 50-Jährige ist sich nicht sicher, ob Wohnungsnot und Investorenpläne nicht noch dazu führen werden, dass der Hafen ein anderes Gesicht erhält. Vor Jahren hatten ihr die Stadtplaner dringend geraten, umzuziehen. Sie möchte sich politisch nicht äußern, das Eis ist dünn, aber sie möchte gern bleiben.
Wie die Nachbarn mit den Partys im angrenzenden Club „Bootshaus“ umgehen, lesen Sie im nächsten Abschnitt.
Irgendwie arrangiert man sich
Die Nachbarn sind unverfänglicher. Der hilfsbereite Herr Sander hat vor ein paar Tagen angerufen, weil das Licht an der Einfahrt tagsüber brannte. Das Bootshaus neben der Werft zählt zu den angesagtesten Diskotheken des Landes: Bei der größten internationalen Umfrage zu den besten Clubs der Welt hat es die Disko gerade auf Platz 22 geschafft. Dass das Bootshaus jetzt auch nachmittägliche Open-Air-Partys veranstaltet, findet nicht jeder hier inspirierend, aber man arrangiert sich irgendwie. Die Disko hat ihren Strom lange von der Werft bezogen, bis vor eineinhalb Jahren wurden in der alten Dreherei direkt neben dem Dancefloor Propeller repariert. Einer von der Disko rief kürzlich um 2 Uhr morgens bei Hans Klaus Sander an, weil der Strom ausgefallen war. Sanders Handy war natürlich an.
50 Meter Köln heißt unsere Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag – regelmäßig im Lokalteil. (uk)
Ein paar Wochen später bereitet ein Fernsehteam vom Tatort ein Bühnenbild in dem Tanzraum vor. Sander listet einige Stars auf, die hier schon gedreht haben, so richtig passt ihm das nicht, weil einige Medienleute sich nicht benähmen. Aber mal Mario Adorf kennengelernt zu haben, ist nicht so übel.
Genug Potenzial für einen Film
Schön wäre mal ein Film über die Menschen hier, über das drastische Nebeneinander von nüchterner Schwerstarbeit, Freigeistigkeit und Rausch. Über die Poesie eines Nicht-Ortes, der die Phantasie ankurbelt – eines Abenteuerlandes. Die Taucher dürften nicht fehlen und die Diskobetreiber, Heinz Möller (73) mit seiner Frau Annette Ullrich (55) auch nicht. Denen gehört der 49 Jahre alte, erdbeerrote Krabbenkutter Nis Randers, den Möller 2001 auf Büsum gekauft hat und auf dem er seitdem jeden Vormittag werkelt.
Kettenraucher Heinz Möller ist gar nicht knurrig, auch wenn er seine Tätowierung von der Reeperbahn hat, aus der Marinezeit, und Heiligabend auf der Großen Freiheit mal „nette Nüttchen“ zum Essen einlud, „nur zum Reden“. Möller ist aber ein in Köln geborener Seefahrer, ein fast klischeemäßiger Hafenmensch, der wie seine Partnerin Ullrich sehr gut erzählen kann. Das liegt auch daran, dass sie die Gaststätte Haus Alt-Thurn in Dellbrück betreiben und Menschen kennen. Sie fahren übrigens nie zusammen zur See, „weil ich im Urlaub meine Ruhe brauche und allein fahre“, sagt sie. „Ist doch in Ordnung“, sagt er.
Ein Filmemacher müsste natürlich zuerst zu Werft-Chef Sander vorbei, der am Ende des Gesprächs sagt: „Wenn die Menschheit vernünftig wäre, würde sie einen Teil des Verkehrs von der Straße aufs Wasser verlegen. Ist sie aber nicht.“ Schöner Schlusssatz. Wenn Sander sich denn überreden ließe.