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StrafanzeigeKölner Kardinal Woelki wird versuchter Prozessbetrug vorgeworfen

Lesezeit 6 Minuten
Der Kölner Kardinal Rainer Woelki, hier während einer Messfeier in Rom, soll in einem Verfahren um Schadenersatz für ein Missbrauchsopfer einen Prozessbetrug versucht haben. So lautet der Vorwurf einer Strafanzeige.

Der Kölner Kardinal Rainer Woelki, hier während einer Messfeier in Rom, soll in einem Verfahren um Schadenersatz für ein Missbrauchsopfer einen Prozessbetrug versucht haben. So lautet der Vorwurf einer Strafanzeige. 

Ein Missbrauchsopfer verlangt Schadenersatz vom Erzbistum Köln. Hat die Bistumsleitung dem Landgericht prozessentscheidende Dokumente vorenthalten?

Nach dem für Kardinal Rainer Woelki glimpflichen Ausgang der Meineid-Ermittlungen droht dem Kölner Erzbischof erneut juristisches Ungemach. Die Betroffenen-Initiative „Eckiger Tisch“ und die Anwälte eines Missbrauchsopfers haben Woelki wegen versuchten Prozessbetrugs bei der Kölner Staatsanwaltschaft angezeigt.

Es geht um eine Schadenersatzklage, die die frühere Pflegetochter des als Serientäter verurteilten ehemaligen Priesters Hans Ue. gegen das Erzbistum angestrengt hat. Die heute 58 Jahre alte Melanie F. verlangt eine Summe von insgesamt 850.000 Euro. In der Anzeige werfen ihre Anwälte sowie der Geschäftsführer des „Eckigen Tischs“, Matthias Katsch, dem Erzbistum und namentlich dessen „Leitungsebene einschließlich des Erzbischofs“ vor, sie führten den Prozess „unredlich“. Wichtige Unterlagen seien dem Gericht vorenthalten, wesentliche Inhalte verschleiert oder verfälschend dargestellt worden.

Entscheidend für den Prozess, in dem das Landgericht Köln für den 1. Juli eine Entscheidung angekündigt hat, ist die Frage, ob das Erzbistum in Amtshaftung für die Missbrauchstaten des Priesters Ue. einstehen muss. Die Bistumsanwälte bestreiten dies mit dem Argument, dass der Geistliche die Verbrechen nicht in Ausübung seines Dienstes beziehungsweise im dienstlichen Kontext begangen habe, sondern als Privatperson in seiner Freizeit.

Ist ein Priester „immer im Dienst“?

Melanie F. und ihre Rechtsvertreter, angeführt vom Bonner Anwalt Eberhard Luetjohann, verweisen demgegenüber auf das katholische Amtsverständnis, wonach ein Priester „immer im Dienst“ ist. Weiter betonen sie, dass Ue. seine Stellung als Priester ausgenutzt habe. Das Erzbistum müsse haften, weil es die Aufnahme der Pflegekinder in Ue.s Haushalt aus seelsorglichen Erwägungen mit Blick auf das Kindeswohl erlaubt, die damit verbundenen Auflagen aber weder durchgesetzt noch kontrolliert habe.

Hierzu hält das Erzbistum fest, dass Ue.s kirchliche Vorgesetzte zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Pflegevaters gegenüber seiner Pflegetochter und demnach keinen Anlass für Kontrollen gehabt hätten.

Im Verlauf des Prozesses ließ das Gericht bisher erkennen, dass es die Sicht des Bistums teilt: So schrecklich die Vergehen Ue.s an seiner Pflegetochter auch waren – ein Haftungsanspruch gegen die Kirche sei nicht gegeben.

Zweimal wurde Melanie F. ungewollt schwanger

Ende der 1970er Jahre holte Ue. die damals zwölf Jahre alte Melanie F. und einen zwei Jahre älteren Jungen aus einem Bonner Kinderheim zu sich. Dafür erteilte der damalige Kölner Erzbischof, Kardinal Joseph Höffner, dem in der Schlussphase seiner Ausbildung befindlichen Geistlichen eine Ausnahmegenehmigung.

Schon kurze Zeit später begann Ue., sich an seiner Pflegetochter sexuell zu vergreifen. Die schweren Missbrauchstaten bis hin zum vollendeten Geschlechtsverkehr erstreckten sich über mehrere Jahre. Zweimal wurde Melanie F. ungewollt schwanger. Im ersten Fall ließ Ue. eine Abtreibung vornehmen, ohne dass seiner Pflegetochter dies bewusst war. Die Verbrechen, obwohl nach geltendem Recht verjährt, waren Gegenstand des Strafprozesses gegen Ue. wegen anderer Vergehen. 2022 verurteilte das Landgericht Köln Ue. zu zwölf Jahren Haft.

Kardinal Höffner verlangte, dass Melanie F. katholisch werden müsse

Die Anzeige gegen Woelki stützt sich auf eine Reihe von Dokumenten aus Ue.s Personalakte, in denen es um Ue.s Sorgerecht für die beiden von ihm betreuten Kinder ging. In einem Brief an Ue. vom Mai 1980, kurz vor Ue.s Priesterweihe, schreibt der damalige Regens (Leiter des Priesterseminars), Norbert Trippen, von der „ungewöhnlichen Last“, die Ue. sich in seiner Tätigkeit als Kaplan mit der Verantwortung für die Kinder aufbürden würde.

Das Schreiben stellte eine Zustimmung Kardinal Höffners unter einen klaren Vorbehalt. „Die Erlaubnis zur Übernahme der Kinder in Ihren Haushalt und gleichzeitig zur Übernahme des Sorgerechts für die restlichen Jahre wird Ihnen erst dann erteilt werden können, wenn Sie eine geeignete Haushälterin gefunden haben.“ Der Kardinal selbst hatte überdies verlangt, dass Melanie F. katholisch werden müsse.

Beziehung zu den Kindern „nun nicht mehr ohne Schaden auflösbar“

In Trippens Abschlussgutachten über den Priesteranwärter Ue. heißt es, dessen „anerkennenswerter Einsatz für die zwei Kinder“ habe nicht nur diese „sehr gefördert“, sondern auch die persönliche Entwicklung von Ue. beeinflusst. Die Beziehung zu den Kindern sei „nun nicht mehr ohne Schaden auflösbar“. Wenn er die Kinder nach der Weihe in seinen Haushalt aufnehme, werde eine „Ambivalenz erhalten bleiben: die einerseits positive Auswirkung auf die Kinder und Herrn Ue. – andererseits die möglicherweise nicht unerhebliche Belastung aus einer solchen Verantwortung.“

Ue. selbst wiederum schreibt vier Jahre später zur Vermeidung einer turnusgemäß anstehenden Versetzung an Trippens Nachfolger, wie sehr sich die Kinder unter seinem Einfluss zu ihrem Vorteil verändert hätten. Für beide „wäre es sehr tragisch und würde in ihrer Entwicklung vieles wieder zerstören, wenn sie nun schon wieder aus allem herausgerissen würden“.

Melanie F. mit einem ihrer Anwälte im Landgericht Köln

Melanie F. mit einem ihrer Anwälte im Landgericht Köln

Nach Ansicht Katschs und der Anwälte von Melanie F. ist aus den gesamten Darlegungen offen ersichtlich, dass die Bistumsleitung sich im Hinblick auf die Zustimmung zur Aufnahme der Kinder ausdrücklich mit Fragen des Kindeswohls beschäftigt habe. Mit der erteilten Genehmigung habe das Erzbistum die Kinder in den seelsorglichen Verantwortungsbereich der Kirche hineingenommen, ohne sich dann allerdings um die Einhaltung der damit verbundenen Auflagen zu kümmern. Insbesondere kam es nie dazu, dass Ue. – wie gefordert – eine Haushälterin eingestellt hätte.

Das Erzbistum hat demgegenüber bislang vorgetragen, es sei nach Aktenlage „wohl richtig“, dass die damalige Bistumsleitung von Ue.s Ansinnen „Kenntnis hatte“. Die Anzeige-Erstatter sprechen hier von einer verfälschenden Darstellung mit dem Ziel, die Amtshaftung der Kirche auszuschließen. Dem Gericht seien die Schriftstücke zur Auslegung und Bewertung vorenthalten worden, die eine Amtshaftung als gegeben erscheinen ließen. Katsch und Melanie F.s Anwälte sehen Woelki als Letztentscheider in den Prozess eingebunden – und damit als verantwortlich.

Melanie F.: „Endlich Fakten, schwarz auf weiß“

F. sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, sie finde es „sehr traurig“, dass das Erzbistum – in Kenntnis der Schriftstücke – ihr und ihrem Bruder dennoch die Beweislast aufgebürdet habe. Jetzt gebe es „endlich Fakten, schwarz auf weiß“. Sie hoffe sehr, „dass das Gericht endlich einsieht, dass wir die Wahrheit gesagt haben“.

Eine weitere Anzeige im gleichen Zusammenhang richtet sich gegen Ue.s früheren Dienstvorgesetzten Bernhard A., in dessen Pfarrhaus der Täter mit den Pflegekindern in seiner Zeit als Diakon wohnte. Er soll in der mündlichen Verhandlung am 25. März vor Gericht falsche Angaben gemacht haben, seine Kontrollfunktion gegenüber Ue. betreffend.

Ob die Staatsanwaltschaft auf Basis der Anzeige Ermittlungen gegen Woelki und andere Bistumsbeteiligte oder gegen A. einleitet, ist völlig offen. Einen Seitenhieb zum bisherigen Umgang mit dem Kardinal können sich die Anzeige-Erstatter in ihrem Schriftsatz nicht verkneifen.

Sie sprechen von „augenfälliger Nachsicht“ der Behörde und monieren unter anderem, dass die Meineid-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am Ende nicht zu einer Anklage führten, sondern gegen Geldauflage eingestellt wurden, obwohl ein Erzbischof als Leitungsorgan einer Körperschaft des öffentlichen Rechts doch „eine besondere Pflicht zur Sorgfalt, Sachlichkeit und Wahrhaftigkeit“ habe.

Aktenzeichen des Zivilprozesses: 5 O 220/23