Obdachlosigkeit in Köln„Das Problem wird größer werden“

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Obachlose Köln 100922 HEINEKAMP

Obdachlose in Köln-Deutz 

  • Anlässlich des bundesweiten Tages der Wohnungslosigkeit am 11. September fordert Sozialdezernent Harald Rau mehr Aufmerksamkeit für das Thema.
  • Rau sagt aber auch: „Wir dürfen Obdachlosigkeit nicht überromantisieren“

Köln – Den obdachlosen Menschen in Köln geht es immer schlechter, sagt Sozialdezernent Harald Rau. Was die Stadt gegen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit generell tun will, verrät er im Interview und er nennt auch die Risiken, warum es nicht funktionieren könnte.

Herr Rau, warum braucht es den Tag der Wohnungslosen?

Harald Rau: Weil wir auf das Thema aufmerksam machen wollen. Es ist ein bedrückendes Thema für die Betroffenen. Aber ich möchte auch betonen, dass wir uns als Stadt kräftig engagieren. Doch wir fragen uns auch: Tun wir genug oder nimmt da gerade etwas überhand? Eigentlich dürfte kein Mensch auf der Straße leben oder ohne Wohnraum sein.

Demnach tut die öffentliche Hand nicht genug.

Auf der einen Seite gibt es eben weiterhin obdachlose Menschen, auf der anderen Seite tun wir sehr viel, und ich finde, es gibt ein großes Engagement in der Stadt, beispielsweise die Überlebensstation Gulliver am Hauptbahnhof. Das ist aber nur ein Beispiel, es gibt viele weitere. Die EU hat sich nun als Ziel vorgenommen, die Wohnungslosigkeit bis 2030 zu besiegen, dem will sich die Stadt Köln anschließen. Aber alle wissen, wie extrem anspruchsvoll dieses Ziel ist.

Nun nimmt der finanzielle Druck auf die Bürgerinnen und Bürger gerade zu, etwa durch Inflation oder die Energiepreise. Die Lage der Wohnungslosen und Obdachlosen dürfte dadurch doch eher schlimmer werden?

Das sehe ich auch so, das Problem wird größer werden. Köln ist eine hochgradig attraktive Stadt, auch für Menschen, die weniger privilegiert sind. Ich rechne deshalb damit, dass der Anteil der wohnungslosen Menschen eher zunimmt. Krisenzeiten wie aktuell bergen immer auch einen sozialen Sprengstoff, weil sie deutlich offenlegen, wer gut versorgt ist und wer nicht. Das müssen wir im Blick haben. Vor dem Hintergrund scheint 2030 ziemlich ambitioniert. Da gebe ich Ihnen Recht. Wir sind dabei nur glaubwürdig, wenn wir massiv handeln.

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Ziele sind schnell ausgegeben.

So ist es. Aber auch die Bundesregierung will sich offenbar dem Ziel anschließen. Das lässt mich hoffen, dass wir mehr Geld erhalten, um handlungsfähiger zu werden. Aber klar ist auch: Die öffentliche Hand alleine kann nicht genug Wohnungen bauen. Wir müssen darauf achten, dass neuer Wohnraum konsequenter gemeinwohlorientiert ist. Wir müssen im Blick haben, dass wir Leute brauchen, die investieren und bauen, ja. Das kann nicht alles die öffentliche Hand tun. Die intelligentere Lösung ist, dass wir andere Rahmenbedingungen zum Beispiel in der Finanzierung und im Baurecht schaffen, damit Investoren gemeinwohlorientiert für uns bauen.

Ist das nicht riskant?

Ja, aber wir können ein gewisses Risiko gar nicht ausblenden, weil die Stadt weder das Personal noch die Flächen sowie das Geld hat, um alles selbst zu machen. Wir müssen uns darauf verlassen, dass Akteure mitmachen.

Glauben Sie wirklich, dass Investoren gerne Wohnungen für Obdachlose bauen? Da könnte es doch auch Berührungsängste geben.

Das ist ein wunder Punkt, ja. Wir dürfen Obdachlosigkeit nicht überromantisieren. Viele Menschen, die obdachlos geworden sind, haben eine Entwicklung hinter sich, sind entwöhnt von Gepflogenheiten, die den meisten von uns normal erscheinen. Sie können auch schwierige Mietende sein und sind nicht besonders willkommen bei Vermietenden, das verstehe ich auch. Es gibt aber ja auch einige Hebel, einer davon ist die Finanzierung. Die Stadt zahlt verlässlich die Mieten für diese Menschen.

Wie nehmen Sie die Haltung des Stadtrates in der Frage der Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit wahr?

Dort gibt es eine sehr hohe Aufmerksamkeit dafür. Aber der Rat und die Verwaltung werden vor der Herausforderung stehen, die Interessen der Gemeinwohlorientierung und die Interessen der Investoren zusammenzubekommen. Da sind wir in Köln im Wohnungsbauforum auf einem Weg, uns immer weiter anzunähern. Aber noch stehen sich die Positionen gegenüber. Das ist letztlich eine anspruchsvolle politische Frage: Welche Grundhaltung überwiegt? Um ein gutes Beispiel zu nennen: Es gibt Genossenschaften, die Geld verdienen. Es kann also funktionieren, mit gemeinwohlorientiertem Bauen Geld zu verdienen.

Wie viele obdachlose Menschen gibt es in Köln?

Da reden wir von geschätzt 300 Menschen.

Nicht mehr?

Etliche derer, die als auf der Straße lebend erscheinen, haben ein Dach über dem Kopf. Wahrscheinlich überschätzen wir vom Straßenbild her die Zahl der Obdachlosen. Was wir aber feststellen, ist, dass Obdachlose heutzutage kränker, hilfloser und schutzloser als früher sind.

Warum?

Darüber lässt sich nur spekulieren, ganz genau lässt sich das nicht sagen. Eines der wesentlichen Motive in der Gesellschaft, etwas gegen Obdachlosigkeit zu tun, hat damit zu tun, dass Menschen sich eine saubere und sichere Stadt wünschen, in der kein Elend zu sehen ist, beispielsweise am Neumarkt. Zu einer Stadt gehören aber alle Menschen – privilegierte, aber auch weniger privilegierte. Köln ist eine diverse Stadt und als Gesellschaft müssen wir lernen, damit umzugehen, dass dies nicht nur positive Seiten hat. Es ist nicht einfach, aber wir müssen Verständnis für einander und die Lebensumstände entwickeln. Das heißt nicht, dass man wegsieht und Dinge verharmlost.

Was heißt das?

Die betroffenen Plätze wie zum Beispiel Neumarkt, Ebertplatz oder Wiener Platz sollen eine Gemeinschaft bekommen, die sich kümmert. Sie soll aber Obdachlose einbeziehen. Ob es am Ende ein Kümmerer wird oder ein anderes Konstrukt gefunden wird, muss man sehen.

Also nicht nur ein Container als Anlaufstelle wie am Neumarkt?

Nein. Der war schnell nötig, kann aber nicht die endgültige Lösung sein. Am Ebertplatz haben wir das ehrenamtliche Engagement gut beobachten können, das kommt jetzt immer mehr auch am Neumarkt: dass die Anwohnenden merken, wir dürfen nicht nur fordern von der Stadt, sondern präsentieren selbst auch Ideen.

Das machen sie aber, weil sie sich von der Stadt im Stich gelassen fühlen.

Nur behördliche Arbeit tut aber auch nicht gut, wir brauchen die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Auch die Kapazitäten der Stadt haben Grenzen. Ich kann absolut verstehen, dass Anwohnende der großen Plätze morgens nicht erstmal Exkremente vor ihrer Tür wegmachen wollen. Umso wichtiger sind Sanitäranlagen. Wir wollen obdachlose Menschen nicht vertreiben, sie sollen sich dort aufhalten, aber unter sozial akzeptierten Normen.

Wohnungslosigkeit in Köln

8170 Menschen sind laut der letzten aktuellen Statistik in Köln wohnungslos. Zu den Wohnungslosen zählen Menschen in Unterbringungen der Stadt, bei freien Trägern oder auch Menschen, die aktuell keine Wohnung haben und bei Freunden unterkommen.

Eine weitere Gruppe der Wohnungslosen sind die obdachlosen Menschen. Die Stadt selbst geht aktuell von rund 300 Obdachlosen in Köln, demnach sind Männer in der großen Überzahl, die größte Altersgruppe ist zwischen 30 und 59 Jahren alt.

Die zentralen Veranstaltungen zum bundesweiten Tag der Wohnungslosigkeit am 11. September finden in Köln am Mittwoch, 15. September, 13 bis 17 Uhr, am Rudolfplatz und Kalk-Post statt. Dort gibt es Theater, Musik und kontakt zu Beratungsstellen.

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