„Gefahr an Schulen noch zu wenig erkannt“Wie die AfD TikTok nutzt, um Schüler zu beeinflussen

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Eine Hand hält ein Smartphone in der Hand, auf dem die TikTok-App installiert ist.

Über TikTok versucht die AfD gezielt, junge Leute anzusprechen.

Viele Kölner Schüler mit Migrationshintergrund fühlen sich nicht mehr sicher. Berichte vom AfD-Geheimtreffen in Potsdam verunsichern schon Kinder und besorgen Lehrer.

„Wir spüren derzeit sehr viel Anspannung bei unseren Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund“, sagt Andreas Niessen, der Schulleiter der Ehrenfelder Heliosschule. Das, was er und sein Kollegium in diesen Tagen auf den Fluren der Schule oder bei den Gruppenarbeiten aufschnappen, besorgt sie. „Die Kinder reden untereinander darüber, dass sie Angst haben, dass sie Deutschland bald verlassen müssen und abgeschoben werden“, schildert Niessen. Die Lage sei hochemotional. Das von Correctiv aufgedeckte Geheimtreffen in Potsdam, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion darüber fantasierten, Millionen Menschen aus Deutschland zwangsumzusiedeln, hat bei den Jugendlichen Ängste ausgelöst.

Das, was Schulleiter Niessen beschreibt, sei durchaus repräsentativ dafür, wie sich viele Kinder mit Migrationsgeschichte derzeit fühlen, sagt Patrick Fels von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Köln. Fels berät Schulen, wenn Probleme mit Diskriminierung und Rassismus auftauchen und er bekommt derzeit etliche Rückmeldungen von Lehrkräften aller Schulformen: „Sie berichten von einer ganz massiven Verunsicherung – bei den Kindern mit Migrationshintergrund, aber auch in den Familien.“ Selbst Lehrerinnen von Viertklässlern melden das schon zurück. Über allem schwebe die Frage: „Kann ich hier in Deutschland noch leben?“

Ausländerfeindliche Sticker in Klassenchats

Dass die Aufdeckung des AfD-Geheimtreffens so massive Verunsicherung auslöst, hängt aber für Fels auch damit zusammen, dass sich diese Nachricht quasi „obendrauf setzt“ auf eine subtil fremdenfeindliche Dynamik, der Kinder und Jugendliche mit Migrationsgeschichte zunehmend ausgesetzt sind.

Es ist wie der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Vieles spricht dafür, dass unterschiedliche Faktoren das gesellschaftliche Klima unter den Jugendlichen gerade unter dem Radar verändern. Problematische Klassenchats zählen dazu, aber auch die Umtriebe der AfD auf der Social-Media-Plattform TikTok. 

Denn: Wer mit Kindern und Jugendlichen über ihre Klassenchats spricht, der hört immer öfter, dass dort digitale Sticker oder so genannte Memes mit ausländerfeindlichen oder antisemitischen Inhalten geteilt werden. Da ist zum Beispiel der Sticker mit einer als „Flüchtlingsrolle“ betitelten Frühlingsrolle, in die ein Mensch eingewickelt ist. Bei einem anderen rassistischen Meme wird das Foto einer überreifen Banane mit dem Text unterlegt: „Menschen sind wie Bananen, keiner mag die Schwarzen.“

Ich würde behaupten, das gibt es an jeder Schule. Sichtbar wird aber nur die Spitze des Eisbergs.
Patrick Fels, mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Köln

Bei einer nicht repräsentativen Umfrage, die der WDR unter knapp 700 Schulleitungen durchgeführt hat, gaben fast zwei Drittel an, dass an ihren Schulen schon rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Inhalte in Chats aufgefallen seien. „Ich würde behaupten, das gibt es an jeder Schule. Sichtbar wird aber nur die Spitze des Eisbergs“, ist sich Experte Fels sicher. Denn die Klassenchats werden weder von Lehrkräften noch von Eltern eingesehen. Kommen solche Posts doch ans Licht, wird das von den Schülerinnen und Schülern damit gerechtfertigt, dass es sich um nicht ernst gemeinte Scherze handele.

Auf TikTok ist die AfD längst die stärkste Kraft

In der Regel könne man davon ausgehen, dass Schülerinnen und Schüler, die so etwas posten, nicht automatisch ein rechtsextremes Weltbild haben, meint Fels. Dennoch gebe es in fast jedem Klassenchat auch mitlesende Jugendliche, die solche Inhalte als sehr verletzend und beleidigend empfinden, auch wenn sie nicht direkt gemeint seien. Zudem würden sich rassistische und diskriminierende Aussagen durch häufiges Teilen und die vermeintlich scherzhafte Verarbeitung normalisieren.

Ein Junge liegt mit dem Smartphone auf dem Sofa.

Fast zwei Drittel der Jugendlichen ab 14 Jahren nutzt TikTok.

Verstärkend kommen die sozialen Medien hinzu: Vor allem über TikTok werden Populismus und Ausländerfeindlichkeit durch die AfD verbreitet. Die Partei hat das Potenzial dieser Hauptplattform von Kindern und Jugendlichen erkannt, um junge Menschen ohne Filter anzusprechen. Auf TikTok ist die AfD längst die stärkste Kraft. Während die etablierten Parteien TikTok bislang vernachlässigt haben, ist die AfD gezielt in dieses Vakuum gestoßen und erreicht mit authentisch wirkenden Videos die jüngere Generation.

Schon Ende 2021 nutzten mit elf Jahren bereits ein Viertel der Kinder die App und mit 14 Jahren fast zwei Drittel. Eigentlich ist TikTok eine Spaß-App mit viel Unterhaltung und Tanzvideos. Aber mit zunehmendem Alter spielt sie auch eine wichtige Rolle als Informationskanal. Jeder vierte Jugendliche in Deutschland nutzt TikTok regelmäßig, um sich zum aktuellen Tagesgeschehen zu informieren. Damit liegt die Plattform hinter Suchmaschinen und Instagram auf Platz drei der genutzten Informationskanäle im Netz.

Die AfD hat auf TikTok bereits jetzt mit Abstand die meisten Follower aller im Bundestag vertretenen Parteien. Laut einer Studie des Hamburger Politikberaters Martin Fuchs kann die AfD sechs der zehn beliebtesten deutschen Politikeraccounts für sich beanspruchen. SPD und Grüne sind in den Top Ten gar nicht vertreten. Der AfD-Landtagsabgeordnete Miguel Klauß etwa verloste unter seinen Followern zu Weihnachten einen Kalender, auf dem zwölf Abschiebeflugzeuge abgebildet waren. Mittlerweile folgen seinem Kanal rund 235.000 junge Menschen.

Der Kommunkationswissenschaftler Wolfgang Schweiger bezeichnete im SWR als bedenklich, dass TikTok – im Vergleich zu Facebook und Instagram – eine gewisse „Unbedarftheit“ auszeichne und der Populismus sich quasi subtil reinschleiche. Auf der Spaßplattform, die eigentlich zur Unterhaltung diene, würden im Feed beinahe unauffällig immer wieder auch politische Inhalte ausgespielt. So würden „arglose junge Menschen ständig mit populistischen Botschaften erreicht“. Daneben gibt es eine wachsende Community aus Influencern, die positive Inhalte über die AfD posten und Accounts die Beiträge teilen. Dabei setzt eine wachsende Zahl rechtsextremer Influencer bei ihren Botschaften und Clips bewusst auf positive Emotionen wie Stolz oder Zusammengehörigkeit statt auf offenen Hass, um die Botschaft zu verschleiern, wie die Bundeszentrale für politische Bildung mahnt.

Den meisten Lehrkräften ist die Gefahr noch nicht bewusst

Dabei ist die Gefahr, die da gerade über TikTok einsickert, bislang wohl in den Schulen noch nicht so richtig angekommen. Er selbst werde zu dem Thema bislang überhaupt noch nicht angefragt, sagte Experte Fels. Was wohl auch daran liegt, dass es mit TikTok ähnlich ist wie mit den Klassenchats: die wenigsten Lehrerinnen, Lehrer oder auch Eltern nutzen die App. Sie wissen also gar nicht, welche Inhalte dort geteilt werden. Auch die Politik wacht erst langsam auf: Die nordrhein-westfälische Kulturministerin ina Brandes (CDU) jedenfalls schlug am vergangenen Freitag im Landtag in einer Demokratie-Debatte erstmals bezüglich TikTok Alarm: „Es ist wirklich nicht zu glauben, was sich dort abspielt“, sagte sie. Junge TikTok-Nutzer würden mit Fehlinformation dazu verleitet würden, diesen Staat und die Demokratie abzulehnen. Sie forderte, dass der Kampf um die Demokratie ins Digitale verlagert und vor allem dort gewonnen werden müsse.

Eltern und Schulen müssten an einem Strang ziehen, fordert Extremismus-Experte Fels. Der Schlüssel zur Bekämpfung von Populismus und Rechtsextremismus liege in mehr Medienkompetenz. Dafür müsse es an den Schulen mehr Freiräume, mehr zusätzliche Zeit und Angebote geben. „Da ist noch viel Luft nach oben.“ Wie nötig das ist, hat nicht zuletzt ebenfalls die Correctiv-Recherche belegt: Teil der Pläne von AfD-Politikern und Rechtsextremen für eine Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland war auch die Gründung einer Agentur aus rechten Influencern. Die sollten solche politischen Inhalte gezielt auf sozialen Medien streuen, vor allem um auf die Wahlentscheidung Einfluss zu nehmen. Im Zentrum des Projekts stand TikTok.

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