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Späte GründerZwei Kölner starten durch, während andere schon die Rente planen

6 min
Silke Lemhöfer sitzt auf einem lilafarbenen Stuhl in ihrer Heilpraxis für Frauen

Silke Lemhöfer gründete mit 58 Jahren in Nippes eine Heilpraxis für Frauen. Lange hatte sie keine Zeit, sich um diesen Traum zu kümmern. Erst mussten ihre fünf Töchter erwachsen werden.

Wir haben mit einem Kölner und einer Kölnerin gesprochen, die den Mut hatten, sich spät für die Selbständigkeit zu entscheiden. Und für das Glück.

Wer die Wurzel von Matthias Bolhöfers Leidenschaft entdecken will, muss weit zurückblättern in seinem Leben. Er war um die 20, als er seinen Zivildienst in einem Kölner Seniorenheim am Kartäuserwall absolvierte. Hausmeister sei er da quasi gewesen, dafür aber „völlig untalentiert“, wie er selbst zugibt. „Aber ich konnte Menschen schon immer gut zuhören.“ Und das, was er da hörte, hat ihn gleichermaßen fasziniert wie traurig gemacht. „Die alten Menschen haben mir von ihrem vollbepackten Leben erzählt. Da waren so viele aufregende, aber auch herzzerreißende Lebensgeschichten in diesen möblierten Zimmern, die außer mir niemand mehr abfragte.“

Das Feuer für das Erzählen und Zuhören ist Matthias Bolhöfer (63) in den vergangenen gut vierzig Jahren nicht abhandengekommen. Zwischendurch hat er eine klassische Karriere gemacht. Studium, Radio, Fernsehen, Pressesprecher, zuletzt festangestellt in hoher verantwortlicher Position bei RTL. Jetzt, zum Ende seiner beruflichen Laufbahn, hat er nochmal eine Abfahrt genommen, die sich viele älteren Arbeitnehmer gar nicht mehr zutrauen: Aussteigen, neu aufbrechen, Firma gründen. „Audibio - das Hörbuch meines Lebens.“ So nennt Bolhöfer sein neues Arbeitsleben. Sein Angebot: Er lässt sich von vorwiegend älteren Menschen und Firmeninhabern ihre Lebensgeschichte erzählen, zeichnet die Stimme auf, schneidet und erstellt daraus ein Hörbuch als Erinnerung für die Familie oder für die Firmen-Website.

Eine Firma gründen, das kann man nicht nur gleich nach dem Studium. In den vergangenen Jahren geben laut KfW-Gründungsmonitor viele Gründer als Motivation den Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung nach der Pandemie an. Fast drei Viertel der neuen Selbständigen waren zuvor fest angestellt, vor acht Jahren gab das gerade mal jeder Zweite an. Der Weg in die Selbständigkeit nach langjähriger Erfahrung als abhängig Beschäftigter ist also keine Seltenheit.

Matthias Bolhöfer von Audiobio lächelt in die Kamera

Matthias Bolhöfer hat sich mit über 60 Jahren nochmal selbständig gemacht. Mit Audiobio bietet er Seniorinnen und Senioren an, ihre eigene Lebengeschichte als Hörbuch für die Nachkommen zu erzählen.

Matthias Bolhöfer ist sich sicher, dass ihm seine „Seniorität“, wie er selbst sagt, in der neuen Rolle von Vorteil ist. Nach vielen Jahren im Hamsterrad der abhängigen Beschäftigung fühlt er sich befreit und gelassen. „Ich war ausgebrannt, stand rund um die Uhr unter Druck. Ich wusste: Wenn ich so weiter mache, dann schade ich meiner Gesundheit. Ich wollte mehr Lebensqualität, meine Karriere nicht mehr so wichtig nehmen.“ Heute arbeite er weniger und flexibler, mit seinem Produkt identifiziert er sich komplett: „Ich kann Menschen helfen, mit ihrer eigenen Stimme ihre einzigartige Lebensgeschichte zu erzählen und sie für die Nachkommen zu erhalten. Etwas Erfüllenderes kann ich mir gerade nicht vorstellen.“

Ältere Gründer tragen meist eine größere Verantwortung

Ältere Arbeitnehmer, die sich für die Selbständigkeit entscheiden, gingen oft wohl überlegt an die Gründung heran, sagt Alina Dost von Kölnbusiness, wo man Gründungswillige aller Branchen berät. „Junge Leute haben natürlich ein geringeres Risiko. Die können sich ausprobieren und wissen, dass sie im Zweifel gerade beim derzeitigen Fachkräftemangel eine Stelle im Arbeitsmarkt finden, wenn es denn doch schief geht“, sagt Dost. Zudem trügen ältere Gründer natürlich häufig auch eine größere Verantwortung. „Oft sind Kinder oder Partner da, die mitversorgt werden müssen oder ein Wohnungskredit abzubezahlen.“

Generell steige in Köln die Zahl derer, die aus dem Nebenerwerb gründen, ihre Idee also schon neben dem sozialversicherungspflichtigen Job eine Zeitlang ausprobiert hätten. „Das zeigt, dass die Leute generell etwas verhaltener und bedachter an die Selbständigkeit herangehen und sich erstmal eine Hintertüre offenlassen.“ Männer seien unter den Gründern in der Mehrzahl. „Das heißt nicht, dass Frauen generell unterrepräsentiert sind. Sie lassen sich häufig mehr hinsichtlich des Zeitmanagements beraten, da sie neben dem Beruf häufig noch andere Verpflichtungen wie Kinderversorgung oder dergleichen einpreisen müssen.“

Erst fünf Töchter, dann die Selbständigkeit

Silke Lemhöfer kennt die Sache mit dem Zeitmanagement. Sie hat fünf Töchter großgezogen, die mittlerweile alle erwachsen sind. Jetzt, mit 58 Jahren, hat sie endlich die Zeit, sich ihren Berufstraum zu erfüllen. „Ich wollte immer Medizin studieren. Aber dann kamen meine Kinder und ich habe mich deshalb entschlossen, Musik zu studieren und habe einige Jahre Querflötenunterricht gegeben. Erst als meine Jüngste im Kindergarten war, habe ich mich an das Gesundheitsthema wieder herangetraut und die Prüfung zur Heilpraktikerin gemacht“, sagt Lemhöfer. Bis sie den Schritt in die Selbständigkeit wagte, dauerte es weitere Jahre.

Silke Lemhöfer in ihrer Heilpraxis für Frauen in Nippes

Silke Lemhöfer gründete mit 58 Jahren eine Heilpraxis für Frauen. Sie sagt: „Joe Biden war 79 Jahre alt, als er in sein Amt startete. Dagegen bin ich noch eine junge Starterin.“

Heute berät sie in ihrer Praxis in Nippes vor allem Frauen, die ihre Bedürfnisse in ähnlicher Weise viele Jahre für die Familie zurückgesteckt haben. „Irgendwann rächt es sich gesundheitlich, wenn man sich immer nur um andere kümmert.“ Manche Frauen entwickelten chronische Krankheiten, Schmerzen oder fühlten sich gerade in den Wechseljahren enorm kraftlos. „Für sie biete ich eine ganzheitliche Therapie an mit Homöopathie, Akupunktur und einem begleitenden Gesundheitscoaching, bei dem wir überlegen, wie sich der Stress abbauen ließe und was es braucht, um wieder in die Kraft zu kommen.“ Lemhöfer hört den Frauen zu. Ihr größtes Plus: „Ich habe Zeit dazu.“

Die späte Gründung erfülle sie mit Sinn und Energie. „Ich könnte auch von einem Enkelkind zum nächsten reisen und die beglücken. Aber ich hab schon so lange für andere gesorgt, dass jetzt auch mal ein anderes Kapitel dran ist. Das Leben ist schließlich so viel mehr als Mutter- oder Omaschaft.“ Um sich den Traum der eigenen Praxis zu erfüllen, habe sie auch eine gewisse Lebensreife gebraucht. „Wer gründet, muss auch mal selbstbewusst sein. Früher hätte ich da sicher viel zu oft gedacht: Ach nee, das wird nichts, die anderen sind da sicher viel besser.“ Heute habe sie den Mut, an sich zu glauben.

Dass sie beruflich nochmal durchstartet in einem Alter, in dem andere eher ihre Rente planen, stört Lemhöfer nicht. Was sie jetzt macht, fühle sich gar nicht nach Arbeit an. Die Beratung von Frauen gebe ihr mehr Energie als sie ihr nimmt, sodass sie sich gut vorstellen kann, als Heilpraktikerin noch 20 Jahre beruflich aktiv zu sein. Erfolgreiche Vorbilder von späten Anfängern gäbe es schließlich zuhauf. Darunter auch so ein namhaftes Beispiel wie den 46. Präsidenten von Amerika, sagt Lemhöfer lachend: „Joe Biden war 79 Jahre alt, als er in sein Amt startete. Dagegen bin ich noch eine junge Starterin.“


Hilfe für Gründer

Kölnbusiness berät Gründungswillige aus allen Branchen. Hier geht es erstmal um die Idee und die Bewertung der Erfolgsaussichten. Kölnbusiness prüft zudem Qualifikationen und den Businessplan, den Gründer abgeben müssen, wenn sie aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit starten und vom Gründerzuschuss profitieren wollen. Bewilligt das Arbeitsamt den Antrag, können Gründer als Starthilfe sechs Monate lang parallel zur Selbständigkeit noch Arbeitslosengeld eins plus 300 Euro im Monat beziehen. Informationen für Gründungswillige gibt es auch auf dem Gründertag am 11. August in der Rheinparkmetropole, Charles-de-Gaulle-Platz 1, 9 bis 16 Uhr. Kostenlos anmelden kann man sich hier.