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Verschwundene StadtteileSpurensuche im Autobahnkreuz

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Rondorf – Auf dem Kupferstich „Der Kölner Schwaidt“ von 1610 tauchen viele Ortsnamen auf, die es heute noch im Kölner Süden gibt. Hochkirchen gehört nicht dazu. Bis auf den Rodderhof existierte die Siedlung genau genommen vor Mitte des 18. Jahrhunderts überhaupt nicht. Der Ort ist aber nicht nur vergleichsweise jung, er blickt obendrein auf eine recht kurze selbstständige Existenz zurück

Sein Ende verdankt er seinem rasanten Wachstum nach dem Krieg. Heute gehört Hochkirchen zu Rondorf, ist mit dem Nachbarort zusammengewachsen. Und doch reichte die kurze Autonomie offenbar aus für eine eigene, klar abgegrenzte Identität der Bewohner. Nicht nur, dass sich die je eigenen Karnevalsgesellschaften der beiden Ortsteile regen Zuspruchs erfreuen. Auch die Richtung des gemeinsamen Umzugs wechselt jährlich, damit sich niemand benachteiligt fühlt. Im einen Jahr ziehen die Karnevalisten von Rondorf nach Hochkirchen, im nächsten von Hochkirchen nach Rondorf. „Die imaginäre Grenze hat es immer gegeben, und es wird sie auch immer geben“, sagt Hermann Nied, Pressesprecher der Hochkirchener Karnevalsgesellschaft „Der Reiter“. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen ist – Hochkirchen ist nicht nur eine Ansammlung von Neubaugebieten. Der Ort hat eine eigene Geschichte.

Das Standardwerk zur Geschichte Hochkirchens (und wohl das einzige Werk dazu überhaupt) verfasste Oswald Weiler, „Konrektor im Ruhestand“, im Jahr 1988. Weiler starb vor 18 Jahren. Im Vorwort äußert er den Wunsch, damit einen Anreiz zur Erforschung der Geschichte „unserer Heimat“ zu bieten.

Also machen wir uns auf nach Hochkirchen, über die Bonner Straße, am Bonner Verteiler und am Autobahnkreuz Köln-Süd vorbei, biegen ab in die Straße Am Wasserwerkswäldchen, überqueren die Autobahn und erreichen bald die ersten Häuser von Hochkirchen hinter einer Anhöhe. Etwas abseits des früheren Dorfkerns und auf jener kleinen Anhöhe, gut geschützt vor den regelmäßigen Hochwassern des Rheins, steht heute noch das Herrenhaus des früheren Rodderhofes, erbaut laut Inschrift im Jahr 1777. Die Geschichte des Hofes reicht jedoch bis ins 14. Jahrhundert zurück. Er gehörte ursprünglich zum Besitz des Stifts Sankt Severin. Als Pfannkuchenrode findet sich das Gut schon auf der Karte von 1610. Den Namen ihrer Ortschaft verdanken die Hochkirchener aber anscheinend einem Zugezogenen. Ein Mann dieses Namens ließ sich angeblich Mitte des 18. Jahrhunderts in der Gegend nieder und erwarb einen Hof. Er soll aus Liblar stammen. Mehr ist über das Leben des Bauern nicht bekannt. Sein Gut, im heutigen Autobahnkreuz gelegen, muss die Keimzelle des späteren Dorfes gewesen sein. Mit fünf weiteren Häusern und dem Zehnpfennigshof bildete es die Ortschaft Hochkirchen.

Die Bonner Landstraße führte damals direkt am Grundstück vorbei. Viele Fuhrleute rasteten hier, stärkten sich und ihre Pferde auf dem Weg von Köln nach Bonn, Koblenz oder Mainz. Eine halbe Meile vom Kölner Zentrum entfernt kannte man den Hof lange Jahre unter dem Namen Halv Miel. Heinrich Barth, ein Nachkomme des Herrn Hochkirchen, eröffnete Anfang des 20. Jahrhunderts eine Raststätte für Reisende. „Zur Halv Miel“ nannte er seine Restauration. Der Halv-Miel-Ring in Hochkirchen erinnert daran. Auf einer Ansichtskarte („Gruss aus Hochkirchen“) von 1903 ist vor dem Haus ein Automobilist zu sehen – ein Arzt mit seinem neuen Auto, wie Weiler berichtet – mit Gummireifen unter seinem noch sehr kutschenähnlichen Gefährt. Der Fortschritt war nicht aufzuhalten.

1905 wurde ganz in der Nähe das Wasserwerk Hochkirchen in Betrieb genommen, um auch die wachsenden Dörfer mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. 1887 zählte Hochkirchen noch 20, im Jahr 1926 schon 96 Einwohner. Im gleichen Jahr begann der Bau einer Straßenbahnersiedlung an der Rodenkirchener Straße. Die zwölf Häuser erhielten von den Bürgern den Beinamen „Zwölf Aposteln“. Die Hoffnung der Rondorfer, dass bald darauf ein Anschluss an das Kölner Straßenbahnnetz folgen würde, blieb bis heute unerfüllt.

Hochkirchen gehört als Ortschaft zum Kölner Stadtteil Rondorf. Früher eigenständig, ist heute keine Grenze zwischen den beiden Orten mehr zu erkennen. 1888 wurde die Verwaltungseinheit, zu der unter anderem Rondorf und Hochkirchen zählten, nach Köln eingemeindet. 20 Einwohner wurden zu diesem Zeitpunkt in Hochkirchen gezählt. In den folgenden Jahren wuchs der Ort rasant. 1950 zählte Hochkirchen 396 Einwohner. 1975 verschmolz Hochkirchen auch verwaltungstechnisch mit Rondorf, die Einwohner wurden nun zusammengezählt. Ende 2013 lebten 9492 Menschen in Rondorf. (phh)

Die Stadt Köln ist in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder über ihre Grenzen hinausgewachsen – und hat sich dabei Gehöfte, Burgen und Weiler einverleibt, nach denen zwar heute keine Stadtteile benannt sind, deren Spuren jedoch vielerorts die Zeit überdauert haben. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ widmet sich diesen versunkenen Stadtteilen in einer kleinen Reihe. (ksta)

1928 wurde die Autobahn gebaut und nach und nach ausgebaut. Nach der Halv Miel und den angrenzenden Häusern fiel 1937 auch die Villa Sophienhöhe der Spitzhacke zum Opfer, Eigentum der Stollwerck-Brüder und zeitweise bewohnt von Heinrich Stollwercks Tochter Sophie. Eine andere Straße im heutigen Hochkirchen, An der Sophienhöhe, erinnert an die Villa. Doch nicht nur der Name ist geblieben. Im Wald neben dem Autobahnkreuz stehen heute noch die Alleebäume, die einmal die Zufahrt zur Villa gesäumt haben. Wer genau hinsieht, erkennt aus bestimmten Blickwinkeln inmitten des verwilderten Dickichts neben der Straße Am Wasserwerkswäldchen die zwei Reihen dicker, stämmiger Bäume, die viel älter sind als ihre Nachbarn.

Auf der anderen Seite der Autobahn wuchs Hochkirchen weiter. Die Grenze zwischen Rondorf und Hochkirchen schwand zusehends. 1975 wurden beide Ortschaften zusammengelegt.

Kurz zuvor etablierten die Hochkirchener noch ihren eigenen Karnevalszug. 1963 fand der erste statt. 1965 wurde die Karnevalsgesellschaft „Der Reiter“ in den Karnevalsverband aufgenommen. Dass der Umzug in jedem Jahr die Richtung wechselt, ist wohl bis heute Ausdruck der verblassenden Hochkirchener Eigenständigkeit.