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Streit der WocheSollen Autos raus aus Kölns Nebenstraßen?

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Am Tag des guten Lebens (hier in Deutz)  gehört die Straße den Menschen. Symbolbild

  • Das Ratsbündnis will den Autoverkehr in der Kölner Innenstadt von den Nebenstraßen verdrängen.
  • Oliver Görtz, 48, Lokalredakteur findet: Städte wie Barcelona oder Paris haben vorgemacht, dass das funktioniert
  • Thorsten Breitkopf. Ressortleiter Wirtschaft, sagt: Ein Dauer-Stau auf den verbliebenen Autostraßen wäre Realität

Köln – Autofreie Straßen – das hört sich für passionierte Motoristen an wie Nulldiät und Totalverbot, wie ein Kampfbegriff militanter Umweltaktivisten mit diabolischer Freude an Gängelung. Dabei ist längst auch in der Stadtplanung, der Verkehrsforschung, der Soziologie, selbst in Teilen der Wirtschaft angekommen, dass die Forderung, nicht durch jedes Gässchen ein Auto fahren zu lassen, nichts mit Ideologie zu tun hat. Sondern mit urbaner Lebensrealität und Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft.

Niemand will das Auto in Nebenstraße ausnahmslos verbieten. Häuser müssen für Rettungseinsätze erreichbar sein, für Umzüge, den Lieferverkehr. Die Anwohner müssen sich ein Taxi bestellen können, wenn sie nicht gut zu Fuß sind und vor ihrer Tür halten dürfen, um ihren Wocheneinkauf abzuladen. Es geht darum, den verzichtbaren Autoverkehr zu verbannen, den fließenden wie den ruhenden. Und davon ist eine Menge verzichtbar.

Aufenthaltsqualität wird gesteigert

Wenn nicht 30 Autos pro Minute, sondern nur alle 30 Minuten ein Auto durch eine Nebenstraße fährt und zudem niemand mehr am Rand parken darf, ist das eine enorme Steigerung der Aufenthaltsqualität. Alltag und Freizeit der Menschen in der Stadt verlagert sich immer mehr nach draußen. Dafür ist Platz nötigt, der vielerorts von geparkten Autos eingenommen wird. Irrwitzigerweise werden nicht wenige der dort stehenden Wagen kaum genutzt, weil ihre Besitzer die meisten Strecken mit anderen Verkehrsmitteln oder zu Fuß erledigen.

Was könnte man mit diesem Platz alles schönes anstellen? Aufenthaltsorte für die Nachbarschaft könnten entstehen, am besten begrünt. Breite Fahrradspuren könnten angelegt werden, um dem in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 Prozent zugenommenen Radverkehr in Köln Rechnung zu tragen. Städte wie Barcelona, Kopenhagen oder Paris haben vorgemacht, dass das funktioniert. Metropolen, mit denen sich Köln gern vergleicht, von denen die Stadt aber meilenweit entfernt ist.

Blechfrei ist gut fürs Geschäft

Selbst im Handel setzt sich immer mehr durch, dass eine attraktive, blechfreie Straßengestaltung besser fürs Geschäft ist, als Kurzparkern die Möglichkeit zum Schnell-Shoppen anzubieten.

Um die Nebenstraßen vom Autoverkehr soweit es geht  zu befreien, müssen natürlich Strukturen geschaffen werden, die dies ermöglichen. Jegliches Verkehrsmittel, dass kein Auto ist, muss attraktiver werden. Der Öffentliche Nahverkehr muss ausgebaut, flächendeckend komfortable Radwege eingerichtet werden.

Wer auf den Autobesitz nicht verzichten will, muss den Wagen in Laufweite abstellen können, etwa in Quartiersgaragen. Pendler brauchen ausreichend dimensionierte Park-and-Ride-Plätze mit entsprechenden ÖPNV-Verbindungen, über die sie ins Zentrum gelangen.

Es fehlt ein Konzept - mit konkretem Zeitplan

Hier besteht noch großer Nachholbedarf, weil Politik und Verwaltung bislang zu mutlos agieren. Es reicht nicht, dass sich die Stadt für jede 200 Meter neuer Fahrradstraße selbst feiert, als sei die Verkehrswende schon geschafft. Es fehlt ein Konzept mit einem – Achtung! – Zeitplan der Umsetzung.

Autos, wo immer es möglich ist, aus Nebenstraßen zu verbannen und sie auf einem Netz von breiteren Transferverbindungen zu bündeln, ist ein guter erster Schritt. Und solche Schritte müssen dringend gemacht werden, damit ein Bewusstsein und die Akzeptanz dafür entstehen, dass es mit dem Autoverkehr in der Großstadt so nicht weitergehen kann. Schon Schulkinder sollten verinnerlichen, dass das Elterntaxi die Ausnahme und das Fahrrad die Regel sein muss.

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Solange noch keiner einen Teleporter wie auf Raumschiff Enterprise marktreif und massentauglich entwickelt hat, wird es immer Autos in der Stadt geben. Aber wenn es nur die absolut nötigen wären und der frei werdende Platz für eine attraktive Stadtgestaltung und emissionsfreie Verkehrsmittel genutzt würde, wäre das ein gigantischer Gewinn an Lebensqualität.

Oliver Görtz, 48, Lokalredakteur, benutzt in der Stadt jedes Verkehrsmittel, das es gibt.

Die Idee, ganze Straßenzüge einer Millionenstadt mit einem Autoverbot zu belegen, ist ein Schlag ins Gesicht für jene Menschen, die sich als Pioniere einer neuen Technologie bereits jetzt für  ein noch sehr teures Elektroauto entschieden haben.

Die Befürworter der Straßensperrungen  haben bereits einige Strecken genannt, die für eine solche Sperrung infrage kommen, weil sie parallel zueinander in die Innenstadt führen. Sie also aus deren Sicht alle die selbe Aufgabe erfüllen.  Genannt wurden Boltensternstraße, Amsterdamer Straße Niehler Straße oder Neusser Straße.

Was passiert, wenn man eine oder gar mehrere von ihnen von Autos befreit, sieht jeder, der mal eine dreispurige Autobahn befahren hat, auf der  eine oder zwei Spuren gesperrt sind. Es gibt einen Stau. Erst kommt es zu stockendem Verkehr, schließlich stehen alle Fahrzeuge, und es dauert lang, bis die teilgesperrte Strecke zurückgelegt ist. Genau das würde auch bei dem Grundnetz-Modell passieren. Boltenstern- oder Amsterdamer Straße sind auch heute schon dichtbefahrene,  ausgelastete Verkehrsachsen. Die doppelte oder dreifache Menge an Verkehr könnten sie gar nicht aufnehmen. Der Kölner Mega-Stau wäre programmiert, nur weil in der Parallelstraße ein geräumiger Fahrrad-Highway ausgewiesen wurde.

Was wird aus all den Pendlern?

Es mag viele Menschen in Köln geben, die ihren Alltag ganz ohne Auto mit Bus, Bahn und Rad erledigen wollen, etwa weil sie in der Nachbarschaft arbeiten. Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die pendeln. Und das an Orte, die nicht ohne weiteres mit dem Rad erreichbar sind, schon gar nicht im Winter, mit Eis und Schnee auch auf Radwegen.

Auch Menschen in Großstadt-Vierteln sollten die Möglichkeit haben, ihre schweren Einkäufe vor der eigenen Haustüre  ausladen zu können. Nicht jeder kauft nur Biogemüse im Unverpacktladen. Manche erwerben auch Getränkekisten, für die ein  Auto gar keine schlechte Transportmöglichkeit ist. Das Sperren von ganzen Straßenzügen ist die gewollte Diskriminierung von Autofahrern. Die sind aber keine homogene Gruppe von umweltfeindlichen SUV-Besitzern ohne Klimagewissen. Die meisten von ihnen sind schlicht Menschen, die ihren Wagen für die Fahrt zur Arbeit oder den Besuch von Angehörigen auf dem Land benötigen. 

Nachteil für die Händler

Händler in den stillgelegten Straßen jedenfalls werden es schwer haben. Jene Kunden, die nicht alles zu Fuß oder mit dem Rad erledigen, werden wohl zur Konkurrenz wechseln. Zu einem Supermarkt oder Modegeschäft, bei dem man einfach vor der Tür parken kann.

Die Idee der Grundnetze mit Sperrungen ganzer Blocks kommt dem Versuch gleich, Autos zu verbieten. Dieser Weg aber wird wenig Akzeptanz finden. Die Herangehens-weise müsste umgekehrt sein. Bevor Menschen auf das eigene Auto verzichten, braucht es ein attraktives, bequemes und schnelles ÖPNV-Netz. Und nicht anders herum. Das Gleiche gilt für die genannten Quartiersgaragen: Erst wenn die in ausreichender Zahl vorhanden sind, können wir darüber sprechen, ob wir die Parkplätze am Straßenrand in baumbestandene Bolzplätze mit Radweg umbauen.   

Ein Problem könnten die  Autoverbote in der Stadt aber vielleicht lösen: Die Wohnungsnot in Köln –  weil dann keiner mehr dort hin zieht.

Thorsten Breitkopf, 43, Ressortleiter Wirtschaft, findet, dass Autofahrer auch eine Daseinsberechtigung haben. Diejenigen von ihnen, die sich ein E-Auto kauften, seien sogar Klima-Pioniere.

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