Nägel im Fleisch, Gift im Trockenfutter: Im Agnesviertel fürchten Hundebesitzer jeden Spaziergang.
Kölner AgnesviertelAngst vor Giftköder auf jeder Hunderunde
Milows Schnauze klebt am Boden. Der kleine Mischling schnüffelt, wühlt durchs Laub, seine Rute zittert leicht. Er ist eine Mischung aus Rehpinscher, Jack Russell und Dackel. Fünf Jahre ist er alt und sehr schüchtern, erzählt seine Halterin Karina Krimmel. Normalerweise liebt Milow es, Stöckchen zu holen – auf der Hundewiese im Lohsepark, mitten im Agnesviertel. Doch die meidet Karina Krimmel jetzt. „Ich habe jedes Mal Angst, dass ich mit einem toten Tier zurückkomme“, sagt sie.
Seit Tagen finden Hundebesitzer im Viertel wieder vermehrt Hundeköder – präparierte Fleischstücke, Hundefutter mit Rattengift, Würstchen mit Schrauben. Das Problem ist nicht neu. In Großstädten, wo viele Hunde leben, gebe es auch immer Hundehasser, so Krimmel. Sie weiß von Fällen, die fünf oder zehn Jahre zurückliegen. Manche Hunde überlebten nicht.

Für Karina Krimmel ist ihr Hund Milow ein festes Familienmitglied. Die Angst um ihn ist groß.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Vor einem halben Jahr traf es auch Milow. Im Park am Fort X fraß er etwas vom Boden, ehe Karina Krimmel reagieren konnte. „Ich bin sofort zum Tierarzt. Die Ärztin hat ihn erbrechen lassen – es war eine Handvoll Wiener Würstchen. Wäre ich eine halbe Stunde später gekommen, wäre er tot gewesen.“ 80 Euro kostete die Behandlung. Milow überlebte – aber er war tagelang apathisch, hatte blutigen Durchfall. „Er wollte nicht mehr raus.“ Sie aber auch nicht.
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Im Agnesviertel herrscht seit Wochen Anspannung. Hundebesitzerinnen und -besitzer tauschen sich in Whatsapp-Gruppen aus, warnen einander vor neuen Funden. In einer der Gruppen sind mehr als 100 Menschen. Immer wieder werden Nachrichten mit Fundplätzen von Giftködern im Viertel verschickt. Im Lohsepark neben der Alhambra, bei den Fußballplätzen, haben sich zwei Hunde vergiftet, heißt es in einer der Nachrichten.
Auch Sonja Klemmstein meidet den Lohsepark inzwischen. „Die Hunde haben so eine gute Nase. Die finden jeden Krümel, den wir gar nicht sehen. Eine winzige Menge reicht“, sagt sie. Trotzdem geht sie noch in die Parks – um zu warnen. Sie sucht Büsche ab, hängt Zettel auf: „Achtung, Giftköder! Für Tiere und Kinder tödlich!“ Einige Köder seien direkt neben Spielplätzen entdeckt worden. „Da spielen Kinder, da grillen Familien – und fünf Meter weiter liegen präparierte Fleischstücke.“
Desorientierung, Schwindel, epileptische Anfälle
Giftköder seien ein häufig auftretendes Problem, teilt die Tierklinik Stommeln im Kölner Norden mit. Sowohl für Hunde als auch für Katzen, die sich frei auf der Straße bewegen können. Auch diesen Monat habe es wieder Fälle gegeben, genaue Zahlen könne man allerdings nicht nennen. Dennoch: „Wir kriegen es auf jeden Fall mit.“
Die Auswirkungen der Giftköder sind immens, reichen von Desorientierung und Schwindel zu epileptischen Anfällen bis hin zum Tod eines Tieres. Und doch sei es nicht immer leicht anhand der Symptome zu erkennen, ob es sich um einen Giftköder oder etwas anderes handelt: „Erst diese Woche wurde ein Hund eingeliefert, der versehentlich Menschenkot gefressen und dadurch Drogen aufgenommen hatte“, sagt eine Sprecherin der Klinik. Auch das passiere häufig – gerade in Parks oder Wäldern. Und gerade dann, wenn ein Tier unbemerkt etwas vom Boden frisst.

Fleischwurst ist eigentlich ein Leckerbissen für Hunde. Vom Gift merken sie zunächst nichts.
Copyright: Karina Krimmel
In diesem Fall hatte der Hund Glück. Seine Symptome fielen sofort auf, er konnte schnell behandelt werden. Anders sehe es jedoch aus, wenn Köder mit Nägeln, Splittern oder weiteren spitzen Gegenständen versehen sind. Nimmt ein Tier diese auf, seien die Schäden erst spät bemerkbar, so die Sprecherin weiter. Manchmal auch zu spät.
Dass Giftköder ein akutes Thema sind, bestätigen auch niedergelassene Kölner Tierärzte, die die Patienten an Kliniken weiterleiten. Die Schilderungen von Veterinären und Hundehaltern spiegeln sich nicht in den offiziellen Zahlen der Polizei. So gebe es eine Häufung der Fälle laut Polizei Köln nicht. „2025 lagen die registrierten Fälle bisher im mittleren einstelligen Bereich.“ Zum Vergleich: 2023 war die Zahl der Vorfälle knapp zweistellig, 2024 lag sie im hohen einstelligen Bereich. „Anhand dieser Zahlen kann die Polizei keine Zunahme von Giftköder-Fällen feststellen.“

Nicht nur Gift kann sich in den Hundeködern befinden: auch Nägel, Rasierklingen oder Scherben werden im Fleisch versteckt.
Copyright: Karina Krimmel
Streifenbeamte seien sensibilisiert worden und würden die genannten Parkanlagen verstärkt in den Blick nehmen. Hundebesitzerin Krimmel hat die Vermutung, dass viele im Veedel resigniert haben. Eine Anzeige gegen Unbekannt, sagen sie, bringe ja doch nichts – also stellen sie keine mehr.
„Ich dachte, das trifft uns nie“
Im Fall von Marie Gauthier wurde Anzeige erstattet. Am Freitagnachmittag, 17. Oktober, zieht ihr Hund Jules plötzlich an der Schleppleine – Richtung Gebüsch, nahe dem Basketballplatz am Lohsepark. Sekunden später verschwindet der Hund im Gebüsch. Als sie ihn erreicht, kaut er bereits. Am Boden liegen rötliche Fleischbrocken, vermischt mit Trockenfutter. Sie entsorgt alles, vorsichtshalber. Zu Hause lässt sie der Gedanke nicht los, dass es doch ein Giftköder sein könnte. Zwanzig Minuten später fährt sie in die Tierklinik. Dort löst eine Ärztin Erbrechen aus. Nach drei Stunden sei es dafür zu spät, sagt man ihr. Dann sei das Gift im Darm angekommen.

Jules schwebte in Lebensgefahr. Das schnelle Handeln seines Frauchens rettete ihn.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Der Verdacht bestätigt sich tags darauf. Jules’ Blutgerinnungswert liegt dreimal über dem Normalwert – ein Zeichen akuter Vergiftung. Der Hund ist in Lebensgefahr, bekommt Vitamin K und muss drei Wochen behandelt werden. Gauthier überwacht ihn in der ersten Nacht stündlich, mit Taschenlampe und Wecker, das Auto jederzeit startklar. Aus Angst, dass er innerlich verblutet. Jules überlebt.
Sobald sich Jules erholt hat, möchte Gauthier mit ihm ein Anti-Gift-Köder-Training machen und auch über einen Maulkorb denkt sie nach. An eine Anzeige habe sie an dem Freitag nicht gedacht. Zu sehr sei sie mit dem Überleben des Hundes beschäftigt gewesen.
Was tun im Ernstfall?
Auch wenn andere Sorgen erstmal überwiegen, rät die Stadt Köln Betroffenen dazu, die Polizei über den Fund von potenziellen Giftködern zu informieren und sie entweder zu fotografieren oder vorsichtig einzusammeln. Nach Möglichkeit sollen Betroffene auch die nähere Umgebung nach weiteren Ködern abzusuchen. Denn auch für Kleinkinder oder weitere Tiere können sie zur Gefahr werden.
Apps wie Dogorama sollen Hundehaltern helfen, gefährliche Orte frühzeitig im Blick zu haben. Köln liegt laut App mit rund 500 Meldungen seit 2021 bundesweit auf Platz vier hinter Berlin, Hamburg und München. 2024 seien 130 Giftköder gemeldet worden. Ob jede Meldung auch der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht nachvollziehen.

Um andere zu warnen: Hundebesitzer hängen im Viertel Zettel auf.
Copyright: Charlotte Groß-Hohnacker
Karina Krimmel hofft auf mehr Engagement der Stadt: „Ich würde mir wünschen, dass das Ordnungsamt nicht nur auf Leinenpflicht und Marke kontrolliert, sondern tatsächlich auch auf die Köder achtet. Es gibt bekannte Stellen, die man absuchen kann.“ Ihre Forderung: regelmäßige Kontrollen, Schilder in den Parks, Zusammenarbeit mit Polizei und Tierschutz. „Wir zahlen Hundesteuer, kümmern uns – und trotzdem fühlen wir uns alleingelassen.“

