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„Es ist abgefahren“Warum plötzlich so viele Kölner Rennrad fahren

6 min
Rund um Köln

Das Rennen "Rund um Köln“ profitiert vom Rennrad-Hype.

Wohin man auch blickt: Quer durch Köln jagen plötzlich Menschen in bunten Trikots und auf schmalen Reifen an einem vorbei. Der nächste Poser-Sporttrend für die urbane Elite? Nicht nur.

Dienstagabend, 19 Uhr, hinter Köln-Pesch: Wie ein aggressiver Wespenschwarm klingt es, wenn rund 40 Rennradfahrer dicht gedrängt die Landstraße entlangrollen. Das Surren kommt aus den Freiläufen ihrer Räder. Wie jeden Dienstag hat das „Racing Team Cölle“ – kurz RTC – zur Ausfahrt geladen. Und das ist längst nicht der einzige „Social Ride“ an diesem Abend. Selbst der RTC bietet mehrere Varianten an, abgestimmt auf Tempo und Distanz. Dazu gesellen sich weitere Ausfahrten von vielen Vereinen, Radwerkstätten und Online-Gruppen, die rund um Köln ihre Runden drehen.

Corona, Bike-Leasing und Social-Media Gründe für den Rennrad-Hype?

Rennradfahren boomt. Wohin man auch blickt: Quer durch Köln jagen plötzlich Frauen und Männer in bunten Trikots und auf schmalen Reifen an einem vorbei. „Es ist wirklich abgefahren“, sagt RTC-Vorstand Ali Moazami. „Als ich vor Corona in den Verein kam, hatten wir 80 Mitglieder. Vor kurzem haben wir die 250 geknackt.“ Und das sind nur die Eingeschriebenen – bei den Ausfahrten sind oft noch viele weitere dabei, die nicht Mitglied im Verein sind. Zumindest noch nicht.

Den Eindruck vom Rennrad-Hype bestätigt auch Markus Frisch, Geschäftsführer der Ausdauersport GmbH, die neben dem Köln-Marathon und dem Triathlon auch das Radrennen „Rund um Köln“ veranstaltet. „Im ersten Jahr nach Corona war es noch relativ zäh mit 3500 Startern beim Jedermannrennen. Mittlerweile sind wir Monate vor dem Start im Mai mit 8500 Teilnehmern ausgebucht.“

Das Racing Team Cölle bei der Gruppenausfahrt

Das Racing Team Cölle bei der Gruppenausfahrt

Die Corona-Pandemie sei ein Grund für den Boom, aber nicht der einzige: „Während der Pandemie haben alle Ausdauersportarten einen großen Zulauf erfahren. Beim Rennradfahren kam dann das Thema Bike-Leasing hinzu, mit dem viele Menschen über ihren Arbeitgeber relativ einfach hochwertige Fahrräder finanzieren können.“ Das habe Vielen den Einstieg in den Sport erleichtert, so Frisch. „Und dann ist da natürlich Social Media: Innerhalb kürzester Zeit sind wahnsinnig viele Gruppen entstanden, denen man sich für eine Gruppenausfahrt einfach anschließen kann.“

Ali Moazami vom Racing Team Cölle

Ali Moazami vom Racing Team Cölle

Ali Moazami vom RTC kann sich noch gut erinnern, als das anders war: „Vor acht Jahren standest du mit deinem Rennrad-Outfit nach der Ausfahrt am Kiosk und wurdest schräg angeguckt. Das war super uncool.“

Heute ist der Sport in ganz anderen Milieus angekommen. Vom Klischeebild des älteren Mannes, der sich im Team-Telekom-Trikot verbissen die Berge im Umland hochquält, ist jedenfalls nicht viel übriggeblieben. „Auch die jungen und hippen Leute fahren jetzt Rennrad. Der Sport ist zum Lifestyle geworden“, sagt Moazami.

Rennradfahren als Lifestyle – davon versteht der 2021 gegründete „Rose Racing Circle“, benannt nach dem deutschen Radhersteller Rose, einiges. In der wachsenden Social-Media-Community der Radszene fällt der Verein mit schrillen Trikots und kurzen, cool geschnittenen Videos auf. Mit Deutschrap unterlegt, sieht man den „Racing Circle“ dort nicht nur schnell Fahrrad fahren, sondern auch mal auf einem Rave oder mit Kölschkranz vor der Eckkneipe feiern. In Köln hat der Verein sowas wie seinen inoffiziellen Stammsitz, organisiert hier auch eine Gruppenausfahrt.

Nachwuchsprobleme im Radsport noch groß

„Wir alle haben uns in unseren Teams nicht mehr so richtig wohlgefühlt, in denen wir gefahren sind. Mit dem Racing Circle wollten wir einen Verein gründen, bei dem wir zeigen können, dass der Radsport mehr Facetten hat als verbissenes Training und Konkurrenzkampf“, sagt Luis Neff, einer der Gründer. „Vibe based performance“, auf Deutsch übersetzt so viel wie „Stimmungsbasierte Leistung“ ist das Motto des Vereins. „Wir wollten den Leuten die Möglichkeit geben, ihre Motivation für den Sport hier auszuleben, ohne ihnen etwas aufzuzwingen. Ohne, dass man sich von einem 50-jährigen sportlichen Leiter knechten lassen muss.“

Gleichzeitig, sagt Neff, ginge es schon auch darum, Erfolge einzufahren. Der Verein tritt unter anderem bei internationalen Gravel-Rennen an, bei denen vor allem auf Schotter, abseits des Asphalts gefahren wird. „Nur Bier trinken geht natürlich auch nicht, sonst nimmt uns irgendwann keiner mehr ernst. Wir haben ja auch Sponsoren, die für das alles zahlen.“ Bisher klappe der Spagat aber gut, sagt Neff.

Jil Brünger (r.) mit einer Kollegin vom Rose Racing Circle.

Jil Brünger (r.) mit einer Kollegin vom Rose Racing Circle

Jil Brünger, ebenfalls Teammitglied, fährt erst seit zwei Jahren Rennrad. „Ich bin also selber Opfer des Rennrad-Hypes“, sagt sie. „Eigentlich komme ich aus der Leichtathletik, aber nach dem vierten Kreuzbandriss habe ich endlich auf meinen Orthopäden gehört und mit dem Rennradfahren angefangen.“

Der Hype mache den Sport nicht nur jünger, sondern auch weiblicher, so Brünger. „Ich finde es richtig cool, dass man inzwischen so viele Frauen auf Rennrädern sieht“, sagt Brünger. „Trotzdem ist es noch immer nicht leicht, Frauenteams zu finden – damit habe ich mich am Anfang schon schwergetan. Aus der Leichtathletik kenne ich das ganz anders.“ Einmal habe sie ein älterer Mann bei einer Ausfahrt gefragt, was sie als junge Frau zum Rennradfahren bringe. „Da wusste ich erst gar nicht, was ich sagen soll – und habe zurückgefragt, warum er als Mann denn fährt.“

Mittlerweile habe ich oft das Gefühl, dass es mehr darum geht, was für ein Trikot man anhat oder welches Rad man fährt, als dass man die gleiche Passion teilt.
Luis Neff, Rose Racing Circle

Von diesem Hype profitiere der Racing Circle immens, sagt Neff. „Und doch sehe ich das persönlich auch durchaus kritisch. Mittlerweile habe ich oft das Gefühl, dass es mehr darum geht, was für ein Trikot man trägt oder welches Rad man fährt, als um die Passion, die man teilt. Das jedenfalls war früher nicht so.“

Ist Rennradfahren am Ende also vor allem ein individualistischer Poser-Sporttrend für die urbane Elite? Immer wieder gibt es jedenfalls Berichte darüber, dass vom Hype an der Basis wenig ankommt, dass gerade die Nachwuchsförderung im Sport auf der Strecke bleibt, immer weniger Rennen für Jugendliche angeboten werden.

„Ich glaube schon, dass der Radsport da noch ein Problem hat. Es ist und bleibt ein Sport mit hohen Einstiegshürden. Man braucht viel Geld für das Material. Menschen, die nicht so privilegiert sind, können sich das schlicht nicht leisten“, sagt Jil Brünger. „Gleichzeitig haben wir einen Verband, der zumindest von außen altbacken und ein wenig beratungsresistent wirkt“, sagt Jil Brünger.

Auch Ali Moazami sieht Probleme bei der Nachwuchsförderung. „Es ist nicht leicht, ein vernünftiges Jugendtraining anzubieten. Man braucht nicht nur Geld, um Vereinsräder anzubieten, sondern auch Trainer mit der nötigen Ausbildung und der Zeit, das zu stemmen.“ Auch der RTC bietet bisher kein Jugendtraining an.

Moazami glaubt aber, dass sich das bald ändert: „Wir sehen auch an unserem Verein, dass sich immer mehr Leute engagieren, dass sie nicht nur den Lifestyle feiern, sondern auch die Gemeinschaft eines Vereins suchen und sich einbringen wollen. Und das kommt auch immer mehr dem Nachwuchs zugute.“

Helfen könnte da auch der Erfolg des deutschen Rennfahrers Florian Lipowitz bei der diesjährigen Tour de France, der überraschend aufs Podium und in das weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers fuhr – und den Hype des Sports weiter entfacht. Das glaubt auch Jil Brünger vom Racing Circle: „Wenn die, die jetzt mit dem Rennradfahren anfangen, irgendwann Kinder bekommen und ihre Leidenschaft weitertragen, wird das auch der Nachwuchsförderung zugutekommen.“ Bis dahin dauere es aber wohl noch ein paar Jahre.