KölnbergJede Wohnung ein eigener Planet

Mehr als 1300 Wohnungen auf bis zu 26 Stockwerken: der Kölnberg in Meschenich
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Köln – Der Kölnberg ist ein Universum; jede einzelne Wohnung darin ein eigener Planet. So sieht es Sabrina, die „Junkiehure“, wie sie sich selbst nennt, und sie fragt sich, wo in diesem Universum wohl die Sonne scheint: Grau und massiv brütet die Ansammlung von Hochhäusern im Süden von Köln vor sich hin, umgeben von Feldern, von denen manche der rund 4000 Bewohner des Kölnbergs manchmal Spargel und Kohlköpfe stehlen. Über zwei Jahre hinweg bekam das Universum Besuch von zwei Forschungsreisenden: Laurentia Genske und Robin Humboldt, Studenten der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM), die für einen Dokumentarfilm tief in diese Welt eintauchten.
An diesem Donnerstag startet „Am Kölnberg“ regulär im Kino, in Köln in der „Filmpalette“ – schon das selten ist genug für einen Abschlussfilm zweier Absolventen einer Kunst- beziehungsweise Filmhochschule. Genskes und Humboldts Langzeitstudie hat indes bereits eine ganze Karriere hinter sich: Beim Dokumentar-Filmfest in Leipzig erhielt „Am Kölnberg“ im November 2014 eine lobende Erwähnung. Auf dem Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken, das ausdrücklich dem Nachwuchs ein Forum bietet, lief der Film im Wettbewerb. Und auch in Köln war er bereits auf der Leinwand zu sehen, nämlich im Rahmen des Dokumentarfilmfestes „Stranger than Fiction“.
Anhand von vier ineinander verschränkten Porträts vollziehen Laurentia Genske und Robin Humboldt am konkreten Einzelfall nach, was Sozialwissenschaftler und Sozialarbeiter gleichermaßen als verfehltes soziales Experiment und gescheiterte Integration bezeichnen. Ob Kölnberg oder in Bremen die Tenever-Siedlung: Überall in Deutschland wurden in den 70er Jahren neben bestehenden Gemeinden wie dem dörflichen Meschenich gigantomanische Wohnkomplexe hochgezogen, die für die Käufer als komfortable Kapitalanlage gedacht waren, aber rasch zum sozialen Brennpunkt abstiegen. Siedlungen wie der Kölnberg wurden zur Anlaufstelle für Migranten aus aller Welt, die von hier aus ihren Weg in die deutsche Mittelschicht fortzusetzen gedachten – doch die meisten blieben buchstäblich hängen. Auch in Meschenich leben oft in dritter oder vierter Generation Familien türkischer, arabischer oder rumänischer Abstammung; viele Deutsche auf dem Kölnberg sind aus dem System gefallen und fristen ihr Dasein am äußeren Rand der Gesellschaft.
Sex im 20-Minuten-Turnus
So wie Sabrina, die „Junkiehure“. Unter all den Alkoholikern, psychisch Kranken und Gebrochenen, denen sich die Filmemacher nähern, berührt ihre Geschichte vielleicht am meisten. Um ihre Heroin- und Cracksucht zu finanzieren, geht Sabrina drei Tage pro Woche hintereinander auf den Strich: Kein Schlaf, Sex im 20-Minuten-Turnus, für 20 bis 30 Euro. Sabrinas Leben ist extrem, verläuft immer am Rande des Absturzes – und ist doch bestürzend leer.
Dennoch: „Am Kölnberg“ badet nicht in Tristesse, der Film „reduziert die Menschen nicht auf ihre Chancenlosigkeit“, wie die Jury in Leipzig erklärte. Da gibt es den Trinker, der tapfer gegen seine Sucht ankämpft – auch mithilfe seiner Katzen, die eine Art Familienersatz sind. Oder die alte Dame, die ihre Wohnung niemals verlässt und sich an der schönen Aussicht erfreut. Und deren Freundin, die von einem Karibik-Urlaub schwärmt, den sie in besseren Tagen einmal erleben durfte.
So gelingt es diesem Dokumentarfilm, die Perspektive des Soziologen mit zutiefst humanen Einblicken anzureichern und zu vertiefen. Zum einen wird die Parallelwelt Kölnberg erlebbar, dieses eigene Universum jenseits der Stadt. Andererseits träumen und hoffen seine Bewohner, wie wir alle es tun. Und wenn sie davon träumen, ihr Universum zu verlassen.
Kinostart am Donnerstag in Köln in der Filmpalette Lübecker Str. 15