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Kommentar

Kölner Erzbischof
Woelkis Selbstgerechtigkeit als Kardinalfehler

Lesezeit 3 Minuten
07.05.2025, Vatikan, Vatikanstadt: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki nimmt an der Messe vor Beginn des Konklave teil.

Der Kölner Kardinal Rainer Woelki beim Einzug zur Messe vor Beginn des Konklaves am 7. Mai. 

Der aus Köln stammende Ethikprofessor Mathias Wirth sieht nach dem juristischen Ende des Falls Woelki mindestens ein moralisches Problem.

Nach mehr als zwei Jahren ist die juristische Befassung mit dem „Fall Woelki“ ans Ende gekommen. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat der Kölner Kardinal zwar keinen Meineid geleistet, aber sehr wohl objektiv falsche Angaben gegenüber der Justiz gemacht. Fahrlässig, wie die Behörde unterstreicht. Woelki wird nicht angeklagt, er bekam aber eine recht hohe Geldzahlung auferlegt.

Professor Dr. Mathias Wirth

Professor Dr. Mathias Wirth

So verständlich Woelkis Freude darüber ist, einer Anklage entgangen zu sein, so irritierend ist die prompte Stellungnahme des Erzbistums Köln: Woelki „ist und bleibt unschuldig“. Abgesehen von der im Zusammenhang mit dem Thema sexualisierter Gewalt unverständlichen Erhebung einer Person über jeden Zweifel, was gerade in den Kirchen eine Ermöglichungsstruktur für Missbrauch darstellt, stimmt der Satz allenfalls in einem engen, formaljuristischen Sinn. Moralisch ist aber sehr wohl ein Fehlverhalten festzustellen. Darauf aber sollte es in den Kirchen primär ankommen, zu deren „Kerngeschäft“ doch die moralische Kommunikation gehört, wie etwa das „Liebesgebot“ Jesu im Neuen Testament zeigt.

Doppeltes moralisches Problem

Wenn die Staatsanwaltschaft Köln Woelki nun fahrlässige Falschaussagen im Zusammenhang mit Missbrauchstätern attestiert und – damit verbunden – einen Mangel an Sorgfalt bei einem Thema, das von ihm höchste Aufmerksamkeit erfordert hätte, wird ein doppeltes moralisches Problem sichtbar. Die Staatsanwaltschaft muss sich die Frage gefallen lassen, ob es glaubhaft ist, dass Woelki einen Verdacht auf sexualisierte Gewalt vergessen hat.

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Mit Anwendung von Paragraf 153a der Strafprozessordnung hat sich die Behörde für einen bequemen Weg entschieden, das Verfahren zu beenden. Der einschlägige Paragraf entzieht sich in gewisser Hinsicht dem simplen Schema „schuldig oder unschuldig“. Die Entscheidung der Justiz kommuniziert: Sehr wahrscheinlich lag ein Rechtsbruch vor. Aber es bleibt ein Graubereich. Es wird keine Anklage erhoben. Folglich steht am Ende des Verfahrens weder ein Schuldspruch noch ein Freispruch.

Gerade das Ausbleiben einer Anklage gegen Kardinal Woelki hätte zu Selbstkritik und einer offenen Auseinandersetzung mit Fehlern Anlass geben können.
Professor Mathias Wirth

Jenseits der juristischen Betrachtung gehört das – in theologischer Hinsicht – zur Grundsituation des Menschen. Eine Pointe der christlichen Idee von der Gnade Gottes ist die schonungslose Betonung der menschlichen Fehlbarkeit und die notorische Verwicklung des Menschen in Schuld, die aber vor dem „göttlichen Richter“ nicht zur Anklage kommt. Damit ist eine existenzielle Entlastung verbunden und zugleich eine religiös begründete Kraft, die moralische Schuld „scharf zu stellen“ und sie gerade nicht zu unterschlagen. Darin liegt ein konstruktiver Zug christlicher Theologie: Weil der Mensch mit seiner Schuld vor Gott nicht zum Angeklagten wird, kann und soll er jede Art von Selbstgerechtigkeit ablegen, die aus der Sorge vor einer Anklage erwächst.

Woelki setzt als Kirchenvertreter auf Selbstgerechtigkeit

Dieser für das Christentum entscheidenden theologischen und ethischen Spur folgt Kardinal Woelki nicht. Gerade das Ausbleiben einer Anklage gegen ihn hätte – im eben beschriebenen Sinn – zu Selbstkritik und einer offenen Auseinandersetzung mit Fehlern Anlass geben können. Stattdessen betont das Erzbistum fast triumphierend Woelkis Unschuld, und er selbst kommuniziert „Schlusspunkte“, was auf Betroffene von sexualisierter Gewalt besonders verletzend und zynisch wirken muss.

Wer als Kirchenvertreter so auf Selbstgerechtigkeit setzt, demonstriert nicht nur sein Unverhältnis zu Wesenselementen des christlichen Glaubens, sondern beteiligt sich auch an der Bagatellisierung sexualisierter Gewalt in den Kirchen und ihrer Aufarbeitung.


Der Autor

Professor Mathias Wirth, geb. 1984, ist evangelischer Theologe und Philosoph. Der aus Köln stammende Wissenschaftler ist Direktor des Instituts für Systematische Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern/Schweiz.