Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Spaziergang durch KölnDurch die Neue Stadt im Grünen

6 min

Kölns erste Öko-Siedlung

Köln – Die „Neue Stadt“ nannten die Planer das Wohnungsbauprojekt für Zehntausende, als sie in den 1960er Jahren Ideen aufgriffen, die bereits nach beiden Weltkriegsenden diskutiert worden waren: Dem Wohnungsmangel wollte man mit einem riesigen Quartier in der Nähe der nördlichen Industriegebiete begegnen. Viele durchaus namhafte Architekten stellten vor, was sie unter zukunftsweisendem Städtebau verstanden. Das meiste, was daraufhin in die Höhe gezogen wurde, gilt heute als schwerer städtebaulicher Fehler.

Der Kölner Norden ist aber vor allem eins: grün. Auch Chorweiler befindet sich im Grunde in einer Traumlage – eine Tatsache, die sich viele nicht bewusst machen und die das Potenzial beschreibt, das man nutzen könnte, wenn es zum Beispiel gelänge, ein bisschen mehr Luft und Grün durch den Rückbau und neue architektonische Ideen in die Hochhaussiedlung zu holen.

Grün ist auch das Umfeld des Startpunktes dieser Tour: Los geht es auf dem Areal des Werks der Glanzstoff Courtaulds GmbH (1) in Niehl. Hinter einem alten Fabriktor mit zwei Pförtnerhäuschen an der Ecke Neusser Landstraße/Bremerhavener Straße steht das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma, in der von 1928 bis 1967 Kunstseide und Zellwolle für die Bekleidungsindustrie produziert wurde.

In dem Haus bringt die Stadt nun Flüchtlinge unter. Während der Nazizeit mussten hier Tausende Zwangsarbeiter Dienst tun, zunächst Juden, später vor allem Franzosen und Belgier. Auch Holländer, Polen und Russen wurden zur Arbeit gezwungen, sowie nach 1944 italienische Kriegsgefangene.

Hinter dem Musikclub Kantine und einem Tanzlokal für türkische Hochzeiten erreicht man einen seltsamen fensterlosen Turm, wie man ihn sonst nirgendwo in Köln findet: Es ist ein riesiger Hochbunker für 600 bis 700 Menschen, die hier auf durchnummerierten Stufen einer Wendeltreppe hinter dicken Mauern während des Zweiten Weltkrieges Platz fanden.

Weiße Siedlung in Seeberg

Man folgt der Neusser Straße stadtauswärts und biegt ein zu einem Parkplatz, an dem sich regelmäßig die Laufgemeinschaft 80 Nordpark trifft. Der Weg führt etwa 1,7 Kilometer durch den Wald bis Seeberg. Hinter der Autobahnunterführung kann man links über eine Treppe in den Chrysanthemenweg gehen. Er führt vorbei an mehrstöckigen Wohnhäusern bis zur Weißen Siedlung (2), einem Beispiel dafür, dass man auch in der Neuen Stadt durchaus vorbildlich einfache Wohnungen bauen konnte. Den zwei- bis viergeschossigen kubischen Gebäudekomplex aus den 1960er Jahren ließ der Architekt und Wahl-Kölner Oswald Mathias Ungers bauen. Scheint die Sonne auf die weiße Farbe der Häuser mit ihren Loggien und eigentlich zu kleinen Fenstern, entwickelt die Siedlung einen ganz besonderen Charme.

Durch eine Nachbarschaft mit Flachdach-Einfamilienhäusern gelangt man in eine große Grünanlage mit Kleingartenverein, schönen Spielplätzen und einer ganz besonderen Attraktion: Im Schatten der Hochhäuser lebt eine Ziegenherde, um die sich der Bau- und Abenteuerspielplatz „Der Bau“ kümmert. Hinter dem Spielplatz geht es rechts weiter unter einer Unterführung hindurch zum Matareweg, der schließlich zur Oxforder Passage wird. Das Entree für die größte Plattensiedlung Nordrhein-Westfalens, die in Seeberg-Nord und Chorweiler in die Höhe gezogen wurde, ist schäbig. Der Durchgang passt zum Image der menschenfeindlichen Trabantenstadt, doch dahinter sieht die Welt freundlicher aus.

Der Weg führt durch geschäftiges Treiben. Weil es hier so viele autofreie Zonen wie kaum sonst in der Stadt gibt, findet viel Leben im öffentlichen Raum statt. Die großen Verkehrsstraßen führen um Chorweiler herum oder werden unter breiten Fußgängerpassagen entlanggeleitet.

Man lässt das City-Center links liegen und erreicht den Pariser Platz (3). Hier haben unter anderem die Kirchengemeinden ihren Sitz. Wegen des großen Zuzugs osteuropäischer Zuwanderer gibt es eine starke jüdische Gemeinde. Die katholische Kirche hat Räume an sie abgegeben – auch das ist ein Ausdruck der demografischen Entwicklung.

Gut gemeintes funktionierte nicht

In den 1970er Jahren fand man es richtig, alles, was man zum Leben braucht, auf engstem Raum zu konzentrieren. Somit hat Chorweiler bis heute eine Infrastruktur mit Freizeit- und sozialen Angeboten, von der andere Stadtteile nur träumen können. Doch das half wenig. Schon kurz nachdem die ersten Bewohner hier einzogen, wurde klar, dass sich Köln selbst ein Problem an den Stadtrand gesetzt hatte. Die meisten der gut gemeinten Ideen der Neuen Stadt wie das wieder hochaktuelle Konzept von „Leben und Arbeiten“ gingen nicht auf. Denn Arbeit gibt es hier längst nicht genug.

Wir wandern am Pariser Platz rechts weiter, vorbei am Café Pegasus in den Uppsalasteig. Geradeaus vor uns liegt der schäbige Häuserblock an der Stockholmer Allee (4), über den zurzeit im Rathaus diskutiert wird. Die GAG würde ihn aus der Zwangsverwaltung übernehmen, wenn ihr die Stadt mehr als 30 Millionen Euro an Subventionen für Instandsetzungsmaßnahmen und soziale Betreuung gäbe.

Hoffnung geboren im Beton

Auf der linken Seite des Uppsalasteigs prangt ein beeindruckendes Graffito über die „Hoffnung geboren im Beton“. „Mit Hoffnung überlebe ich den heutigen Tag. Strebe für ein Morgen, entkomme dem teuflischen Pfad“ heißt es in dem Text zu dem bunten Bild, das seit mehr als zehn Jahren hier mahnt. Hinter der bemalten Wand biegen wir links ein und laufen bis zur Kopenhagener Straße, dort rechts unter der Unterführung auf die Stockholmer Allee, wo sich das ganze Elend der zwangsverwalteten Häuser noch deutlicher zeigt: schäbige Außenanlagen, vergammelte Eingänge, verrammelte Stahltüren, bittere Tristesse.

Der Weg führt zurück in die Fußgängerzonen, dann rechts in die Lyoner Passage, die zur Themsepromenade wird und schließlich zum Olof-Palme-Park (5) führt. Im Park machen wir eine halbe Runde um einen Spielplatz, erreichen so die breite Merianstraße, die wir überqueren, um in den nördlichen Teil Chorweilers zu gelangen. Elbeallee und Havelstraße führen zur Weserpromenade, die schließlich an einer Pferdekoppel und schönen Reihenhäusern vorbei nach Blumenberg führt. Gleich am Ortsrand an der Langenbergstraße liegt Kölns älteste Ökosiedlung (6), ein echtes Wohnparadies im vielleicht seltsamsten Stadtteil Kölns. Es gibt Dinge zu entdecken, die man sonst so nirgendwo in der Stadt findet. Die Anlage des Stadtteils geht zurück auf Beschlüsse aus den frühen 1960er Jahren, gebaut wurde jedoch erst ab 1986. Das mag erklären, warum manches künstlich und konstruiert wirkt.

Durch Blumenberg führt eine breite Allee für Fußgänger, vorbei an verklinkerten Häusern und über kleine Plätze. Von der Allee biegt die Vogelsbergstraße ab, die zu einem ganz besonderen Kirchenbau führt: St. Katharina von Siena (7) ist gleich in mehrerer Hinsicht äußerst bemerkenswerter Ort. Hier wurde 2003 noch sehr viel Geld für einen spektakulären Kirchenneubau ausgegeben, während man an anderer Stelle längst sicher war, dass es in Köln zu viele katholische Gotteshäuser gibt. Tatsächlich ist die Kirche viel zu groß. Aber St. Katharina von Siena ist nicht nur eine Kirche, sondern ein Gebäudekomplex mit vielen anderen Nutzungen, der den jungen Stadtteil markant prägt.

Wer die Tour hier beenden möchte, kann über die Döbrabergstraße zur Allee zurückkehren, die am S-Bahnhof „Blumenberg“ endet. Es lohnt sich jedoch, aus dem Spaziergang eine Wanderung zu machen. Gleich hinter Worringen liegt das blutgetränkte Feld der Schlacht von Worringen. Von dort aus kann man über die Felder vorbei am Fühlinger See bis Rheinkassel gehen. Durch Kies und Sand am Rheinufer erreicht man schließlich Merkenich.