Interview zur PflegeWenn der Ehemann die mütterliche Funktion übernimmt

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Was muss man beim Thema Pflege beachten?

Herr Prof. Gerlach, können Sie erklären, mit welchen Problemen es ältere Menschen zu tun haben, wenn einer der beiden Partner plötzlich auf die Hilfe und Fürsorge des anderen angewiesen ist? Gerlach: Es geht aus psychologischer Sicht gar nicht so sehr um die Pflegeaufgaben, mit denen die betroffenen Eheleute plötzlich konfrontiert sind, sondern um die Veränderung der Rollen. Egal, ob die Ehefrau dann (wieder) ihre mütterliche, fürsorgende Funktion einnimmt, die sie vielleicht hatte, als sie Kinder aufgezogen hat, oder der Mann diesen Part übernimmt.

Wie verändert sich denn die Rolle, wenn einer der Lebenspartner plötzlich an einer schweren Krankheit leidet oder sich eine Demenzerkrankung zu immer größeren Schwierigkeiten im Alltag führt?

Bei einem Ehepaar, das sich bis dahin hoffentlich schätzend und unterstützend erlebt hat, im besten Fall auf Augenhöhe interagiert hat, muss der sich kümmernde Partner erleben, wie das Gegenüber langsam schwindet, und irgendwann vielleicht gar nicht mehr da ist. Dabei ist weniger die zunehmende Sorge um die Person ausschlaggebend für die Rollenveränderung, sondern der Verlust des Gegenübers. Das ist das viel größere Thema. Bei einer schwerwiegenden Beeinträchtigung wie Krebserkrankungen, Schlaganfallen oder Demenz ist dann, oft plötzlich, nichts mehr so wie es vielleicht sehr lange war. Und dazu kommt, dass man unweigerlich mit den Fragen der eigenen Endlichkeit konfrontiert ist.

Können Sie diesen Verlust noch konkreter erklären?

Bleiben wir bei der Demenz:  Die sich kümmernde Person muss dann erleben, wie der Partner immer weniger spürbar ist, seine Art sich ändert, die Persönlichkeit, sich diese womöglich sogar ins Negative dreht. Die Person erlebt diesen Verlust, dieses Abnehmen eines Gegenübers und muss Trauerarbeit leisten. Sich um das Aufwachsen von Kinder mit all der einhergehenden Pflege und Fürsorge zu kümmern ist auch anstrengend. Für die aufgewendete Kraft gewinnt man aber den Blick auf die Entwicklung eines werdenden Menschen, einen Gewinn durch Wachstum.

Haben Menschen Probleme, diese Trauerarbeit sich selbst gegenüber zuzulassen?

Da muss man den Kontext miteinbeziehen. Wenn ich mir zwei ältere Herrschaften vorstelle, dann muss man ja bei beiden davon ausgehen, dass schon Veränderungen eingetreten sind. Dann ist das etwas anders, als wenn etwa eine Ehefrau ihren Mann begleitet, bei dem die (demenzielle) Erkrankung schon in den 50ern eintritt. Wenn man aus der Mitte des Lebens einen solchen Verlust begleiten muss, dann ist eine etwas andere Ausgangsposition als in einem Kontext, wo beide schon betagt sind und mit Einschränkungen schon mehr Erfahrung haben. Andererseits ist Ende 50 vielleicht der Freundeskreis größer, man ist körperlich noch agiler – und ist vielleicht eher in der Lage, sich Unterstützung und Hilfe zu holen.

Wenn also die Erkrankung im höheren Alter eintritt, ist der Verlust nicht so schmerzhaft?

Oft ist das so, weil Einschränkungen zum Beispiel körperlicher Art meist mehr bekannt sind als wenn man jemand aus der Mitte ihres/seines Lebens gerissen wird.

Welche Strategien empfehlen Sie für die Bewältigung der Problematik?

Ganz unabhängig vom Alter und der Art der Erkrankung empfehle ich den pflegenden Personen, sich bewusst zu machen, dass das eigene Lebensglück genauso wichtig ist wie das Lebensglück des Partners. Das bedeutet: Die sorgende Person muss sich genauso um sich kümmern wie um ihr Gegenüber. So wie man Pflegekräften ihren Feierabend und ihr Wochenende gönnt, sollten für die sorgende Person genauso Freiräume entstehen.

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Das ist oft nicht so einfach zu organisieren, wenn nicht noch andere Angehörige, Kinder parat stehen….

Das stimmt. Und man muss auch sagen, dass der Staat an der einen oder anderen Stelle knauserig ist, und es recht kompliziert ist, das Sozialsystem zu durchschauen. Aber ich empfehle dringend, jede Art der Unterstützung in Anspruch zu nehmen.  Auch wenn es eine echte Herausforderung ist, sich mit dem Sozialsystem auseinanderzusetzen. Zu schauen, ab wann kann man welche Pflegestufe beantragen kann, was das finanziell bedeutet, was die Versicherung trägt und was nicht…das ist ganz schön viel Arbeit und mitunter überfordernd. Daher ist es sinnvoll, sich frühzeitig darum zu kümmern. Denn der Staat kommt meist nicht auf die Idee, selber aktiv zu werden. Man muss sich selbst kümmern. Ich sage nicht, dass das, was der Staat anbietet, immer ausreicht, aber die Hilfe, die es gibt, sollte man nehmen. Dafür hat man ja jahrelang in die Solidargemeinschaft einbezahlt.

Wenn das nicht geschieht?

Wenn sich der Sorgende in einem Übermaß einschränken muss, läuft meist etwas schief. Dann kippt das System. So ist es z. B. ein bekanntes Phänomen, dass pflegende Angehörige auch Aggressionen entwickeln können oder übergriffig werden. Und zwar aus eigener Not heraus, weil sie die kontinuierliche Belastung auf Dauer nicht verkraften.

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