Thomas Otten im Interview„Die Shoa schwingt immer mit“

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Thomas Otten

Thomas Otten, Gründungsdirektor des "MiQua"

Herr Otten, seit den 50er Jahren, seit den Grabungen von Otto Doppelfeld ist klar, welche Schätze das Areal vor dem Rathaus birgt. Wie kam es von da aus zu den Planungen für ein Jüdisches Museum?

Das ist ein tatsächlich eine lange Geschichte, die sogar weiter zurück als in die 50er Jahre reicht. Im Stadtgedächtnis, wenn man es so nennen kann, ist der Gedanke an das jüdische Viertel allein durch die Benennung der Straßennamen nie verloren gegangen – das gilt ebenso für die römische Zeit. Im 19. Jahrhundert hat es bereits Bodenaufschlüsse gegeben, bei denen man sofort in der historischen Substanz war.

Damals sah das Areal noch anders aus.

Den Rathausplatz gab es als solchen nicht. Es gab einen kleinen Platz vor der Rathauslaube, der jetzt durch das neue Museum wieder entsteht. Aber es ist richtig: Mit den großflächigen Grabungen von Doppelfeld, dem ehemaligen Direktor des Römisch-Germanischen Museums, der damit auch für die Bodendenkmalpflege zuständig war, konnte man feststellen, welch hohe Qualität die Stätte besitzt – auch flächenhaft. Das führte zu der Entscheidung, unter dem Spanischen Bau den nördlichen Teil des Praetoriums als einen begehbaren musealen Raum zu fassen. Meines Wissens gab es damals schon den Gedanken, diesen Bereich irgendwann einmal zu erweitern.

Wobei es zunächst anders kam?

Die Geschichte ist eher unrühmlich. Man hat sich entschieden, statt die preußische Architektur wieder zu errichten beziehungsweise zu restaurieren, eine Platzfläche einzurichten. Das war dann teilweise ein Parkplatz, teilweise eine Verkehrsfläche – aber kein Ort für den Aufenthalt.

Jüdisches Museum Dach

Ein Kran hievt Teile der Dachkonstruktion über den Neubau

Trotzdem glaubten viele, mit dem Bau des Jüdischen Museums werde ein schöner Platz aufgegeben.

Ein Platz ohne Adresse, ohne Charakter. Es gab Zitate der historischen Substanz durch die große römische Apsis, die offen war, so dass man dort hineinschauen konnte. Sie gehörte zur Aula des spätantiken Statthalterpalastes. Ferner gab es den kegelartigen Aufbau über der Mikwe. Ich glaube, die ersten handfesten Gedanken für eine grundsätzliche Umgestaltung hatte Hiltrud Kier als Stadtkonservatorin schon in den 70er Jahren – sie verfolgte einen städtebaulichen Ansatz. Und dann schrieb Hansgerd Hellenkemper vom Römisch-Germanischen Museum in den 90ern erste Konzepte, und eine wirklich handfeste Chance zur Realisierung kam 2010 mit der Regionale.

Damit ging es richtig los …

… auch durch die weitergehenden Grabungen, damals durch Sven Schütte. Aktuell sieht man die Entwicklung des Neubaus durch die Stahlkonstruktion, die über den Bauzaun reicht, während der unterirdische Fortschritt der Öffentlichkeit noch verborgen bleibt.

Das ist das große Spezifikum dieser Baustelle: die Verbindung von Archäologie und Neubau.

Das ist das Spannende. Der Architekturentwurf von Lorch hat die schöne Eigenschaft, dass der Neubau die Archäologie mit einschreibt. Es gibt kein regelrechtes Erdgeschoss, vielmehr erhebt sich das Haus wie eine Halle, wie ein Schutzraum über den wichtigsten Befunden des Jüdischen Viertels, in das es von überall her Einblicke gibt. Es werden also Blickachsen von der Ausstellungsfläche im oberen Geschoss hinunter zu den Befunden geschaffen.

Die Besucherinnen und Besucher können sich entscheiden, wohin sie sich wenden.

So ist es. Nachdem man das Museum betreten kann, begibt man sich auf die oberen Flächen mit Dauer- und Wechselausstellung, und dann kann man wählen, ob man sich zunächst diese anschaut, oder ob man sich hinunter in den archäologischen Rundgang begibt, der das Jüdische Viertel und die römischen Befunde miteinander verbindet. Dort werden Stege geschaffen, über die man sich durch diese archäologische Zone bewegt.

Ihr Ziel, so schreiben Sie, ist eine Begegnung mit zwei Jahrtausenden.

Darüber haben wir lange nachgedacht, denn die Archäologie ist im Grunde der leichtere Teil. Da haben wir die Evidenz aus den Grabungen heraus. Der entscheidende konzeptionelle Sprung lag darin, dass die traditionelle städtische Struktur mit Vierteln und Pfarrbezirken für die Juden infolge der Pogrome und der Ausweisung von 1424 an ein Ende kam, und die Frage, die wir uns stellten, war: Hat es damit sein Bewenden? Doch mit dem Anspruch, ein Jüdisches Museum für Köln zu sein, erzählen wir die Geschichte danach ebenfalls, auch die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg.

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Für unser Museum spielt es keine Rolle, ob wir den Zugang zu diesen Themen über die Ausstellung, die Topografie oder Biografien wählen – die Shoah schwingt immer mit. Kaum eine Institution, kaum eine Biografie, kaum eine Familiengeschichte geht ohne Bruch über diese Zeit, und deshalb erzählen wir selbstverständlich davon. Aber nicht in einer eigenen Abteilung, sondern immer im Zusammenhang längerer Erzählungen, die unglaublich eindrucksvoll zeigen, was verloren ging.

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