Köln-SürthAutor Moritz Netenjakob zeigt sein Veedel

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Der Autor, Comedian und Kabarettist Moritz Netenjakob vor dem Sürther Bootshaus, einem Lokal, das vor allem im Sommer sehr besucht ist. Die besten Ideen kommen am Fluss.

Der Autor, Comedian und Kabarettist Moritz Netenjakob vor dem Sürther Bootshaus, einem Lokal, das vor allem im Sommer sehr besucht ist. Die besten Ideen kommen am Fluss.

Sürth – Der Mann ist ein Spießer. Und nicht nur das. Er ist sogar „mit Freude spießig“. Seitdem Buchautor Moritz Netenjakob am südlichen Stadtrand von Köln lebt, pflegt er augenzwinkernd ein Image, das man mit Blick auf den Titel seines ersten Bestsellers „Macho Man“ zunächst nicht vermuten würde.

Netenjakobs Eltern, zwei veritable Alt-68er, die ihren Sohn seinerzeit vom Religionsunterricht befreien ließen, aus Angst, der Junge könnte indoktriniert werden, müssen trotzdem nicht fürchten, alles falsch gemacht zu haben. Der Wandel vom liberalen Südstädter zum bekennenden Kirschlorbeer-Fan hat schlicht mit der Erkenntnis zu tun, „dass alles, was gerne als spießig bezeichnet wird, oft einfach nur praktisch ist“.

Ein anderer Menschenschlag

Seitdem er einmal erfahren habe, wie anstrengend es sei, einen Rasen nach drei Wochen des wilden Wachstum wieder kurz zu kriegen, lache er nicht mehr über die, die jeden Samstag ihren Mäher aus dem Schuppen holen, sagt Netenjakob. Trotzdem legen seine Frau und er keine Wachstuchdecke auf die sommerliche Kuchentafel, obwohl abwaschbares Material im Fall einer im Flug über die Terrasse inkontinent werdenden Taube zweifelsohne praktischer wäre als die Stoffausgabe.

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Wir sitzen in der Eisdiele an der Sürther Hauptstraße, wo in der Mittagszeit der Kaffeeduft von Pizzaaromen übertüncht wird. Moritz Netenjakob hat einen Kaffee bestellt. Das tut er immer dort, wo er befürchtet, dass der Tee nicht ganz seinen Vorstellungen entspricht. Seitdem er „von der türkischen Fraktion auf die Teeseite“ gezogen wurde, trinke er im Zweifelsfall lieber Kaffee, erklärt der 45-Jährige mit Blick auf seine angeheiratete türkische Familie.

Hülya, seine Frau, arbeitete damals als Regie-Assistentin in der Stunksitzung, als er als Autor (nach dem Ausscheiden von Jürgen Becker) mit ins Team geholt wurde. So lernte das Paar sich kennen.

Hülyas Eltern hatten von Anfang an keine Bedenken gegen den Mann, der optisch durchaus auch als Südeuropäer durchgehen könnte. Doch spätestens in dem Moment, als der Schwiegervater bei seinem ersten Besuch in Sürth auf dem Deck des Sürther Bootshaus sitzend sah, dass es hier „beinahe so schön wie an der türkischen Ägäis“ ist, stand unumstößlich fest, dass es die Tochter gut angetroffen hat im kalten Deutschland.

Einer der großen Vorzüge von Sürth ist die Nähe zum Wasser.

Einer der großen Vorzüge von Sürth ist die Nähe zum Wasser.

Wenn im Sommer Besuch komme, sei das Sürther Bootshaus ein Muss, sagt Netenjakob und lobt den Ostfriesentee. Dieser und die Pfannkuchen mit Schafskäse und Kapern machten die bisweilen spröde Bedienung wett.

Inzwischen hat Netenjakob sich daran gewöhnt, in seinem neuen Wohnumfeld einen anderen Menschenschlag anzutreffen, als in der Südstadt. Vielleicht sei der bis heute spürbare Dorfcharakter des Veedels ursächlich dafür, dass der Sürther Menschen von außerhalb mitunter als Eindringlinge betrachte und entsprechend behandle. Ihm selber gefalle „diese Mischung aus altem Dorfkern und Neubausiedlungen, die sich drumherum entwickeln. Hier sind viele wie wir aus der Innenstadt rausgezogen“.

Er selbst ist total glücklich über die eher zufällig erfolgte Wahl seines Wohnsitzes. „Es hatte mit dem U-Bahn-Bau zu tun, dem ständigen Lärm um uns herum und mit der Sehnsucht nach einem Garten.“ Gleich das erste Haus, dass er und seine Frau sich 2008 ansahen, hatte alles, was sie sich gewünscht hatten. „Und dass Sürth so toll liegt, haben wir eigentlich erst gemerkt, als wir bereits eingezogen waren.“

Die katholische Pfarrkirche St. Remigius.

Die katholische Pfarrkirche St. Remigius.

Während er sich dabei ertappte, sogar Gebäude zu betreten, die er sonst kaum heimsucht – er meint die Kirche St. Remigius, wo er mal eine Kerze für die kranke Tante anzündete – entpuppte sich manch alter Mitstreiter als „Stadtrandverweigerer“.

Netenjakob erzählt von den Leuten, „die einfach ungern zu Besuch kommen“. Selbst im Freundeskreis habe er sich „Spott gefallen lassen müssen“, was den Umzug in die „spießige Neubausiedlung“ anbelangt. Vielleicht sei ja auch ein bisschen Neid dabei, dass sie nun den Garten hätten. „Und spätestens wenn wir zum Rhein spazieren, sind die Leute dann doch begeistert.“

Wo Netenjakob in Sürth die besten Buch-Ideen kommen

Er selber schlendere oft am Ufer entlang, um Ideen zu sammeln. Oder er läuft am Abend mit seiner Frau zum Restaurant Paladio in Rodenkirchen. Da sie beide eher Pasta- als Pizza-Esser seien, fühlten sie sich dort sehr wohl, obwohl die drei Pizzerien unmittelbar im Veedel – insbesondere das Restaurant Taormina – ebenfalls zu empfehlen seien.

Am Sürther Broadway entlanglaufend, wie der Zugezogene die Hauptstraße nennt, passieren wir das Lokal Krone. Dort, wo „die Dortmund-Fraktion heimisch“ ist kehrt Netenjakob ab und an zum Fußballgucken ein. Wir biegen kurz ab, um bei der Post hereinzuschauen. Von hier verschickt der Autor und Kabarettist seine Auftrittsplakate und stellt den Mitarbeiterinnen ein hervorragendes Zeugnis in puncto Freundlichkeit aus. Noch stressresistenter als die Damen am Schalter sei allenfalls Landschaftsbauer Dirk Kalverkamp, der ihnen den großen Buddhakopf im Garten aufgestellt habe und es irgendwie schaffe, Terminplanung, Kundenberatung und Telefonate gleichzeitig zu managen.

Der Buchautor mit Buchhändlerin Nadine Sander.

Der Buchautor mit Buchhändlerin Nadine Sander.

Als nächstens gehen wir in das Modegeschäft Restyle 2 von Evalotta Lohmann, wo Netenjakob einen Schal für seine Frau erwirbt.

Unsere nächste Station ist die Buchhandlung, in der der Bestsellerautor seine allererste Lesung hatte. „Ein toller Erfolg“, betont Buchhändlerin Nadine Sander .

Ganz schnell am Chlodwigplatz

Die Leute hätten eng gequetscht gesessen und die Stimmung sei fantastisch gewesen. Heute empfiehlt sie ihrem Stammkunden Eve Harris' Roman „Die Hochzeit der Chari Kaufmann“, Netenjakob möchte unbedingt lebensbejahende Lektüre. Keinen Krimi. Er habe einmal den Fehler gemacht, abends im Bett einen Dan Brown zu beginnen. „Da konnte ich zwei Nächte nicht schlafen.“ Ein spannender Krimi sei für ihn in etwa so unerträglich „wie ein Elfmeterschießen beim WM-Finale, das niemals aufhört“.

Andreas Wirgos vor seinem Geschäft Feinsinn.

Andreas Wirgos vor seinem Geschäft Feinsinn.

Wir schlendern weiter zum Gewürzgeschäft Safran, wo uns Inhaberin Claudia Quack ihren sensationellen Gewölbekeller zeigt. Danach besuchen wir Hans Diefenthal in seinem seit zwölf Jahren bestehenden Einrichtungsgeschäft „Wohnsinn“. Dort habe er selber mal einen Schrank gekauft. Der Kölner Bestsellerautor lobt die Zusammenstellung von Möbeln und Accessoires und bescheinigt Diefenthal „einen unglaublich guten Geschmack“. Den hat auch Andreas Wirgos, Inhaber des Modegeschäfts Feinsinn gegenüber. wo seine Frau schon mal kaufe.

Netenjakob in Innenhof der alten Hofanlage, die heute Hotel ist.

Netenjakob in Innenhof der alten Hofanlage, die heute Hotel ist.

Unser letzter Stopp ist circa 300 Meter vom Rhein entfernt an einer der ältesten Hofanlagen im Kölner Stadtgebiet. Der bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnte „Falltorhof“ ist heute ein denkmalgeschütztes Hotel. Er habe Glück, dass seine Frau sehr gut koche, erzählt Netenjakob. Deshalb gingen sie selten dort ins Restaurant. Aber an warmen Sommerabenden im lauschigen Innenhof zu sitzen, sei ein Traum.

Ansonsten seien sie der Südstadt zumindest in Sachen Ausgehen nicht untreu geworden. „Man ist in zwölf Minuten mit der Bahn am Chlodwigplatz“, meint Netenjakob, der Lokalen wie dem „Filos“ schon allein wegen der gegenüberliegenden Comedia Colonia verbunden ist. Am 14. Mai wird er das Publikum dort wieder „mit Kant-Zitaten zum Orgasmus“ führen. Zeitgleich findet in Stockholm das Finale des Eurovision Song Contest statt. „Man muss sich also konkret dagegen entscheiden.“

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