Prozess in KölnAngeklagter habe sich nur kurz vor Bluttat islamistisch radikalisiert

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Mohammed J. beim Prozessauftakt

Mohammed J. beim Prozessauftakt

Köln – Mohamed J., dem versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung zur Last gelegt werden, scheint sich nicht lange vor der Bluttat am 9. Oktober 2018 in Gremberg islamistisch radikalisiert zu haben. Das geht aus der Aussage eines Zeugen hervor, der am Montag vor dem Landgericht schilderte, wie er den 31-jährigen Tunesier als Nachbarn erlebt hat. Der Anklage zufolge geriet Mohamed J. in einen Streit mit einem heute 29 Jahre alten Marokkaner, bedrohte ihn und stach mehrmals mit einem Messer auf ihn ein.

Nachdem der Mann zu Boden gegangen war, soll der Angeklagte ihn getreten haben, bevor er in die nahe gelegene Moschee ging. Das Opfer war so schwer verletzt, dass es zu verbluten drohte. Als Auslöser der Tat nimmt die Staatsanwaltschaft an, der Marokkaner habe sich daran gestört, dass Mohamed J. ihn mit einem Facebook-Post in einen Zusammenhang mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gebracht habe. Daran, wie der Angeklagte selber zu ihr steht, hat er mit verherrlichenden Äußerungen keinen Zweifel gelassen.

Sofa mit „15 bis 20 Messereinstichen“

Der 50-jährige Zeuge sagte, Mitte Juli 2018 sei er in das Mietshaus in Stammheim eingezogen, in dem Mohamed J. mit seiner deutschen Frau lebte. Von Balkon zu Balkon seien sie das erste Mal in Kontakt gekommen. Mohamed J. sei „westlich“ gekleidet und sehr freundlich gewesen. Im Laufe der Zeit mutmaßte der Zeuge, in der Nachbarwohnung würden Drogen konsumiert. Einmal besuchte er Mohamed J. und war befremdet, ein Sofa mit „15 bis 20 Messereinstichen“ zu sehen.

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Auf dem Balkon habe ihm der Nachbar Schnittwunden am Arm gezeigt, die er sich „aus Verzweiflung“ beigebracht habe: Er habe einen Brief bekommen, in dem ihm die Abschiebung angedroht werde. „Er wirkte aufgelöst und hilflos“, sagte der Zeuge. Außerdem habe Mohamed J. vom „schlechten Umgang in Kalk“ gesprochen, und er, der Zeuge, habe ihm geraten, „sich von diesen Kreisen fernzuhalten“.

Verblüffter Nachbar trifft Angeklagten in Kaftan

Ein paar Wochen später traf der verblüffte Nachbar Mohamed J. im Hausflur in einem Kaftan. Im ersten Moment habe er sich gefragt, ob es seine „staatsbürgerliche Pflicht“ sei, die Beobachtung „zu melden“. Doch weil Mohamed J. so freundlich wie immer gewesen sei, habe er die Idee fallen lassen.

Zu den Zeugen, die am Montag gehört wurden, zählte auch ein Polizeibeamter, der eine Vertrauensperson führt, die sich im Kalker Milieu bewegt. Diese habe ihm vom Hörensagen berichtet, was sie über die Tat und den Hintergrund wisse, sagte der Polizist. Mohamed J. und der Marokkaner würden sich schon länger kennen und hätten gemeinsam Taschendiebstähle begangen. Zur Frage der Radikalisierung habe der Informant gesagt, Mohamed J. habe eine „Wesensveränderung“ durchgemacht, „sich einen längeren Bart wachsen lassen“ und sei zu einem „merkwürdigen Kerl“ geworden, dessen Gerede man allerdings nicht ernst genommen habe.

Ex-Freundin bezeichnet ihn als „Algerier“

Teilte der Marokkaner die radikalislamischen Anschauungen? Seine Ex-Freundin verneinte im Zeugenstand die Frage. Sonderbar war, dass sie ihn stets als „Algerier“ bezeichnete.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

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