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Interview

Kölner Expertin zu Schwangerschafts-Konflikten
„Sie können sich nicht vorstellen, welch schlimme Schicksale bei uns sitzen“

Lesezeit 6 Minuten
Ein Schwangerschaftstest zeigt mit zwei Streifen eine Schwangerschaft an.

Viele Frauen wissen schon beim Schwangerschaftstest, ob sie das Kind bekommen wollen oder nicht. Eine Beratung nützt den allermeisten aber dennoch, sagt Catarina Eickhoff von Pro Familia Köln Chorweiler.

Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist angestiegen. Catarina Eickhoff von Pro Familia in Köln kennt die Geschichten der Frauen hinter den Zahlen.

Frau Eickhoff, Sie beraten seit vielen Jahren in Köln-Chorweiler schwangere Frauen, die einen Abbruch in Erwägung ziehen. Gibt es etwas, das Sie dabei immer noch überrascht?

Catarina Eickhoff: Am meisten vielleicht, dass es immer noch viele Frauen gibt, die denken, sie seien unserem Wohlwollen ausgeliefert. Es gibt die Annahme, wir würden entscheiden, ob Frauen die Möglichkeit zum Abbruch bekommen, oder nicht. Als könnten wir sagen: Ihre Argumente überzeugen mich nicht. Dafür gibt es leider keinen Schein. Die Widerstände am Anfang der Gespräche sind in diesen Fällen groß. Wir müssen dann das Vertrauen erst aufbauen, den Frauen klar machen: Es ist Ihre Entscheidung! Sie bekommen den Schein auf jeden Fall.

Viele Frauen haben schon Kinder und sagen: Mehr schaffe ich nicht
Catarina Eickhoff, Pro Familia

Man sagt, die allermeisten Frauen wüssten schon beim Schwangerschaftstest, ob sie das Kind austragen wollen oder nicht. Wie sinnvoll ist da noch eine Beratungspflicht?

Ich würde sagen, es gibt drei Gruppen von Frauen. Einmal diejenigen, die mit einer ganz klaren Entscheidung zu uns kommen. Die wollen tatsächlich nur den Beratungsschein. Aber auch hier können wir Informationen weitergeben: Welche Methoden gibt es, welche Adressen? Wie sieht das mit der Möglichkeit einer Kostenübernahme aus? Jede Fünfte, würde ich sagen, ist wirklich im Konflikt und profitiert sehr von einer Beratung. Und dann gibt es noch die Frauen dazwischen. Die sich für einen Abbruch entschieden haben, sich aber sehr schwertun damit. Sie sind traurig und haben mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Auch ihnen tut eine Beratung gut. Dennoch glaube ich, dass jede Frau selber am besten entscheiden kann, ob sie eine Beratung braucht oder nicht. Dafür braucht es keine Pflicht. Viele Frauen haben schon Kinder und sagen: Mehr schaffe ich nicht.

Welche Gründe geben die Frauen für ihre Entscheidung an?

Wichtig ist: Sie müssen das gar nicht begründen. Aber viele erzählen dann dennoch ihre Geschichte. Mehr als die Hälfte aller Frauen, die über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, haben schon Kinder, manche davon sind alleinerziehend. Hier ist es oft gar nicht die Entscheidung gegen ein weiteres Kind, sondern die Entscheidung für die Kinder, die schon da sind. Diese Frauen sagen: Mehr schaffe ich ohne Unterstützung nicht. Ich bin am Rande meiner Ressourcen. Diese Frauen würden das Kind vielleicht sogar gern bekommen, wenn sie einen Partner, eine stabile Gesundheit, eine gut bezahlte Arbeit hätten.

Kann man in diesen Fällen nicht Unterstützungsangebote vermitteln?

Natürlich. Aber wir müssen hier auch ehrlich bleiben. Diese Gesellschaft versucht alles, um das ungeborene Leben zu schützen. Aber wenn das Kind dann auf der Welt ist, lassen wir die Mütter und Paare oft allein damit. Es gibt begrenzte finanzielle Unterstützung und diverse Gruppenangebote oder ein paar ehrenamtliche Angebote. Das war’s dann aber auch. Da kann ich mich nicht hinsetzen und mit gutem Gewissen sagen: Das schaffen wir schon. Denn ich werde das Kind nicht in den Schlaf wiegen, niemand wird ihre Haus- und Erwerbsarbeit übernehmen, niemand eine größere Wohnung mit ausreichend Platz aus dem Hut zaubern, niemand wird kommen und sagen: Du hast jetzt mal ein Wochenende frei, ich kümmere mich.

Manche Mütter haben schon einen Job verloren, weil die Kita nur zwei Tage die Woche betreuen konnte

Ist die Wohnungsnot gerade in Köln auch ein Grund für Schwangerschaftsabbrüche?

Auf jeden Fall ist es ein großes Thema. Das klingt vielleicht banal, aber in der Tat gibt es schwangere Frauen, die schon mit drei Kindern in einer Zweizimmerwohnung leben und mir sagen: Wo soll das neue Kind denn hin? Auch eine schlechte Betreuungssituation ist hier oft ein Thema. Bei mir sitzen Mütter, die schon mal ihren Job verloren haben, weil die Kita wegen Personalmangels nur zwei Tage die Woche betreut hat. Sie fragen sich: Wie soll ich das mit noch einem Kind schaffen, wenn ich keinen Kita-Platz bekomme, der meine Arbeitszeiten abdeckt?

Gibt es noch andere Gründe?

Tausende. Familienplanung abgeschlossen, fremdgegangen, Spirale verrutscht, Pille vergessen, schon in den Wechseljahren, Krankheiten. Sie können sich gar nicht vorstellen, welch schlimme Schicksale hier manchmal bei uns sitzen.

Catarina Eickhoff

Catarina Eickhoff ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin und arbeitet bei Pro Familia in Köln-Chorweiler als Schwangerschaftskonfliktberaterin.

Welche denn?

Es gibt Frauen, die haben schon ein schwerstbehindertes Kind, das sie pflegen müssen. Andere kamen mit dem Boot über das Mittelmeer und hingen nachts im Dunkeln auf einer Holzplanke, nur um in der Folge noch vergewaltigt zu werden. Diese Geschichten von Not und Ungerechtigkeit kann ich auch selbst oft nicht so einfach abschütteln.

Kommen auch Paare zu Ihnen, die sich nicht einig sind?

Die allermeisten Frauen kommen tatsächlich allein zu mir. Ich würde sagen 80 Prozent. Bei den übrigen ist der Partner oder eine Freundin, bei sehr jungen Frauen auch mal die Mutter dabei. Dass es einen Konflikt zwischen dem Mann und der Frau gibt, kommt immer mal wieder vor. Wenn sie keine gemeinsame Lösung finden, dann überlebt das die Beziehung meist nicht. Das sage ich den Paaren dann auch manchmal. Einer von beiden wird dem anderen irgendwann vorwerfen, gegen seinen Willen gehandelt zu haben. Einfach weil das meine Erfahrung ist. Meistens überlassen die Männer die Entscheidung aber den Frauen. Es gibt allerdings natürlich diejenigen Männer, die sich wünschten, entscheiden zu können. Und dann wieder die Frauen, die sich wünschten, nicht entscheiden zu müssen.

Gibt es auch Menschen, die sich während der Beratung umentscheiden?

Ja, die gibt es auch. Einmal hatte ich ein Paar, sie wollte das Kind, er nicht. Im Gespräch konnten wir herausfinden, dass er einfach eine riesige Angst vor der Verantwortung spürte. Er hatte Panik, ein schlechter Vater zu sein. Er ist hier in der Beratung zusammengebrochen. Und dann konnte ein Gespräch entstehen, sie konnte Verständnis entwickeln, er sich in der Folge auf das Kind einlassen. Das war sehr schön.

Es gibt Frauen, die sagen: Nach der Geburt? Ich habe mein Kind im Arm und alles ist gut

Wie können Sie bei einem so folgenreichen Entscheidungsprozess überhaupt unterstützen?

Ich lasse die Frauen erzählen, stelle viele Fragen. Stellen Sie sich vor, Sie bekommen das Kind. Was fühlen Sie? Stellen Sie sich vor, Sie lassen den Abbruch machen, was ist da Ihr erster Gedanke? Manche wirken extrem erleichtert, wenn sie sich gedanklich in die Zeit nach dem Eingriff versetzen. Andere sagen: Nach der Geburt? Ich habe mein Kind im Arm und lächle es an. Alles ist gut. Aber nicht immer ist die Entscheidung eindeutig, das ist auch ein Teil der Wahrheit. Manche Frauen entscheiden sich mit 60 zu 40. Und die 40 Prozent Zweifel bleiben. Da tut sich keine dritte Tür auf. Interessant ist aber auch: Reue gibt es selten. Hinterher wird die Entscheidung meist nicht mehr infrage gestellt – und zwar egal wie sie ausfällt.

Welche Sorgen der Frauen sind eine neuere Entwicklung?

Früher gab es weniger befristete Verträge, das lässt gerade junge Frauen oder Paare oft daran zweifeln, ob sie sich ein Kind überhaupt leisten können. Auch die prekäre Lage auf dem Wohnungsmarkt und in der Betreuung war früher seltener ein Argument gegen ein Kind. Und die Klimakrise und die unsichere Weltlage wird tatsächlich auch viel häufiger angeführt. Es gibt junge Frauen, die sagen: Ich habe Angst, in diese Welt ein Kind zu gebären, ich fühle mich damit nicht wohl. Meistens liegen die Beweggründe aber im persönlichen Bereich.