50 Meter KölnIn der Siegburger Straße trifft Schweinestall auf Stundenhotel

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Landwirte

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Köln-Poll – Diese 50 Meter sind Dorf und Stadt, Acker und Asphalt. Sie sind laut und leise. Benzingeruch mischt sich mit Schweinemistluft und Currywurstduft. Tradition trifft auf Migration, Bodenständigkeit auf Bordell.

Die Siegburger Straße am Ortseingang von Poll ist keine Schönheit. Die Star-Tankstelle auf der einen, der Getränkeshop und die Imbissbude mit ihren dicken roten Lettern auf der anderen Straßenseite sind schrill, aber nicht gerade charmant. Interessant sind die Menschen, die hier leben und arbeiten. Zum Beispiel Maher Metti und Hussein Bassam aus Bagdad vom Poller Imbiss. Sie sind aus dem Irak geflohen, weil sie unter Diktator Saddam Hussein verfolgt wurden. Beide sind studierte Ingenieure. Beide leben seit ungefähr 15 Jahren in Deutschland. Beide haben gut zehn verschiedene Jobs bei Zeitarbeitsfirmen gemacht, bevor sie im Imbiss anfingen. Kennengelernt haben sich Metti und Bassam eben da.

„Ich wollte Verwandte in Poll besuchen, die waren nicht da“, sagt Metti. „Dann bin ich hier vorbeigefahren.“ Bassam suchte einen Kompagnon, Metti war auf der Suche nach einem neuen Job. Sie haben sich gleich verstanden. Beide haben alles zurückgelassen in Bagdad. „Die Sprache zu lernen und zu arbeiten war das wichtigste“, sagt Bassam, der den Laden leitet. „Wir sind nicht traurig, wir haben die Einstellung, das Leben so zu nehmen, wie es kommt.“

Traktoren stehen gleich hinter der Waschanlage

Inzwischen sind sie selbst Integrationshelfer: Fast täglich kommen die Syrer vom Flüchtlingswohnheim ein paar Hundert Meter weiter. Bassam und Metti helfen ihnen, Formulare auszufüllen, sie gehen mit ihnen zu Behörden und Schulanmeldungen. „Sie bekommen die Gerichte auch etwas billiger“, sagt Bassam. „Wir müssen ihnen helfen. Sie können ja kein Deutsch und haben alles verloren. Wir wissen, wie das ist.“

Mit den anderen Nachbarn ist es ein Geben und Nehmen. Sahin und Belkis Erdogmus, die Pächter der Star-Tankstelle, kommen manchmal zum Essen, Bassam und Metti gehen bei ihnen tanken. Bei Oktay In, dem Geschäftsführer des Getränkeshops, und seinem Mitarbeiter Salman Harun kauft Bassam gelegentlich Cola und Limo ein. Hinter der Trinkhalle wirft In im Sommer den Grill an und lädt die Nachbarn ein. Sahin Erdogmus, der mit seinen Eltern 1970 nach Deutschland kam, kennt als einziger des Tankstellen-Imbiss-Trinkhallen-Dreiecks die Familie Kleinschmidt, die das Leise, Traditionelle, Beständige auf diesem Flecken Köln verkörpert. Gudrun, Heinz-Georg und Martin Kleinschmidt tanken bei Erdogmus Diesel für ihre Traktoren, im Sommer bauen die Landwirte manchmal ein Verkaufshäuschen für ihr selbst angebautes Gemüse neben der Tankstelle auf. Ihre Traktoren stehen gleich hinter der Waschanlage, dahinter beginnen Weizenfelder und Kartoffelacker. Am Himmel kreisen Bussarde.

Strenge Geruch von Schweinemist

Wer das Tor zum Hof Am Sandberg öffnet, lässt den Lärm der Siegburger Straße hinter sich und wird mit dem strengen Geruch von Schweinemist empfangen. Die Kleinschmidts sind einer der letzten schweinezüchtenden Betriebe Kölns. „Ich bin da aus Neugier mal rüber: Bei Ost-Wind zieht der Geruch zu uns“, sagt Maher Metti. „Die Nachbarn riechen das natürlich ab und zu“, sagt Junior-Chef Martin Kleinschmidt (32), „aber die Anwohner haben das akzeptiert.“ „Ja, das ist so“, sagt sein Vater Heinz-Georg. „Sogar mehr als früher“, meint seine Mutter Gudrun (53). „Poll ist ja anonymer geworden. Viele freuen sich, dass wir mit unserem Hofladen und der nachvollziehbaren Landwirtschaft da sind.“ Samstagsmorgens um kurz vor 8 Uhr bildet sich eine kleine Schlange vor dem Hofladen, von dem man in den Schweinestall gucken kann. Es kommen vor allem junge Familien, die nach Poll gezogen sind, weil Eigentum hier billiger ist als in der Innenstadt.

1860 wurde der Hof zum ersten mal urkundlich erwähnt. Schon zur Römerzeit war hier ein Gutshof. Im Familienbesitz ist der Betrieb seit 115 Jahren. Fast so lange grunzen Schweine hier. Heinz-Georg und Gudrun Kleinschmidt schmeißen mit ihrem Sohn Martin den Betrieb – 200 Schweine, 100 Hühner, Getreide und Gemüse auf 25 Hektar zwischen Poller Wiesen, Campingplatz, Siegburger Straße und Autobahn – ohne jeden Helfer; außer Tochter Anne-Kathrin, die Theologie studiert hat. Wenn sie nach Hause kommt, muss sie anpacken. „Bezahlte Helfer oder eine Putzfrau könnten wir uns nicht leisten“, sagen die Kleinschmidts. Sie könnten sich auch keinen neuen Traktor oder Mähdrescher anschaffen. Einer der Traktoren ist über 50, der andere 40 Jahre alt. „Wenn bei dem einen ein Teil defekt ist, bauen wir um“, sagt Martin Kleinschmidt. „Ja, das ist so“, sagt sein Vater.

Rundherum ist nicht viel geblieben

Der 32-jährige Sohn will den Betrieb erhalten. Seit ein paar Jahren fährt er auf die Wochenmärkte in Kalk und Humboldt/Gremberg, er möchte das ausbauen, „aber es ist so wenig Zeit“. Wie ihr kleiner Bauernhof der Zukunft aussehen wird? „Keine Ahnung. Wir brauchen immer neue Strategien. Aber ich möchte gern bleiben.“

Rundherum ist nicht viel geblieben. Die Pächter von Tankstelle, Imbiss und Getränkehalle wechseln häufig. Sie arbeiten ähnlich viel wie die Kleinschmidts, sie sind auch Lebenskünstler, die sich durchschlagen, aber sie sind von Berufs wegen eher Nomaden, die weiterziehen, wenn ihr Geschäft nicht mehr läuft.

Viele Kneipen in der Umgebung haben dichtgemacht. Das Poller Laternchen auf der Ecke zur Siegburger Straße, in dem Martin Kleinschmidt seine Kommunion gefeiert hat, ist längst keine Gaststätte mehr. Es ist ein Stundenhotel. Lilli, Naomi, Gloria und Alina steht auf den Klingelschildern. Sie machen nicht auf. „Ja, das ist so mit dem Bordell“, sagt Heinz-Georg Kleinschmidt. „Ja, das ist so“, sagt er oft. Es hört sich so erdig an wie die Scholle, auf der er pflanzt.

Die einzigen Nachbarn, die Kontakt zu den Frauen im Eckhaus haben, sind Bassam und Metti. „Die Mädchen kommen zum Essen“, sagt Metti. Sie kennen auch den Betreiber, der einen dicken schwarzen Mercedes fährt und gelegentlich auf einen Snack kommt. „Der ist nett.“ Auf seiner Homepage schreibt der Zuhälter, dass Frauen aus Rumänien und Bulgarien sowie Damen mit männlicher Begleitung nicht erwünscht seien.

Der Ort wandelt sich. Das ist so. Als nach der BSE-Krise Küchenabfälle als Mastfutter verboten wurden, musste die Familie Kleinschmidt ihren Betrieb umstrukturieren. Sie begannen, Kartoffeln, Zwiebeln und anderes Gemüse anzubauen. Mit dem Hofladen versuchen sie „die Rückkehr zum Tante-Emma-Laden“, wie Gudrun Kleinschmidt sagt. Der nächste Einschnitt steht bevor, wenn das Neubaugebiet Wasserfeld am Poller Damm verwirklicht wird. Dann müssen die Kleinschmidts drei ihrer 25 Hektar abgeben. Eigentlich sollten in diesem Jahr die Bagger anrücken. Das Projekt ist für drei Jahre zurückgestellt worden, weil sich in dem Bereich mehrere Flüchtlingswohnheime befinden.

Zurück zu Bassams Imbiss. Pepe, Fahrer der Alexianer-Gärtnerei, sagt vor seiner Salami-Pizza sitzend: „Ich glaube an Imbisse, die nicht gut aussehen. Die sind oft besser als die, die top aussehen. Die Pizza ist super.“ Das gilt auch für diesen Flecken Köln: Er ist charmanter, als er aussieht.

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