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Tödlicher Fahrrad-Unfall in Köln-EhrenfeldDie rastlose Suche nach einem Schuldigen

Lesezeit 4 Minuten

An der Unfallstelle in Ehrenfeld hängt Werner Hartmann Rosen auf..

Ehrenfeld – Drei rote Rosen. Eine für jeden Todestag. Behutsam steckt Werner Hartmann die Blumen für seine Tochter in eine Vase am Rand der Oskar-Jäger-Straße in Ehrenfeld, gleich neben der Einfahrt zum Thyssen-Krupp-Gelände. Der 69-Jährige kämpft gegen die Tränen. Auch Deko-Gras hat er mitgebracht. „Grün war ihre Lieblingsfarbe“, sagt er. Es ist 16.55 Uhr am Donnerstag. Auf die Minute genau vor zwei Jahren wurde Kerstin Hartmann auf dem Fahrrad an jener Stelle von einem rechtsabbiegenden Lastwagen überrollt. Im Fallen hatte die 29-jährige Unfallchirurgin versucht, sich von den Reifen wegzudrücken. Aber sie hatte keine Chance, sie war sofort tot. Der Lkw-Fahrer sagte im Prozess, er habe sie nicht gesehen. Der Richter verurteilte ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe und 3000 Euro Geldbuße.

Seitdem denkt Werner Hartmann täglich an seine Tochter. Schön sei das, sagt er, einerseits, weil er viele positive Erinnerungen habe. Aber es mache ihn auch traurig. Die schrecklichen Bilder vom Unfall kriegt er nicht aus dem Kopf. „Jedes Mal, wenn ich ein Martinshorn höre, ist alles sofort wieder da.“

Du solltest mal anfangen, wieder zu leben, raten Freunde ihm. Das klingt vernünftig. Es ist leicht gesagt. Aber wie nur? Hartmann weiß es nicht. Er weiß nur, dass er dem Tod seiner Tochter einen Sinn geben will. Und so kämpft er – für bessere Sicherheitstechnik an Lastwagen, für sichere Radwege, für ein Schmerzensgeld vom Lastwagenfahrer, gegen die angebliche Untätigkeit der Stadtverwaltung und gegen die Versicherung, die ihm seiner Ansicht nach zu wenig Geld für die hohen Beerdigungskosten erstattet hat.

Dafür hat Hartmann mit Lkw-Herstellern gesprochen, Politiker angeschrieben, Verkehrsexperten konsultiert. Bislang ohne Erfolg, keine Vorschrift ist aufgrund dessen verschärft worden. Aber aufgeben kommt für ihn nicht in Frage. „Ich hoffe“, sagt er und zögert einen Moment, „ich hoffe, dass das alles so im Sinne meiner Tochter wäre.“

Am Donnerstag, bevor Werner Hartmann die Rosen niedergelegt hat, ist er mit einem selbst gebastelten Mahnmal quer durch die Stadt gefahren. Auf einen Holzaufbau hat er über Ostern Fotos von Kerstin und Zeitungsberichte über den Unfall geklebt, Kerstins altes Fahrrad weiß gestrichen und das Ganze auf einem Autoanhänger befestigt. Das habe ihn viel Kraft gekostet, psychisch. „Ich habe den restlichen Leim aus einer Tube verwendet, mit der ich Kerstin damals die Möbel für ihre Wohnung gebaut habe. Das war sehr hart.“

Vor dem Rathaus hat er mit dem Anhänger Stopp gemacht und auf dem Parkplatz von Ikea. In einem Park sprach ihn ein Mann an, fragte, was genau mit seiner Tochter geschehen sei. „Es tut mir gut, darüber zu sprechen“, sagt Hartmann.

Auch vor dem Amtsgericht hat er seinen Anhänger aufgestellt. Während Passanten die Fotos und Artikel studierten, marschierte Hartmann zur Staatsanwaltschaft und übergab Strafanträge gegen vier Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Der 69-Jährige wirft ihnen eine Mitschuld am Tod seiner Tochter vor. Denn die Unfallstelle war an jenem 9. April 2013 nicht ordnungsgemäß beschildert und ausgebaut. Dort, wo Kerstin Hartmann gegen den Lkw stieß, endete der Radweg neben dem Bürgersteig mit einem Schlenker in Richtung Straße. Ob die Radfahrer hier auf die Fahrbahn wechseln mussten oder auf dem Gehweg weiterfahren durften, wurde nicht deutlich – zumal das vorgeschriebene Schild „Radweg endet“ fehlte. Es soll zwei Jahre zuvor umgefahren worden sein. Ein neues Schild wurde nicht aufgestellt, obwohl Anlieger die Stadt darauf aufmerksam gemacht haben sollen.

Im Prozess gegen den Lkw-Fahrer hatte der Richter eine Mitschuld der Stadtverwaltung im rechtlichen Sinne zwar verneint, aber hinzugefügt: „Auch die Stadt ist davon betroffen, dass dieses tragische Ereignis passiert ist.“

Inzwischen wurde die Unglücksstelle umgebaut. Ein schwerer Unfall hat sich dort seitdem nicht mehr ereignet. Hartmann ist überzeugt: „Hätte der Radweg immer so ausgesehen, wäre das mit Kerstin so nicht passiert.“