Autos, Schmuck und PartysIm Internet protzen die Trickbetrüger mit Luxus

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Telefonmafia Folge 1

Besonders Senioren stehen häufig im Visier der Trickbetrüger. (Symbolbild)

Köln – Der Mann mit dem akkurat geschorenen Vollbart, der mit seinem Klarnamen bei Facebook auftritt, trägt eine Pilotenbrille und eine Rolex „Oyster Perpetual“. Er lächelt in die Kamera, reckt den linken Daumen nach oben, in der rechten Hand hält er ein Brillenetui der Marke Versace. Als Beruf gibt er an: Manager bei Versace, Wohnsitz: Monaco, Studienabschluss: Oxford. Seinen 4995 Freunden bei Facebook wünscht der etwa 30-Jährige mit seinem heutigen Post nur das Beste: „Den Kranken gute Besserung, den Traurigen ein Lächeln, den Gestressten etwas Ruhe und Allen einen schönen Tag.“

Wie höhnisch. Die Opfer, die das angeblich studierte Superhirn mutmaßlich hinterlassen hat, können von alledem reichlich gebrauchen. Es sind Rentnerinnen und Rentner, die der Mann mit Bart und seine Komplizen mutmaßlich um ihr Erspartes gebracht haben.

Teure Autos, Schmuck und rauschende Feste

Wofür die Trickbetrüger das Geld ausgegeben, wie sie leben - das lässt sich auf Facebook, Instagram und Youtube bestaunen. Dort übertrumpfen sich die jungen Männer gegenseitig mit Aufnahmen von teuren Autos, Schmuck, hübschen Frauen und reich gedeckten Tafeln mit Champagner und Platten voller Fleisch. Dazu Videos von rauschenden Festen mit Tanz und Musik. Aus der Kölner Polizeistatistik: Donnerstag, 24. Juni 2021, 14:30 Uhr, Deutz, Arnoldsstraße: Enkeltrick/Schockanruf, Sohn an Corona erkrankt, braucht teures Medikament zur Behandlung (Versuch) 14:10 Uhr, Altstadt-Süd, Paulstraße: Enkeltrick/Schockanruf, Sohn an Corona erkrankt, braucht teures Medikament zur Behandlung (Versuch)

Lesen Sie hier die weiteren Folgen unserer Serie zur Telefonmafia:

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„Inge? Bist du das?“

Es ist kurz nach neun Uhr, als im Mai bei Karla und Franz Paffrath in Porz das Telefon klingelt. Die 78-Jährige hebt ab, und sofort ergießt sich ein Schwall freundlicher Worte über die pensionierte Büroangestellte. „Mensch, wie geht“s dir? Lange nichts mehr gehört. Wie kommst du denn gerade mit dieser Hitze klar?“, fragt die Anruferin. Karla Paffrath stutzt: „Inge? Bist du das?“ Inge, eine Bekannte. „Ja, genau“, antwortet die Frau – um dann zügig zur Sache zu kommen: Sie plane eine „größere Anschaffung“ und brauche noch heute 22.000 Euro. Sie komme aber erst übermorgen an ihr Geld, das sei festangelegt. „Kannst du mir das bis dahin leihen?“

Paffrath berät sich kurz mit ihrem Mann, sagt dann: „Okay, 10 000 ginge.“ Sie müsse sich nur eben etwas überziehen, dann gehe sie zur Sparkasse. „Wie weit es denn sei bis zur Sparkasse, erkundigt sich die Anruferin. „Und da merkte ich: Hier stimmt was nicht“, erzählt Karla Paffrath einige Wochen später. Sie sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer, ihr Mann Franz neben ihr. Seit 55 Jahren lebt das Paar in dieser Wohnung, ihre Freundin Inge wohnt eine Straße weiter. Inges Mann war Filialleiter der Sparkasse. Wer also wüsste besser als Inge, wie weit es bis dorthin ist? Die Anruferin sagt, sie melde sich gleich wieder. Karla Paffrath legt auf und wählt die 110.

Täter modifizieren ihre Maschen mit immer neuen Varianten

Ermittlungen der Polizei zufolge handelt es sich bei den Enkeltrick-Tätern vorwiegend um polnisch-stämmige Roma, weitverzweigte Familien, deren Mitglieder vielfach in Deutschland aufgewachsen sind und seit 20 Jahren mit derselben Masche arbeiten. Nur die Varianten verändern sie, passen sie Aktualität und Zeitgeist an. Wie ein Virus, das einfach nicht zu besiegen ist. Zurzeit  verschicken die Enkeltäter oft whatsapp-Nachrichten an potenzielle Opfer. Sie behaupten, ein Verwandter zu sein und eine neue Handynummer zu haben. Nur leider sei das neue Smartphone noch nicht Onlinebanking-fähig, daher bräuchten sie kurzfristig Geld.

Die Betrüger operieren aus unauffälligen Mietswohnungen  in Polen, wälzen dort deutsche Telefonbücher oder –cd’s und rufen hierzulande Männer und Frauen mit altmodisch klingenden Vornamen an. Beißt ein Opfer an, informiert der Anrufer einen Logistiker, der mobile Abholer-Teams koordiniert. Ein Team besteht aus dem Fahrer, dem Abholer, der das Geld in Empfang nimmt und dem Observanten, der nach Polizisten Ausschau hält. Die Beute wird geteilt. Eine strenge Hierarchie innerhalb eines Clans oder einen Chef, der alle Fäden zusammenhält, gibt es bei den Enkeltätern nicht. Muss einer ins Gefängnis, sorgen die übrigen  während dieser Zeit für seine Familie.

Zahl der Anrufe falscher Polizisten steigt wieder

Anders die so genannten falschen Polizisten: vielfach Mitglieder von Rockergruppierungen, die lange in Deutschland gelebt haben und aus Callcentern in der Türkei heraus operieren. Sie sind straffer organisiert, halten die eigenen Leute  mit Druck und Drohungen auf Linie. Lesen die Chefs in der Zeitung oder einer Polizeimeldung, dass die Beute in Wahrheit höher war als die Summe, die der Abholer abgeliefert hat, stellen sie ihn zur Rede – auch schon mal unter Vorhalt einer Waffe. Im Dezember hat die türkische Polizei zwei Callcenter geschlossen und Täter in Haft gesteckt. Als Folge sank die Zahl der Anrufe auch in Köln deutlich. Seit einigen Wochen aber steigt sie wieder. 13:58 Uhr, Ensen, Elsterweg: Enkeltrick/Schockanruf, angeblich Sohn an Corona erkrankt, benötigt teures Medikament zur Behandlung (Versuch) 13:20 Uhr, Flittard, Flittarder Hauptstraße: Enkeltrick/Schockanruf, Sohn an Corona erkrankt, 31.000 € für teures Medikament gefordert (Versuch) 12:30 Uhr, Weidenpesch, An den Kreutzmorgen: Enkeltrick/Schockanruf, Schwiegersohn an Corona erkrankt, Geld gefordert (Versuch)

„Gefäße gehen zugrunde, Verbindungen im Gehirn werden gekappt“

Was alle Täter eint: Sie suchen sich die Schwächsten als Opfer, Menschen, die alleine leben, im Alltag auch noch ganz gut zurechtkommen, „altersbedingt aber Beeinträchtigungen ihrer Urteils- und Kritikfähigkeit aufweisen“, sagt Juraj Kukolja, Facharzt für Neurologie ehemals an der Uniklinik Köln, inzwischen Chefarzt am Helios Universitätsklinikum in Wuppertal. „Es genügt schon eine leichte kognitive Beeinträchtigung“. Gewisse Kontrollmechanismen im Gehirn funktionierten mit zunehmendem Alter nicht mehr wie früher, sagt Kukolja. Neben einer beginnenden Alzheimer-Erkrankung könnten auch langjähriger Bluthochdruck oder Diabetes  auf Dauer kleine Gefäße im Gehirn schädigen – mit spürbaren Auswirkungen. „Die Gefäße gehen zugrunde, Verbindungen im Gehirn werden gekappt oder unterbrochen.“

Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass eine bestimmte Gehirnregion, die für das Gefühl der Abneigung und für die Bewertung von Risiken eine Rolle spielt, mit steigendem Alter abbaut. Die Folge: Das Frühwarnsignal ist bei vielen alten Menschen geschwächt, sie werden vertrauensseliger und unvorsichtiger. Und genau das nutzen die Trickbetrüger gezielt aus.

Lockvogel begeht folgenschweren Fehler

Bei Karla und Franz Paffrath aus Köln jedoch sind sie an die falschen geraten. Nach dem Notruf des Ehepaars schickt die Polizei sofort Zivilbeamte nach Porz, um das Abholer-Team auf frischer Tat zu ertappen. Ein Ermittler begibt sich in die Wohnung, andere observieren draußen die Umgebung, als „Inge“ erneut anruft. Sie habe das Geld jetzt, schwindelt Karla Paffrath – und begeht dann einen kleinen, aber folgenschweren Fehler.

„Ich ärgere mich heute noch darüber“, sagt sie auf ihrem Sofa in Porz. Denn plötzlich beginnt sie, die Anruferin, ihre vermeintliche Freundin Inge, zu siezen. Die wird misstrauisch und legt auf. Operation beendet, die Paffraths sind aufgeflogen. Die Polizei muss unverrichteter Dinge wieder abziehen.

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