„Nicht mehr zeitgemäß“Kölner Kunsthandlung Goyert wird nach 100 Jahren geschlossen

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Angelika Herzogenrath in ihrer Kunsthandlung Goyert, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden ist

Angelika Herzogenrath in ihrer Kunsthandlung Goyert, die in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden ist

Köln – Am Hahnentor, neben Shisha-Laden und Italiener, lebt Angelika Herzogenrath, seit 1961, zusammen mit Giovanni Battista Piranesi, Marc Chagall und Joan Miró, zwischen alten Stadtansichten, handkolorierten Lithographien und schönen Bronzeplastiken.

16 Jahre ist sie alt, als sie in die Kunsthandlung ihrer Familie eintritt. Das Handwerk lernt sie von ihrer Mutter und von der Pike auf und praktiziert es seit nun 54 Jahren mit schönem Erfolg. Sie pflegt Kontakte zu Künstlern und Kunden, zu Auktionshäusern, Nachlassverwaltern und Kunstdruckereien. Ein Laden voller schöner Dinge, mit denen die Kunsthandlung Goyert 100 Jahre lang die Wohnungen vieler Kölner bereichert hat. Im 100. Jahr des Bestehens aber sagt die resolute 71-Jährige: „Es ist nicht mehr zeitgemäß. Im nächsten Jahr ist Schluss.“

Für die Kölner Kunsthandlung ist es vorbei

In der Kunststadt Köln hat sich die Kunsthandlung überlebt? „Die Kunsthandlung alten Typs“, korrigiert sie. „Unser Gemischtwarenladen, in dem Altes neben Modernem steht, Original neben Reproduktion, Plastiken neben Kleinmöbeln und Accessoires, daneben die Rahmenwerkstatt. Das ist vorbei.“

So sah es in der Gründungszeit der Kunsthandlung aus.

So sah es in der Gründungszeit der Kunsthandlung aus.

100 Jahre lang hat es funktioniert. Nach der Galerie Boisserée, gegründet 1838, ist Goyert in der nunmehr dritten Generation die älteste Kölner Kunsthandlung. 1919 wird sie in der Minoritenstraße von Wilhelm Goyert gegründet. Der Großvater ist Anhänger der Anthroposophen um Rudolf Steiner und eröffnet seine zweite Galerie in der Drususgasse, just an der Adresse der heutige Galerie Boisserée. Im ersten Stock eröffnet er die „Freie Neuwachtschule“, die erste Waldorfschule Kölns.

Aus dieser Zeit sind eine Reihe von Goyerts Katalogen erhalten: zu Christian Rohlfs oder zu Max Pechstein. „Es muss wie in einem Rausch gewesen sein“, sagt Herzogenrath. „In wenigen Jahren gab es so viele Ausstellungen von zeitgenössischen Künstlern wie Feininger, Heckel, Kandinsky, Kokoschka und Picasso.“ 1921 ist in einem Artikel zu lesen, dass die „rührige“ Galerie Goyert „an Kosten nicht spart, um den sterilen Boden des heiligen Köln für die moderne Kunst aufzulockern“.

Goyert verkaufte „entartete Kunst“

Goyert gründet Filialen in Neuenahr, Witten und Stuttgart, die in Inflationszeiten wieder aufgegeben werden. Schlimmer noch trifft ihn der Krieg: Viermal werden die wechselnden Häuser in der Stadt ausgebombt. Und man steht unter Beobachtung. Dennoch wird „entartete Kunst“ verkauft, von Nolde oder Klee, „unterm Tisch“, liest man später, der „einigen Kölnern bekannt war, und so konnten sie hin und wieder für 2 oder 5 Mark eine expressionistische Graphik erwerben“.

Die Galerie liegt an der Hahnenstraße 18.

Die Galerie liegt an der Hahnenstraße 18.

Nach dem Krieg macht Tochter Beate Herzogenrath ein Gutteil des Geschäftes mit alter Grafik, Stichen und Kunstgewerblichem. An der Wand hängt ein schönes Aquarell vom Wallrafplatz aus dem Jahr 1915, eine Arbeit des Architekten der Agneskirche, Carl Rüdell, der als Maler viele Kölner Straßenszenen festhielt. Es gibt eine Wand mit alten Köln- und Rhein-Panoramen. „Früher hätten wir so eine Wand in einigen Wochen verkauft, heute in ein paar Jahren. Das ist perdu“, sagt Herzogenrath. Die Jungen interessiere das nicht mehr. Auch Antiquariate und Antiquitätengeschäfte seien aus den Städten fast verschwunden.

Ende der 1960er Jahre, Angelika Herzogenrath ist 22 Jahre jung, schickt die Mutter sie für ein halbes Jahr nach Paris. „Ich bin von einem Künstleratelier ins nächste, von Druckerei zu Druckerei, habe Kontakte gemacht, die bis heute halten. Und habe viel gelernt. Ich hatte ja keine Kunstgeschichte studiert. Meine Mutter schickte mich aber in Köln jede Woche ins Museum. Und ich war von morgens bis abends von Kunst umgeben.“

Die besten Jahre in den 1960er und 1970ern

Die wirtschaftlich besten Jahre erlebt die Kunsthandlung in den 1960er und 1970er Jahren. „Das war ein Rausch des Nachholens. Nach den Aufbaujahren kam das schöne Heim. Und es gab die tollen Reproduktionen, Farblichtdrucke von Hanfstaengel und Piper, Kokoschka, Feininger und Dalí. Davon haben wir hunderte verkauft.“

Die schwersten Zeiten: Ende der 1980er Jahre. „Meine Mutter sagte immer nur, »oh, das geht ja abwärts ohne Ende«.“ Die Alte Grafik wird immer weniger nachgefragt. Im Gegenteil, manches kommt über Nachlässe auch zurück. „Da klebt dann noch unser Etikett auf der Rückseite.“

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Und wie läuft es im 100. Jahr? „Erstaunlich gut“, sagt Angelika Herzogenrath. Das Alte habe leichten Aufwind, die klassische Moderne gehe gut, auch Gemälde von Peter Calmés und Werner Lichtner. Beachtung finden die Arbeiten Kölner Künstler wie Götz Sambale, Susanne Waltermanns und Nicola Dimitrov. Glücklich aber ist Herzogenrath, wenn ihr Kunden erzählen, wie sehr sie davon profitierten, dass Herzogenrath immer auch Empfehlungen zu Ausstellungen, Galerie- und Museums-Führungen ausspricht.

Mehr als 50 Jahre Kunsthandlung: Irre, sagt Herzogenrath. Die meiste Zeit, 40 bis 50 Stunden in der Woche, stehe sie nun allein im Laden. Es sei mühsam geworden. Ihr Sohn in Brüssel winke ab: Zuviel Arbeit für zu wenig Geld. „Ja, sage ich dann, viel Arbeit. Aber eine wunderschöne, beglückende. Ich wollte nie etwas anderes machen.“

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