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Nachruf Franz Georg BiesenbachLebe lieber wie du willst

Lesezeit 6 Minuten

„Schlapp“ Franz Georg Biesenbach bei einem seiner wenigen Urlaube in den Alpen, zu dem ihn Freunde mitnahmen

Er liebte das, was viele für Müll halten. Franz Georg Biesenbach, für alle der Schlapp, weil er winters wie sommers in Birkenstocks durch Nippes schlurfte, sammelte alles: Metallstangen und Sperrholz, Bottiche, Gläser und Lichterketten, Rohre, Folien, Fotos, Uhren, Schallplatten; er sammelte auch Momente, er guckte und hörte überall zu. Und Frauen, vorzugsweise blonde, blauäugige; an den Wänden seines Schlaf- und Wohnzimmers hingen Hunderte Fotos, von Freunden und Bekannten, sehr viele aber von blonden, blauäugigen Schönheiten.

Schlapp war einer, der Sachen und Menschen sammelte und wertschätzte, die andere nicht (mehr) wertschätzten – Menschen am Rande (nein, nicht die Blondinen!), für die er einstand, Sachen, die die Konsumgesellschaft für nicht mehr brauchbar hielt, sie alle waren bei Schlapp gut aufgehoben.

Seinen Grill baute er aus einem Einkaufswagen, er zimmerte Betten, Tische und Stühle aus Holz für den Sperrmüll, vorher fertigte er an einem Pult vor seinem riesigen Bett, dem Zentrum seines Backsteinhäuschens im Nippeser Tälchen, eine Bauzeichnung. Im Jugendzentrum OT in der Werkstattstraße war Schlapp der Mann fürs kreative Recycling: Zehn Stunden pro Woche arbeitete er dort als Hausmeister, es war das Maximum an Erwerbsarbeit, das sich mit seiner antikapitalistischen Haltung vereinbaren ließ.

In seinem gelernten Beruf als Starkstromelektriker arbeitete er nie. Er liebte die Welt und verabscheute das Fortschrittsethos: Verzichte auf das einfache Glück heute, arbeite lieber fleißig und hoffe, dass du morgen ein größeres Glück erleben wirst – diese von vielen verinnerlichte Kapitalismuslogik war ihm fremd. „Ich gehe niemals in dieses System rein“, sagte er, er wolle „nicht abhängig sein“. 40 Stunden Arbeit, Büro, Hochzeit, Kinder, Enkelkinder, das sei kein wirkliches Leben. Schlapp hörte sich sehr jung und existenzialistisch an, wenn er das sagte.

Systemkritische Haltung und Sammelmanie

Die Jungen mochten Schlapp, weil er so anders aussah und wie ein Revoluzzer redete, weil er zuhörte und eine klare Meinung hatte; die Älteren, wie die Cliquen aus dem „Feez“ und dem „Kornbrenner“, mochten ihn deswegen auch, er war anders, er war der Schlapp, die gar nicht graue Eminenz von Nippes – schrullig, manchmal hypersensibel, immer durchlässig und neugierig, das waren nicht alle der Älteren. Einige der alten Freunde sagten, „der müsste mal erwachsen werden“, aber die meisten freuten sich doch, dass er es nicht war. Früh war er bei der Nippeser Baggerwehr, die gegen die Stadtautobahn aufbegehrte. Er schrieb für eine kritische katholische Jugendzeitung Artikel gegen die Amtskirche – sein Vater war Diakon und Leiter des Carl-Sonnenschein-Hauses in Nippes. Der Sohn verehrte seinen Vater, erzogen wurde er von der Mutter.

Seine systemkritische Haltung gehörte zu Schlapp wie die Sammelmanie, die Zigaretten, das Bier, die Sandalen ohne Socken, der Kajal, das Halstuch, die langen Haare, die selbst gemachten Ohrringe, Toleranz und Pünktlichkeit. Während andere die besetzten Häuser irgendwann gegen das Eigenheim eintauschten, noch links dachten, aber rechts lebten, stand das für Schlapp nie zur Debatte.

„Man musste mit ihm gar nicht drüber diskutieren“, sagt Werner Balfer, ein Kindergartenfreund, der ihm bis zuletzt nahestand. „Er hat mich ja auch nie gefragt: Warum bist du dein Leben lang Lehrer?“ Leben und leben lassen, das war seine Devise – aber bitte nicht reinreden. Und lieber nichts verändern, auch wenn es der Gesundheit oder dem Seelenheil womöglich zuträglicher gewesen wäre.

In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind. Wenn Sie vom Tod eines interes-santen Kölners erfahren, über den wir einen Nachruf schreiben können, melden Sie sich bitte bei uns unter 02 21/2 24-23 23 oder koeln@ksta.de. Bei den Geschichten geht es nicht darum, ob ein Mensch prominent war oder unbekannt, erfolgreich oder verarmt. Es sollen Lebensläufe mit ihren Höhen und Tiefen beschrieben werden. Getreu dem Gedanken: Jeder Mensch hat etwas zu erzählen. Jedes Menschenleben ist einzigartig.

Schlapp war immer der, der bei Partys das letzte Fässchen mit dem Gastgeber leer trank und mit sauber machte, der sonntags zum Sekt im Garten lud. Immer fand er einen Grund für ein Gläschen, um den flüchtigen Moment zu zelebrieren. Er rauchte 60, 70 Zigaretten am Tag und wollte seine Lebensart auch nicht ändern, als er mit Anfang 50 die Diagnose Magenkrebs erhielt und irgendwann im Entzug landete, weil er zu Hause immer wieder stürzte und kaum noch in der Lage war, sein Häuschen im Nippeser Tälchen, das er sich Anfang der 1980er Jahre selbst neu aufgebaut hatte (die Stadt hatte es aufgegeben und hätte es sonst abgerissen), zu bewirtschaften. „Er ist sich bis zuletzt immer treu geblieben“, sagt Balfer.

Das heißt auch: Er blieb ein riesiger Kindskopf, der sich weigerte, Behördenbriefe zu öffnen. Das machten, wenn nötig, Freunde. Ein kunstvolles Bett zimmerte er für seinen Freund Werner, und der schrieb im Gegenzug eben mal ans Finanzamt. So stellte er sich das vor, und so funktionierte es auch irgendwie: Er machte viel für andere und hörte vielen zu und es kam vieles zurück. Man könnte auch sagen: Er bog und zimmerte sich – wer macht das nicht – seine Welt so zurecht, dass sie für ihn passte.

So ließ sich sein katholischer Glaube mit der links alternativen Haltung verbinden. Schlapp zündete für jeden Toten eine Kerze an, er sammelte Kerzenwachs in der Kirche der Schwarzen Mutter Gottes, St. Maria in der Kupfergasse, der Kirche für die echten Kölner, und goss eigene Kerzen daraus. Er übte Kritik an der Amtskirche, wollte aber unbedingt von einem Priester begraben werden.

Die große Liebe fand er nicht

Der Lebensmittelpunkt von Schlapp Biesenbach, der Gedichte an Freunde stets mit G.v.N. für Großfürst von Nippes unterzeichnete, war nicht erst in den letzten Lebensjahren das Bett. Es stand, riesengroß, auf einem Podest wie ein Thron, in der Mitte seines Wohnzimmers, umgeben von allem, was ihm wichtig war. Den CDs und Büchern und Fernbedienungen, den Wänden mit den Fotos der gesammelten Blondinen. Schlapp hat im Bett nicht nur geschlafen, er hat im Bett auch gegessen, geredet, getrunken und geraucht, gelacht und geweint.

Lange hatte er sich eine Familie gewünscht und eine große Liebe. Er fand sie nicht. Als er die Krebsdiagnose erhielt, ahnte er, dass er sie nie mehr finden würde. Es kamen in den letzten Jahren auch immer weniger der sogenannten Freunde. Es blieben die Bilder an den Wänden und ein paar wirkliche Freunde wie Werner.Zur Beerdigung kamen dann wieder sehr viele, die Kirche war voll. Pfarrer Thomas Diederichs sagte, nun sei Schlapp tot und der „Kornbrenner“ zu, „das Leben ist anders geworden in Nippes“. Die Trauergemeinde lächelte, so ist das wohl. Die Dinge, die Schlapp gesammelt hat, werden jetzt entsorgt, niemand wollte sie haben.

Bleiben wird die Erinnerung an Schlapp, Großfürst von Nippes, Sammler von Dingen, Blondinen und Momenten, der lieber lebte, wie er wollte.