Roncalli-Familie im GesprächWenn der Vater ein Clown ist

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Die Zirkus-Familie: Bernhard Paul (66, Mitte) mit Ehefrau Eliana Larible und den Kindern Vivi (links), Adrian und Lili.

Die Zirkus-Familie: Bernhard Paul (66, Mitte) mit Ehefrau Eliana Larible und den Kindern Vivi (links), Adrian und Lili.

Köln – Adrian drängt sich mit Vivi und Lili auf einem karminroten Sofa. Vater Bernhard Paul nimmt am Kopf des Tisches Platz, Eliana Paul serviert Kaffee. Die Sonne strahlt warm aufs Wagendach. Schade. „Es gibt nichts Gemütlicheres als Regen, der auf einen Zirkuswagen prasselt“, sagt sie. Nach eineinhalb Stunden werden die Kinder unruhig. Sie müssen trainieren. Vivi schlingt ein paar Nudeln herunter. „Wenn der Bauch zu voll ist, kann ich mich nicht herumwirbeln lassen“, sagt sie.

Ab Freitag, 11. April, gastiert der Zircus Roncalli mit seinem neuen Programm „Time is Honey“ auf dem Kölner Neumarkt. Es hat bessere Zeiten für Zirkusse gegeben. Roncalli geht es noch gut. Die Kinder sollen dafür sorgen, dass das so bleibt.

Roncalli dominiert den Neumarkt. Die ersten Zirkuswagen sind vorgefahren, am Dienstag wurde das Zelt aufgestellt. Ab Mittwoch folgen Soundcheck und die Proben in der Manege. Am Freitag ist Gala-Premiere. Der Circus Roncalli gastiert bis zum 11. Mai in Köln. (nr)

Ist es eigentlich witzig, einen Clown als Papa zu haben?

Vivi: In der Manege total! Am Frühstückstisch nicht immer. Da kann er auch mal grummelig sein.

Euer Vater ist ein Clown mit riesigen Schuhen: Er hat Roncalli zu einer Legende gemacht.

Vivi: In solchen Fußstapfen kann man natürlich leicht versinken. Adrian: Aber Papa hat alles allein gemacht . . . Vivi: . . . und wir sind zu dritt. Wir können die Aufgaben aufteilen.

Wisst ihr, wer was machen soll?

Vivi: Ne, dafür ist es noch zu früh. Mein Bruder ist sehr musikalisch, er wird sich unter anderem um die Musik in der Show kümmern. Bernhard Paul: Adrian ist musikalisch und ein guter Zeichner. Vivi ist sehr kreativ, diszipliniert und geschmackssicher. Und Lili hat ein unheimliches Gefühl für das, was in der Manege passieren muss. Manchmal sagt sie: Hast du bemerkt, dass bei der Nummer etwas nicht stimmt? Dann denk' ich: Mist, hab' ich nicht. Manchmal sagt Adrian: Papa, da ist einer, der macht in London Inszenierungen und Licht, den könnten wir holen. Oder Vivi sagt: Die jungen Leute zappen im Geiste weg, wenn etwas eine Sekunde zu lang dauert.

Die neuen Sehgewohnheiten kennen die Kinder besser, oder?

Bernhard Paul: Ja, klar. Die hängen im Internet und schicken mir Bilder von Kostümen, die hätte ich selbst nie entdeckt. Die Rollschuhnummer, die wir gerade im Programm haben, war Adrians Idee. Für die Karriere der Kinder ist es wichtig, dass sie jetzt in der Manege stehen und merken: Wie reagiert ein Publikum? Wenn sie noch nie in der Manege gestanden hätten und einem Artisten dann sagen, wie er was machen soll, dann sagt der: Du hast ja keine Ahnung.

Sie sind 66. Wann werden die Kinder Roncalli übernehmen?

Bernhard Paul: Von mir aus heute. Aber ich weiß, es ist ein langer Weg. Ich bin wie der Schutzengel. Der mit den großen Flügeln, der die Kinder über die Brücke bringt. Ich lasse sie allein gehen, bin aber da, damit sie nicht ins Wasser fallen. Ich weiß, dass ich, so lange ich lebe, im Zirkus rumgeistern werde. Wobei, wenn ich mal total stur und seltsam werde, hau' ich ab.

Wie sieht der Zirkus Roncalli aus, wenn der Übergang vollendet ist?

Bernhard Paul: Wenn die Leute nichts merken, wäre es am besten. Wenn sie sagen: Früher war es besser, dann wär's schlecht.

Gab es eine Zeit, in der Sie dachten: Wir machen besser nicht weiter?

Bernhard Paul: Ja, bevor ich meine Frau kennengelernt habe, dachte ich, ewig mach' ich das nicht. Eliana und ich haben uns 1987 kennengelernt. Sie kommt aus einer Zirkusfamilie, acht Generationen. Sie hat sich in meiner schönen Wohnung nicht unbedingt wohlgefühlt, wollte lieber im Wohnwagen leben. Ich habe gemerkt: Diese Frau kann ich nicht ohne Zirkus leben lassen. Dann kamen die Kinder, ich habe mir die Welt angeschaut und gedacht: Was soll ich außerhalb der Zirkuswelt?

Wolltet ihr mal was anderes machen als Zirkus?

Vivi: Ich habe mal fantasiert, Kostümbildnerin zu werden.

Adrian, du wolltest mal Frauenarzt werden, haben wir gelesen . . .

Adrian: Ja, oder Playboy-Fotograf! Ne, Quatsch. Ich hätte auch immer etwas Künstlerisches gewählt. Musiker. Brit Pop.

Und du, Lili?

Lili: Ich mach' erst mal mein Abitur - dann habe ich eine Alternative. Aber ich möchte nicht weg hier. Bernhard Paul: Ich dachte mal, Lili wolle auch Musik machen. Ich habe ihr eine Gitarre gekauft, da hat Udo Lindenberg ein Autogramm draufgekritzelt. Lili kam rein und schrie: Der hat meine Gitarre kaputt gemacht! Sie hat die Gitarre nie wieder angerührt. Vivi: Adrian und ich waren während der Schulzeit außerhalb des Zirkus. Da dachten wir: wow, interessant. Aber sobald man wieder im Zirkus ist, ist es nicht mehr so interessant da draußen.

Der Zirkus, ein Dorf für sich

Wie ist es als Zirkuskind mit den Mitschülern?

Vivi: Sie haben mich aufgezogen und gefragt: Kannst du dich verbiegen? Kannst du jonglieren? So war es meistens.

Ist es schwierig, dass viele Zirkus mit Klischees verbinden, die nicht immer positiv sind?

Vivi: Man streift das schnell ab. Ich schätze, viele waren schon einmal in einem Zirkus, in dem man nicht ehrlich zu ihnen war.

Was heißt das?

Vivi: Na ja, wenn sie sagen: Wir haben ein Zebrapony. Und dann geht man hin, und dann haben sie drei Hasen und vier Hühner.

Der Zirkus wirkt ja wie eine andere Welt. Ist das so: ein Dorf für sich?

Vivi: Ja, man weiß alles von allen.

Mama kriegt also alles mit?

Adiran (lacht): Man findet schon Schlupflöcher. Durch den Zaun, unter dem Wagen durch . . . Bernhard Paul: Verdirb mir die kleine Lili nicht! Sonst kriegt sie Fenstergitter.

Eine persönliche Fragerunde. Bitte spontan antworten. Gute und schlechte Eigenschaften von Papa

...

Adrian: Papa ist stur, genau wie ich. Das ist gut und manchmal schlecht. Oft versteht man erst im Nachhinein, warum er etwas so oder so wollte und denkt: Okay, eigentlich hat er recht.

Sehr diplomatisch . . .

Bernhard Paul: Adrian ist kein Diplomat. Er hat oft Probleme, weil er seine Meinung sehr direkt sagt - auch zu mir.

Auch wenn es schwer ist: Eine schlechte Eigenschaft vom Papa!

Vivi: Er denkt nicht genug an seine Gesundheit.

Fällt dir was ein, Lili?

Lili: Das ist schwer . . . Adrian: Die Lili darf man das nicht fragen, sie ist sein Liebling. Ich glaube nicht, dass sie was sagt. Bernhard Paul: Doch! Du darfst alles sagen! Zum Beispiel: Der Papa isst zu viel. Adrian: Die Sache ist: Sie wickelt ihn um den Finger. Bernhard Paul: Komm, Lili, was stört dich an mir? Lili: Mmh, ich finde, du bist zu manchen Leuten zu nett. Es gibt Leute, die verdienen das nicht. Bernhard Paul: Ja, ich bin vielleicht zu gut für diese Welt.

Was habt ihr denn von Mama und was von Papa?

Bernhard Paul: Von der Mama die Schönheit. Vivi: Meine Mutter hat mir beigebracht, dass die Familie das Wichtigste ist. Adrian: Meine Mutter ist Italienerin, für Italiener ist die Mutter heilig.

Lili, fühlst du dich als Lieblingskind deines Vaters?

Vivi: Also ich bin das Lieblingskind wegen meiner Disziplin.

Gibt es Eifersüchteleien?

Eliana Paul (schaltet sich ein): Als Lili geboren wurde. Da haben die anderen geweint und gesagt: Jetzt guckt ihr uns nicht mehr an. Bernhard Paul: Aber Lili war total fasziniert von ihrem Bruder. Ihr erstes Wort war "Adran". Lili: Und du hast mich gehasst! Adrian: Ich war halt eifersüchtig.

Eine Welt voller Phantasie

Bernhard Paul (66), geboren 1947 in Lilienfeld, Österreich, sah als Fünfjähriger zum ersten Mal einen Clown und wusste: Mein Leben gehört dem Zirkus. Seinen Traum verwirklichte er 1976, als er mit André Heller den Circus Roncalli gründete.

Als Clown Zippo wurde er berühmt. 1990 heiratete er Eliana Larible, die jahrelang als Pferdeartistin auftrat. Schweren Herzens verkaufte sie ihre Pferde später, um mit den Kindern Vivi (25) und Adrian (22) im Winterquartier in Köln zu bleiben, damit Sohn und Tochter die Mittlere Reife machen konnten. Inzwischen besuchen Zirkus- und Schaustellerkinder eine mobile Schule – Nesthäkchen Lili (15) zieht mit dem Zirkus durch die Lande und macht nebenbei ihr Abitur.

Die drei Roncalli-Kinder zeigen im neuen Programm erstmals eine gemeinsame Rollschuhnummer. Lili ist zudem Kontorsionistin – sie kann ihren Körper verdrehen und verbiegen, als wären ihre Knochen aus Gummi.

Gibt es etwas, das im Zirkusleben fehlt? Stammkneipe, Urlaub . . .

Adrian: Wir haben eine Stammkneipe, unseren Kaffeewagen. Lili: Wir haben ja auch Urlaub, im Sommer, zwei bis drei Wochen. Adrian: Es ist ein anderes Leben, man ist viel draußen, weil im Wohnwagen nicht so viel Platz ist. Bernhard Paul: Man erlebt auch Politik anders. Unsere Ukrainer und Russen erzählen, wie es wirklich dort ist. Wir haben Moslems, Juden, Christen. Klappt wunderbar. Es ist eine Welt voller Phantasie. In der Geld und Politik nicht das Wichtigste sind.

Ist es nicht auch eine harte Welt? Man darf nie zurückschalten . . .

Bernhard Paul: Zurückschalten gehört nicht in unser Vokabular. Vivi: Obwohl Papa es öfter mal sollte. Der regt sich so oft auf, da macht man sich Sorgen. Wir sagen ihm auch: Papa, du musst jetzt mal wieder zur ärztlichen Kontrolle gehen. Das macht er nicht gerne. Bernhard Paul: Ich kenne viele Leute, die einen Dreifach-Salto mit 40 Grad Fieber gemacht haben. Wie oft bin ich krank aufgetreten und habe alles doppelt gesehen. Ich erinnere mich an meinen Partner Francesco Caroli, den Weißclown, als sein Lieblingsbruder starb. Ich hab' gesagt: Du willst doch zum Begräbnis, oder? Und er meinte, nein, an dem Tag haben wir in Köln Premiere. Als mein eigener Bruder starb, das hab' ich mittags erfahren und abends bin ich aufgetreten. An diesem Tag war jeder Lacher schmerzvoll. Es war, als würden die Leute mich auslachen.

Hört sich hart an.

Bernhard Paul: Vivi ist bei der Rollschuhnummer mal gestürzt und auf einer Kante aufgeschlagen. Sie hat weitergearbeitet - und nichts gesagt. Sie hatte aber zwei Rippen gebrochen. Ich hab' zufällig von ihren Schmerzen erfahren und sie aus dem Zelt geholt - da war sie mir böse! Wir sind zum Doktor, er hat geröntgt und meinte: "Das glaub' ich nicht. Damit hat sie gearbeitet? Das sind Schmerzen, da würde jeder Mann in Tränen ausbrechen." Das ist das Holz, aus dem Artisten geschnitzt sind.

Was braucht es noch, um im Zirkus durch schwere Zeiten zu kommen?

Bernhard Paul: Meine Frau und ich saßen mal im Wohnwagen, es war noch kein Einlass, aber eine Menschenmenge bildete sich. Adrian und Vivi haben mit Tellern jongliert und Geld gesammelt. Hätte ich da sagen sollen: Das dürft ihr nicht? Nein. Ich hab' gedacht: Gut, dass ihr geschäftstüchtig seid, ihr werdet es brauchen.

Sind die Zeiten der großen Einnahmen vorbei?

Bernhard Paul: Die Zeiten werden schwerer. Ich denke aber anders: Ich mach' ein neues Programm, dafür brauch' ich diese Kostüme, jene Requisiten oder einen neuen Toilettenwagen. Dafür brauche ich Geld. Jetzt hab' ich nur soundsoviel. Dann mache ich eine Produktion im Winter im Theater, ein paar Galas mehr und dann geht es. Wir subventionieren uns selbst. Ich muss auch an die Zukunft denken. Beispiel: Zirkuszelt. Ich habe in Italien welche auf Vorrat gekauft, mit denen wir die nächsten 30 Jahre auskommen.

Was war das Absurdeste, was Sie je vom Ordnungsamt gehört haben?

Bernhard Paul: Ich hatte 30 Jahre ein Nashorn, das haben wir an den Haubrich-Hof gestellt. Das Ordnungsamt schrieb uns dazu: „Das Nashorn ist geruchs- und geräuschlos unterzubringen.“ Aber das Absurdeste, was die EU je gemacht hat, war die Abschaffung der Glühbirne. Für einen Zirkusdirektor ist die Glühbirne das, was die Kerze für einen Pfarrer ist. Ich habe eine ganze Halle voller Glühbirnen gekauft. In den nächsten 20 Jahren muss ich dafür kein Geld mehr ausgeben. Und danach sind die Kinder am Ruder.

Das Gespräch führten Claudia Hauser und Uli Kreikebaum

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