Nach 16 Jahren Abwesenheit steht Oasis diesen Sommer wieder auf der Bühne. Ist es wirklich das Pop-Ereignis des Jahres? Ein Bericht aus Edinburgh.
Oasis in EdinburghSo hat ein Kölner das Pop-Ereignis des Jahres erlebt

Der Oasis-Merch-Pop-Up-Store in Edinburgh. Ohne gekauftes Ticket gab es keinen Zutritt. Am Freitag, den 8. August 2025, waren schon vormittags alle Tickets weg.
Copyright: Kevin Goonewardena
Ich sitze also in dem verdammten Flugzeug, obwohl ich das eigentlich nicht so gerne tue, in verdammten Flugzeugen zu sitzen – aber manchmal muss getan werden, was getan werden muss. Heute ist der Tag, auf den ich ein knappes Jahr gewartet habe. Mehr noch, wenn man es genau nimmt, hat es 16 Jahre gedauert. Im Oktober 2009 lösten sich Oasis auf, eine der größten Bands der 1990er Jahre. Nun sind sie wieder auf Tour und morgen wird die Britpopband in Edinburgh, Schottland, spielen. Wir werden dabei sein.
„Es wurde im Vorfeld ein ziemliches Brimborium um dieses Konzert veranstaltet“ schreibt der Kölner Autor Eric Pfeil über den Auftritt der Band aus Manchester im Kölner Gloria am 7. November 2008, und man könnte meinen, er schreibe über das Comeback der Band 2025.Als Oasis, die „größte Band der Welt“, wie sie sich stets selber sahen, 2024 ihre Comeback-Tour ankündigten, da brach förmlich das Internet zusammen. „The Great Wait is over“ ließ die Band gewohnt großspurig wissen. Es schien tatsächlich so, als habe die halbe Welt auf ihre Rückkehr gewartet.
Für Medien wie „Spiegel“ und „Bild“ war die Ankündigung einer Reihe von Oasis-Konzerten in Großbritannien und Irland die Nachricht des Tages. 14 Millionen Anfragen verzeichnete der Anbieter Ticketmaster für die eine Million verfügbaren Konzert der Tour. Die meisten Fans mussten nach oft stundenlangem Ausharren in der virtuellen Warteschlange frustriert aufgeben. Alle Shows waren sofort ausverkauft – auch die später bekanntgegebenen Termine in Asien, Australien sowie Nord- und Südamerika.
Rund 5 Millionen Menschen werden dieses Jahr Oasis live gesehen haben – es ist das Pop-Ereignis 2025. Kein Wunder, dass von Tom Cruise über Dua Lipa bis zu Metallica-Drummer Lars Ulrich zahlreiche Prominente bei den bisherigen Shows gesichtet wurden. Und dieses Ereignis lässt sich nirgendwo besser erleben, als dort, wo diese Band zum nationalen Kulturgut gehört: in Großbritannien.
Jetzt also Edinburgh
Jetzt also Edinburgh. Schon am Gate des Flughafens in Köln teilen sich die Reisenden auf: in die, die behangen mit Oasis-Merchandise ganz offensichtlich in die schottische Hauptstadt reisen, um eines der drei Konzerte im Murrayfield-Stadion, dem größten Stadion Schottlands, zu besuchen. Dann gibt es diejenigen, die aufgrund fehlender Band-Shirts, Adidas-Trainingsjacken oder Bucket Hats nicht als Konzertgänger erkennbar sind, aber trotzdem hingehen werden. Und die, die gar nicht wissen, was los ist.
Mein Freund Dennis hatte wie ich die Band auf ihrer letzten Tour bereits live gesehen, von der damals niemand wusste, dass es die letzte für die nächsten 16 Jahre sein wird. Er war in Berlin, ich besuchte das Konzert in Hamburg. Aurel und Mike werden Oasis zum ersten Mal live sehen.
Es begann in den frühen 2000ern
Meine eigene Geschichte mit Oasis beginnt im Jahr 2002, zumindest beginnt dort der Teil meiner Geschichte mit der Band, an den ich mich erinnere. Ich flog mit meiner Schwester nach London, wir flogen überhaupt zum ersten Mal, um unsere Großtante dort zu besuchen, die seit Jahrzehnten in der britischen Hauptstadt lebte. Ich komme nicht aus der Generation, die mit Vinyl aufgewachsen ist. Die Compact Disc war alles für mich, meine Sammlung entsprechend groß und auf eine Art nerdig. Maxi-CDs längst vergangener Single-Auskoppelungen, Bootlegs, B-Seiten und Raritäten – ich besaß alles Mögliche, nicht nur die Standards. Natürlich suchte ich auch in England Plattenläden auf, bei der Kette HVM fand ich unter anderem die Single „It’s Going Down“ der New Yorker DJ-Group X-ecutioners, auf der Mike Shinoda von Linkin Park zu hören ist, die Compilation „Your New Favourite Band“ der Schweden von The Hives und „The Hindu Times“, die erste Single aus dem fünften Oasis-Album „Heathen Chemistry“, dass im Juli des Jahres 2002 erscheinen sollte.

Das Murrayfield-Stadion in Edinburgh bei der zweiten der drei Shows der Britpop-Band Oasis am 8. August 2025.
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Jetzt also Edinburgh. Auf den Straßen Edinburghs sind die Oasis-Fans nicht zu übersehen. 2025 tragen sie keine Jeansjacken mit Buttons mehr, Hemden oder Clarks an den Füßen und erst recht nicht die damaligen von ihren Mod-Idolen wie Paul Weller inspirierten Frisuren der Gallagher-Brüder.
2025 trägt der Oasis-Fans Adidas, in den meisten Fällen die gemeinsam mit der Band herausgebrachte Kollektion – ein kluger Marketingschachzug des Sportartikel-Giganten, der bereits vor der Auflösung einen Schuh mit Noels Konterfei herausgebracht hatte. Auch ich gehöre dazu: Adidas mit und ohne Oasis-Bezug, Fred Perry, sogar das vierte Manchester City-Trikot der Vorsaison („Definitely City“, eine Kooperation zwischen Club und Band), musste es sein.
Britpop ist endgültig auferstanden
Als Richard Ashcroft an diesem Freitag pünktlich um 19 Uhr die Bühne des Murrayfield Stadiums in Edinburgh betritt, um das Vorprogramm von Oasis zu bestreiten, ist Britpop endgültig auferstanden. Zehntausende feiern den Ex-The-Verve-Frontmann frenetisch, zeigen sich nicht nur bei den Hits „The Drugs don’t work“ und natürlich „Bitter Sweet Symphonie“ text- und stimmgewaltig. Die Songs des schlaksigen Sängers sind kaum weniger populär als jene der Hauptband, das ganze Stadion kennt sie auswendig. Wurde John Lennon einst Blasphemie vorgeworfen, als er verlauten ließ, die Beatles seien größer als Jesus, muss nun festgehalten werden, dass Britpop in Großbritannien zweifellos zumindest eine Religion ist.
„Oasis is back in the area“, lässt Liam Gallagher die 70.0000 im Stadion wissen. Es ist 20.15 Uhr, als die 16 Jahre Warten ein Ende gefunden haben. Er und Bruder Noel (Gitarre, Gesang), Gem Archer (Gitarre), Paul „Bonehead“ Arthurs (Gitarre), Andy Bell (Bass) und Joey Waronker (Drums) waren kurz zuvor schwarzen SUV-Limousinen entstiegen, mit denen man sie ins Stadion neben die Bühne gefahren hatte, denn auch das ist Teil dieser riesigen Marketing-Maschinerie, welche die Tour begleitet. Sie hatten unter ohrenbetäubendem Jubel die Bühne betreten. Die Gallagher-Brüder Hand-in-Hand, ein Küsschen von Liam auf Noels Wange inklusive. Bruder- statt Hassliebe, die ganze Welt sollte es sehen.

Noel Gallagher, Hauptkomponist, Lead-Gitarrist und bei einigen Stücken auch Lead-Sänger, auf der Bühne im Murrayfield-Stadion im schottischen Edinburgh beim Auftritt seiner Band Oasis.
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Eine perfekte Nacht
Nichts ist dem Zufall überlassen, die Show wird perfekt sein, fast schon zu perfekt. Der Sound: gewaltig und clean, ohne Ecken und Kanten. Man könnte meinen, man habe eine Platte aufgelegt. Die Stimmung: durchgehend Gänsehaut. Jeder Song wird von Anfang bis Ende mitgesungen. Von jedem Einzelnen. Die Setlist, ein Crowdpleaser. Die Band spielt fast ausschließlich Songs der ersten drei Alben, „Live Forever“, „Rock 'n' Roll Star“, „Cigarettes & Alcohol“, „Some Might Say“, „Roll With It“– nie war die Hymnen-Dichte so hoch.Die Dramaturgie: Vollkommen. „Hello / Hello / It’s good to be back / It’s good to be back“, grüßt Liam im Eröffnungssong („Hello“).„Because we need each other / We believe in one another“, versichern die Brüder im Anschluss („Acquiesce“) und worum es heute gehen wird, folgt im Song darauf: „Tonight, I'm a Rock ‚n‘ Roll Star“ („Rock 'n' Roll Star“).
„Don’t Look Back In Anger“, „Wonderwall“ und schließlich „Champagne Supernova“ im Zugabenblock – bevor die Show mit einem amtlichen Feuerwerk endete. Welche Band, kann es sich schon erlauben, ihre größten Hits bis zum Schluss aufzubewahren?
Zwischendurch hat auch Noel seinen Moment ungeteilter Aufmerksamkeit, als er für „Talk Tonight“, „Half The World Away“ und „Little By Little“ ohne seinem Bruder auf der Bühne steht.

In rot getaucht: Die 70.000 Fans beim ausverkauften Gig der Band Oasis im Murrayfield-Stadion singen zwei Stunden lang jeden Song mit.
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Und auch dieses Konzert bleibt nicht ohne die obligatorischen Beschimpfungen aus: Die Besucher würden von der einen Milliarde, die, die Band in die Stadt bringen würde, nichts sehen, da,die „Schlangen“ des Edinburgher Stadtrates das Geld stehlen und unter sich aufteilen würden, um ihr nobles Leben zu führen, behauptete Liam. Die Band warte immer noch auf eine Entschuldigung.
Vorausgegangen waren an die Öffentlichkeit gelangte Kommentare aus einem Sicherheit-Meeting im Vorfeld der Konzerte, in denen es hieß, es sei bei den Konzerten mit einer Vielzahl von „mittelalten betrunkenen“ Männern zu rechnen, die „rowdyhaftes Verhalten“ an den Tag legen würden und „mehr Platz“ bräuchten. Auch das gleichzeitig abgehaltene Edinburg Festival, dass jährlich im August stattfindet und rund vier Millionen Besucher anzieht, wurde von Liam bedacht. Das sei etwas für „Schwertschlucker“ und „Leute, die armselige Zaubertricks aufführen“ ließ er wissen.
Balsam für die britische Seele
„Popstars der kleinen Leute“ überschrieb Eric Pfeil damals seinen Artikel im „Spiegel“ über das letzte Oasis-Konzert in Köln. Und das ist trotz des ganzen Hypes auch heute noch so. Oasis sind keine Band für Menschen, die etwas auf ihren Musikgeschmack halten, eine Band von Musikern für Musikern erst recht nicht. Oasis machen Popmusik für Normalos.
Für Großbritannien bedeutet Oasis so viel mehr als für den Rest der Welt. Die Band war immer schon größer als die Summe ihrer, wenn auch beachtlichen, Anzahl Hits. Oasis schufen nicht nur unvergessene Hymnen, sie gaben der Working Class, aus der sie kamen, eine Stimme, sie waren Vorbild für die, die davon träumten es zu schaffen. So wie die Bandmitglieder es herausgeschafft haben aus Burnage, einem Arbeiterstadtteil Manchesters. Nicht etwa, weil sie klar politisch Stellung bezogen, sich gegen etwas ausgesprochen, sich für etwas eingesetzt hätten. Ihr Lebensstil und ihr Großmaul war stets gegen die Obrigkeit gerichtet.
Und: Oasis gaben der britischen Gesellschaft ein Stück vergangener Tage zurück, ein Stück aus einer Zeit, in denen das Empire die halbe Welt umspannte, in denen Großbritanien noch Bedeutung hatte, in der zumindest Popmusik aus England noch weltweite Beachtung fand.
Edinburgher Begegnungen
Der Trip zu Oasis ist auch ein Trip der Begegnungen. Etwa mit den zahlreichen Fans an der Passkontrolle des Flughafens oder mit der Frau in den Katakomben des Stadions, die mich für einen Pakistaner hielt und fragte, ob meine Frau in der Heimat geblieben sei. Den Menschen in den Cafés der Stadt, die bei Bestellungen interessiert fragten, wo man her käme. Der Gruppe 50-Plus-Frauen aus dem Pub, die uns unentwegt zum Tanzen aufforderte, während die Pints floßen und der Kerl auf der Bühne sich von einem Cover durchs nächste spielte.
Dem Busfahrer der Highlands-Tour, die wir an dem Wochenende machten, den Oasis schon immer kalt ließ und der froh war, keine Fans dabei zu haben – wir hatten uns nicht zu erkennen gegeben. Oder meinem Sitznachbar im Stadion des Hibernian FC am Sonntag, der mir eine WhatsApp-Nachricht zeigt und mich fragt, ob der dort genannte Preis für eine Adidas-Oasis-Trainingsjacke richtig sein könne, da ich in meiner Jacke neben ihm sitze.
Dieses Wochenende wird bleiben, egal was kommt, egal wie oft wir Oasis noch sehen werden, sollte die Band uns auch nach dieser Tour noch erhalten bleiben. Alle Konzerte würden jedoch anders werden als die Shows der Comeback-Tour im Jahr 2025. Dieser einmalige Moment war all das Warten und all die Mühen beim Ticketverkauf wert. Machnmal muss man eben tun, was man tun muss.