Tod von Kurt BraunKölner Landgericht weist Angeklagten in Psychiatrie ein

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Clemens K. Kölner Gericht

Der 60-jährige Angeklagte Clemens K. sitzt neben seiner Verteidigerin Harriet Krüger im Landgericht auf der Anklagebank

Köln – Das Urteil war für keinen im Saal eine Überraschung: Clemens K. (60), der im Dezember vergangenen Jahres im Zustand der Schuldunfähigkeit den Vollstreckungsbeamten Kurt B. beim Einsatz erstochen hat, wird auf Dauer in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Er bleibt also in der LVR-Klinik Essen, wo er als Hochrisiko-Insasse gilt: brandgefährlich, ständig unter Videobeobachtung und isoliert von den übrigen Patienten.

Eine Stunde Hofgang ist ihm erlaubt, dafür werden zwei Pfleger abgestellt, während K. mit Hand- und Fußfesseln an die frische Luft darf. Laut Aussage eines Klinik-Psychologen hat es in den vergangenen zehn Jahren in dieser Einrichtung keinen vergleichbar gefährlichen Fall gegeben. Zumal K. auf Befragen ausdrücklich erklärt habe, wenn er sich angegriffen fühle, „könne er für nichts garantieren“.

Von einer Gefährlichkeit war plötzlich nicht mehr die Rede

 Clemens K. ist ein wahnhafter Täter, dessen Gefährlichkeit den Psychiatrie-Kollegen aus der LVR Merheim hätte ebenso bewusst sein müssen, denn im April 2019 hatte K. bereits zweimal auf ähnliche Weise Menschen angegriffen. Es war nur einem glücklichen Zufall und Geistesgegenwart der Betroffenen geschuldet, dass die Opfer mit leichten Verletzungen davonkamen.

Dieser Mann also war nach sechs Wochen Psychiatrie in Merheim als „nicht mehr behandlungsfähig“ in die Obhut seines damaligen Betreuers übergeben worden. Von einer Gefährlichkeit war auf einmal keine Rede mehr. Als der Betreuer Bastian S. auf diesen Aspekt im Prozess angesprochen wurde, hatte er nur achselzuckend erwiedert: „Was sollte ich denn machen. Ich bin doch kein Arzt. Mir blieb nichts anderes übrig, als seine Entlassung so gut wie möglich umzusetzen.“ Allerdings hatte Bastian S. vorsichtshalber den sozialpsychiatrischen Dienst über den Fall Clemens K. in Kenntnis gesetzt. Deren Antwort: „Was sollen wir denn da noch machen, wenn er nicht behandlungswillig ist.“

Die Ärzte waren als Zeugen nicht geladen

Auf die Frage ob die Tat angesichts der Gefährlichkeit von Clemens K. vorhersehbar gewesen wäre, antwortete die Vorsitzende Richterin Ulrike Grave-Herkenrath mit einem „Ja, vielleicht.“ Letztlich verwies sie das Geschehen in die Zuständigkeit der Merheimer Ärzte, die im April 2019, als Clemens K. innerhalb von zwei Wochen gleich zweimal hintereinander mit einem gefährlichen Werkzeug — das erste Mal mit einem Kreuzschraubendreher, das zweite Mal in der Klinik mit einem Buttermesser — auf Menschen losgegangen war, „keine Eigen- oder Fremdgefährdung festgestellt haben“.

Warum nicht - das hätte man von den Ärzten im Zeugenstand erfragen können. Doch die Mediziner wurden erst gar nicht geladen, weil Clemens K. sie nicht von der Schweigepflicht entbinden wollte.

In der rund anderthalb stündigen Urteilsbegründung machte Grave-Herkenrath klar: „Eine andere Lösung als eine Unterbringung sieht das Gesetz in diesem Fall nicht vor.“ Clemens K. habe bei den Überfällen auf eine Gesundheitsmitarbeiterin im März 2019 und bei der Attacke auf Kurt B. im Dezember 2019 zwar genau gewusst, was er tat. Aber er könne aufgrund seiner Erkrankung — paranoide Schizophrenie — nicht zur Verantwortung gezogen werden, da seine Steuerungsfähigkeit und damit die strafrechtliche Verantwortlichkeit komplett aufgehoben sei.

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Der Verfolgungswahn, von dem das gesamte Denken und Handeln des Beschuldigten geprägt sei, mache es ihm unmöglich, in der Realität anzukommen. Hinzu komme die von einer Gutachterin festgestellte „positive Gefährlichkeitsprognose“. Es sei nicht auszuschließen, eher sogar wahrscheinlich, dass K. in Freiheit erneut zum Straftäter werden könne.

Erste psychische Auffälligkeiten habe K. bereits 1978 gezeigt. Der Anwalt seines Vermieters hatte das erste Betreuungsverfahren angeregt, weil K. auf „massiver Weise“ den Hausfrieden störte, sich mit Mietern anlegte, nachts schrie und seine Wohnung vermüllte, so dass es bis in dem Hausflur stank. Gegen die Betreuung hatte sich K. stets gewehrt, allein fünf Betreuer verschließen, weil er gegen jeden gewalttätig wurde. Die Betreuer hielten sich daraufhin zurück, vermieden jeglichen persönlichen Kontakt, erledigten die Vermögensangelegenheiten ihres Schützlings - von der Bearbeitung der Stromrechnung bis zum Antrag für Transferleistungen beim Sozialamt im Hintergrund - ohne seine Mithilfe.

Sowohl die Attacke auf die Gesundheitsmitarbeiterin im März 2019 als auch der Angriff auf Kurt B. wertete die Kammer als „heimtückischen Mord“, im ersten Fall als Versuch. Kurt B., den die Vorsitzende als „Karnevalsjeck, liebenswerten Menschen, hilfsbereiten Kollegen und langjährigen, gewissenhaften städtischen Mitarbeiter“ würdigte, habe bei der Gewaltattacke, bei der ihm der Täter mit einem Küchenmesser mitten ins Herz stach, keine Chance gehabt. „Es war eine Verletzung, die zu hundert Prozent mit dem Tod des Opfers endet.“

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