VeedelsspaziergangMartina Klinke genießt die Ruhe nach dem Stunk

Stunksitzungs-Gründungsmitglied Martina Klinke auf einer der Bänke zwischen Mutzbach und dem abgezäunten Wildgehege
Copyright: Peter Rakoczy
- Martina Klinke, Mitbegründern der Stunksitzung, findet in Dünnwald alles, was sie zum Leben braucht – vor allem Natur.
- Eine Dreiviertelstunde bräuchte Klinke mit dem Rad zum Dom.
Dünnwald – Der gemeine Städter wird wahrscheinlich sagen: „Dünnwald, wie kann man da nur leben? Da gibt's kein Museum, kein Weltstadthaus, kein Kino, keine Philharmonie!“ – „Stimmt!“, würde eine Dünnwalderin erwidern, die man während der letzten drei Jahrzehnte rund tausendmal auf der Bühne erleben konnte. „Wir haben hier auch nur 'ne kleine Hauptstraße, aber da kriegst du alles. Und das beste an Dünnwald ist eh die Natur.“
Martina Klinke ist vom Studium her Sozialpädagogin, den Kölnern insbesondere als festes Ensemblemitglied der Stunksitzung bekannt, aber eigentlich ist die 54-Jährige vor allem eines: aus ganzem Herzen Dünnwalderin.
Kiffend am Baggerloch
Dabei entgeht ihr natürlich nicht, dass es in dem rechtsrheinischen Veedel auch an einigem fehlt. Aber wo steht, dass ein Mehr an Angeboten die Lebensqualität zwangsläufig erhöht?
Zwar in Kalk, „im Schatten der Chemischen“ geboren, zog Klinke als Vierjährige mit ihren Eltern in die Nähe des Hauses, in dem sie heute lebt. Mit sieben bewunderte sie auf der Kinoleinwand der ehemaligen Dünnwalder Lichtspiele Charlton Heston als muskulösen Ben Hur. Jahre später hing sie mit anderen Jugendlichen kiffend am nahe gelegenen Baggerloch ab, „was meine Eltern nicht so prickelnd fanden“.
1984 blickte die ganze Familie stolz auf ein Foto im „Kölner Stadt-Anzeiger“, das Vater Klinke in Badehose bei der Einweihung der 48 Meter langen Rutsche im Waldbad zeigte.
Erwin Klinke war nicht nur Mitglied des Freien Ortskartells Köln, „der letzten sozialistischen Bastion in NRW“, wie Tochter Martina betont. Er sei 25 Jahre lang Schulleiter der Peter-Petersen-Schule (jetzt Rosenmaarschule) und vor allem derjenige gewesen, „der die Inklusion mit Wucht vorangetrieben“ habe – auch gegen Widerstände. Sein ganzes Herzblut habe an dieser Einrichtung gehangen, in der ihre Mutter Anni Schulsekretärin gewesen und ihr Bruder Volker nach wie vor als Sozialarbeiter tätig sei. „Unsere ganze Familie ist eng mit dem Stadtteil verwoben.“
Martina Klinkes liebste Radtouren und Eisdielen
Wir sitzen in der Wohnküche der Klinkes und stellen Entfernungsberechnungen an, während Familienhund Nelly auf dem Fußboden döst. 4,1 Kilometer sind es bis zur Stadtgrenze von Leverkusen. 25 Minuten dauert die Fahrt bis zum Neumarkt mit der Bahnlinie 4, die fast vor der Haustür hält. Eine Dreiviertelstunde bräuchte Klinke mit dem Rad zum Dom. „Eine wunderschöne Strecke am Rhein entlang.“
Unsere Laufdistanz am heutigen Vormittag ist wesentlich kürzer. Wir beginnen beim Gasthaus „Am Ritter“, das nach alter Überlieferung früher Zollhaus, Pferdewechsel-Station und Ort der Gerichtsbarkeit gewesen ist. Heute führen Kerstin und Markus Halft in dem historischen Gemäuer ein Lokal, in dem man nach Urteil Klinkes ausgesprochen gut und reell essen könne und einen freundlichen Service bekomme.
Eisdiele und Infobörse zugleich
Nur weniger Meter entfernt liegt die Eisdiele von Teresa und Angelo Gravina. Abgesehen davon, dass es im Taormina köstliches selbstgemachtes Eis gibt, ist Teresa die beste Info-Börse im Veedel. Sie weiß nicht nur, wo Wohnungen frei werden, sondern könnte im Zweifelsfall auch jedes verloren gegangene Kind wieder zu den Eltern bringen. Daneben liegt Stephani Hürtens „Lesezeichen“, eine Buchhandlung mit erweitertem Angebot. Hier findet Klinke „immer etwas Passendes, wenn ich Geschenke brauche“. Für den bevorstehenden Sardinien-Urlaub empfiehlt Hürten ihrer Stammkundin Wolfgang Schorlaus Krimi „Die schützende Hand“.

Martina Klinke mit Buchhändlerin Stephani Hürten im „Lesezeichen“
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Die Vorteile dieser fast dorfähnlichen Veedelsstruktur zeigen sich nicht nur in der Buchhandlung, wo Klinke bei der Suche nach einem schönen Lesestoff für ihre Mutter gegebenenfalls die Warnung bekäme: „Das hat die Mutti bereits.“ Auch gegenüber in der Wildpark-Apotheke erfährt Klinke sofort, „welche Medikamente meine Mutter schon abgeholt hat“. Martina Klinke, selber Mutter von zwei Söhnen (zwölf und 18), hat in den zurückliegenden Wochen weniger auf Arzneimittel als auf „Ingwer und Zitrone“ gesetzt, um für die knapp 50 Auftritte im E-Werk fit zu sein. Wichtigste Hilfe in der Stunksitzungszeit war jedoch „mein wunderbarer Mann Christof, der morgens um halb sieben mit den Kindern aufgestanden ist und mich hat schlafen lassen“. Wenn sie nachts gegen halb zwei heimkehre, könne sie nicht gleich ins Bett, sondern brauche „Zeit um runterzukommen“. Meist habe sie dann noch eine Folge „Game of Thrones“ geschaut.
Wir laufen auf der Berliner Straße zurück zur Kreuzung, an der die Bäckerei Graetz liegt, die laut Klinkes Mann „richtig gute Brötchen“ hat. Gleich um die Ecke in der Leuchterstraße gibt es ein kleines Kuriosum in Gestalt des möglicherweise winzigsten Blumengeschäfts Kölns. Inhaberin Marika Szrama hat kürzlich die Wäscherei nebenan übernommen, so dass sie an manchen Tagen häufig zwischen Herrenhosen und Rosenstielen hin- und herpendelt.
Die größte Attraktion des Veedels
Bevor wir uns zu der wahrscheinlich größten Attraktion des Veedels aufmachen, passieren wir auf der Leuchterstraße die „Huusnummer 11“, eine kölsche Imbiss-Stube, die den legendären Dünnwald-Burger im Programm hat, aber auch einen Lieferservice für gut-bürgerliche Küche anbietet.
Neuer Anlaufpunkt „Wildwechsel“
„Was in Paris der Eiffelturm ist, ist in Dünnwald das Waldbad“, behauptet Dünnwalder Jörg Kernbach und deutet zu einem der Fenster im Gasthaus Wildwechsel, von wo aus man das schön gelegene Schwimmbad mit seiner einst als Sensation gefeierten Rutsche sehen kann. „Wenn es da eine Wintersauna am Waldrand gäbe, würde ich jedes Wochenende kommen“, sagt Klinke inzwischen am wärmenden Kamin des Lokals sitzend, das im vergangenen Sommer von einem Mann aus Dünnwald übernommen wurde.

Bernd Kleysteuber (l.) und Jörg Kernbach am Kamin des Wildwechsel
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Bernhard Kleysteuber (51) ist bei Klinkes Vater in die Schule gegangen und hat als Bub im Waldbad schwimmen gelernt. Seitdem er Pächter des angrenzenden Lokals mit Biergarten und Bouleplatz geworden ist, hat sich sowohl das Interieur als auch das gastronomische Angebot derart geändert, „dass man jetzt wieder gerne hierherkommt“, unterstreicht Klinke. „Ja, es wird unglaublich gut angenommen“, freut sich Kleysteuber, der gemeinsam mit seinem Partner, dem Schauspieler Jörg Kernbach, ein attraktives Programm in Form von Konzerten, Mitsing-Veranstaltungen, Livehörspielen und Spiele-Abenden auf die Beine gestellt hat, welches längst auch Gäste von außerhalb anzieht.
Das Geheimnis von Dünnwald
Das tut der Campingplatz gegenüber seit ehedem. Auf dem Terrain hat Martina Klinkes Bruder Volker einen Wohnwagen stehen, was praktisch ist. Als Schlagzeuger der Stunksitzungsband Köbes Underground hat er nicht immer Lust, nachts nach Odenthal zurückzufahren und übernachtet auf dem Platz. Vielleicht hat er dort das Geheimnis aufgeschnappt, das Dünnwald birgt.

Klinke und Teresa Gravina vom Eiscafé Taormina
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Unter der Kirche St. Nikolaus, die früher das Frauenkloster der Prämonstratenserinnen war und bereits im Jahr 1122 erstmals registriert wurde, soll sich ein geheimer Gang befunden haben, der direkt zu dem 1230 erbauten Rittersitz Haan führte. „Mein Bruder sagt, es werde gemunkelt, dass sich die Nonnen aus dem Kloster in dem Geheimgang früher mit den Rittern zum Stelldichein getroffen haben“, berichtet Klinke. „Und man munkelt ebenfalls, dass dort auch die Knochen der Babys vergraben sind.“