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Zweieinhalb Jahre währendes VerfahrenKardinal Woelki will zurück ins Kölner Stadtleben

Lesezeit 7 Minuten
Kardinal Rainer Maria Woelki beim Bad in der Menschenmenge auf der Domplatte Gebet im Dom zu Köln --- Ernennung des neuen Kardinals des Erzbistums Köln --- 12.07.2014 EP_jse

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Damals noch ohne Rucksack: Woelki bei seinem Amtsantritt im Jahr 2014 auf der Domplatte (Archivbild)

Schlusspunkt unter ein zweieinhalb Jahre währendes Verfahren: Es wird keine Anklage gegen den Erzbischof wegen des Verdachts auf Meineid und falsche eidesstattliche Erklärungen geben

Mit dem Blick zurück hält Kardinal Rainer Woelki sich nur einen Satz lang auf. „Ich bin froh und dankbar, dass wir hier jetzt zu einem Schlusspunkt gekommen sind“, sagt der Erzbischof, der heute ins Konklave zur Wahl des neuen Papstes zieht, als Reaktion auf die Mitteilung der Kölner Staatsanwaltschaft vom Dienstag: Es wird keine Anklage gegen den Erzbischof wegen des Verdachts auf Meineid und falsche eidesstattliche Erklärungen geben. Tatsächlich setzt die Behörde damit einen Schlusspunkt unter ein zweieinhalb Jahre währendes Verfahren.

Neuanfang in seinen Beziehungen zur Stadtgesellschaft

Von Rom aus schaut der Erzbischof entschlossen und offenkundig wohlgemut nach vorn: „Jetzt können wir uns mit ganzer Kraft den herausfordernden Zukunftsaufgaben widmen. Gemeinsam mit den vielen Engagierten im gesamten Erzbistum möchte ich neue Erfahrungsorte des Glaubens schaffen und wieder mehr Menschen für Christus und das Evangelium gewinnen“, betont er.

Dass dazu auch ein Neuanfang in seinen Beziehungen zur Stadtgesellschaft, zu nichtkirchlichen Institutionen und Verbänden gehören soll, liegt nahe. Auch unter dem Eindruck der laufenden Ermittlungen – in Woelkis Umgebung werden sie als schwerer Rucksack beschrieben, den der Kardinal fortwährend mit sich habe herumtragen müssen – hatte Woelki sich aus dem öffentlichen Leben weitestgehend zurückgezogen. Er wurde umgekehrt aber auch von Teilen der Gesellschaft gemieden. Bestes Beispiel: Über Jahre hinweg gab es für Woelki keine Einladung zur Prinzenproklamation, „dem“ gesellschaftlichen Ereignis des Jahres in Köln.

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Ob sich daran nun etwas ändert, ist natürlich noch nicht abzusehen. Aber ein Kardinal auf der Anklagebank wäre als Ehrengast bei öffentlichen Anlässen noch schwerer zu vermitteln gewesen als einer, gegen den „nur“ ermittelt wird.

Heraus aus der Fluchtburg kommen

Woelki müsse nun erstmal zurückkommen, heißt es in seiner Umgebung – zurückkommen aus Rom von der Papstwahl und generell zurück ins Leben, heraus aus seiner Fluchtburg, dem erzbischöflichen Haus an der Kardinal-Frings-Straße. Dort, wo die Staatsanwaltschaft im Juni 2023 eine Razzia durchgeführt hatte, um an Beweismaterial für den Verdacht zu kommen, dass der Kardinal zu seinem Kenntnisstand in zwei prominenten Missbrauchsfällen die Unwahrheit gesagt hatte.

Natürlich komme irgendwann „die zweite Luft“, so hoffen sie um Woelki herum. Woelki wolle im Erzbistum Köln seine Themen voranbringen. Vor allem in der Frage, wie wir die Menschen wieder in die Kirchen kriegen und nicht mehr vertreiben.

Schon für Mitte des Jahres sind wegweisende Entscheidungen zur künftigen Finanzausstattung der Gemeinden und der katholischen Institutionen im Erzbistum angekündigt. Woelki hat dafür vier strategische Ziele formuliert. Da geht es zuvorderst um die Evangelisierung – um die Begeisterung von Menschen für den christlichen Glauben und für das Engagement in der Kirche.

Ausstrahlung durch Wolken des Missbrauchsskandals verdunkelt

Einleuchtend, dass einem solchen pastoralen Bemühen deutliche Grenzen gesetzt sind, wenn an der Glaubwürdigkeit des Oberhirten Zweifel bestehen und seine Ausstrahlung durch die Wolken des Missbrauchsskandals und seiner Aufarbeitung verdunkelt wird. So setzt das Erzbistum nun am Ende seiner Pressemitteilung zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens keinen Schlusspunkt, sondern ein dickes Rufzeichen: Der Kardinal ist und bleibt unschuldig.

Bei der Staatsanwaltschaft Köln trifft diese Proklamation auf Unverständnis, und auch Strafrechtsexperten wie Professor Thomas Weigend von der Uni Köln halten sie in dieser Form für nicht haltbar. Jetzt zu sagen, Woelki sei unschuldig und habe nicht gelogen, „finde ich schon ziemlich stark“, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Ulrich Bremer, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Ich kann dem nur entgegnen, dass wir in zwei Fällen einen hinreichenden Tatverdacht festgestellt haben, dass der Kardinal also in zwei Fällen falsche Angaben gemacht hat.“ Die Behörde sei überdies „immer davon ausgegangen, dass es im Fall einer Anklage überwiegend wahrscheinlich zu einer Verurteilung gekommen wäre, weil der Beschuldigte falsche Angaben gemacht hat.“

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hat Woelki die falschen Angaben allerdings nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig gemacht. Alle Vorwürfe gegen den Kardinal standen im Zusammenhang mit presserechtlichen Streitigkeiten zwischen Woelki und der „Bild-Zeitung“ vor dem Landgericht Köln.

Sorgfaltspflichten verletzt

Die Ermittler konnten aus Woelkis Kommunikation unter anderem mit seiner Büroleiterin Gerlinde Schlüter belegen, dass der Kardinal sich selbst unsicher war, wann er von Vorwürfen gegen den früheren „Sternsinger-Präsidenten“ Winfried Pilz erfahren hatte. „Unter diesen Umständen hätte er weitere Erkundigungen anstellen und gegebenenfalls verbleibende Erinnerungslücken einräumen müssen“, tadelt die Staatsanwaltschaft. Indem er stattdessen „aufs Geratewohl“ behauptet habe, mit der betreffenden Causa erstmals im Juni 2022 befasst gewesen zu sein, habe Woelki seine Sorgfaltspflichten verletzt.

Als „objektiv unwahr“ sei überdies Woelkis Aussage unter Eid anzusehen, er habe im Fall eines 2017 von ihm in ein leitendes Amt beförderten Priesters weder zwei einschlägige Dokumente zu einem konkreten Missbrauchsvergehen gesehen noch sonst davon erfahren. Woelkis Einlassung hierzu, einen Brief nach Rom vom November 2018 mit eingehender Schilderung des Geschehens „zwar unterzeichnet, nicht aber gelesen zu haben, sei aus Sicht der Staatsanwaltschaft „aufgrund zahlreicher Indizien widerlegt“.

Nicht auf Vernehmung vor Gericht vorbereitet

Die Behörde rügt auch, dass Woelki sich unter anwaltlicher Beratung nicht auf seine Vernehmung vor Gericht vorbereitet habe. Strafrechtler Thomas Weigend sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, im Ergebnis bleibe der Sachverhalt aufgrund der Einstellung ungeklärt. Insofern könne man die vom Landgericht Köln bestätigte Verfügung der Staatsanwaltschaft nicht - wie es das Erzbistum insinuiere - als offizielle Feststellung verstehen, dass Kardinal Woelki „nicht gelogen“ habe. „Im Gegenteil: Der plausibel begründete Verdacht, dass Kardinal Woelki einmal fahrlässig eine objektiv falsche Eidesstattliche Erklärung abgegeben und einmal eine objektiv falsche Aussage unter Eid vor Gericht gemacht habe, bildet gerade die Grundlage der Einstellungsverfügung.“

Allerdings, so Weigend weiter, „wäre die Schuld des Kardinals - auch wenn sie in einem Verfahren vor Gericht festgestellt würde – nur gering. Die Geldzahlung von 26.000 Euro, was einer Höhe von 60 Tagessätzen entspricht, könne demnach „als ausreichend“ dafür gesehen werden, den Verdacht gegen Woelki nicht weiter zu verfolgen.

Woelki zahlt Geldauflage aus Privatvermögen

Wie das Erzbistum auf Anfrage betonte, wird Woelki die Geldauflage aus seinem Privatvermögen bezahlen. Auf die Kritik an der Pressemitteilung des Erzbistums erwiderte Woelki-Sprecher Wolfram Eberhardt: „Was die Staatsanwaltschaft sagt, ist die eine Seite. Letztlich ist es nur zu einer Einstellung des Verfahrens gekommen, weil der Kardinal dem zugestimmt hat.“

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller griff Woelki scharf an, sparte aber auch nicht mit Kritik an der Staatsanwaltschaft. „Woelki hat die Unwahrheit gesagt – ein Verstoß auch gegen die zehn Gebote der Bibel und ein verwerfliches Handeln.“ Zudem habe er „augenscheinlich die Vorgänge bei der Missbrauchsaufarbeitung nicht wirklich mit der gebotenen Sorgfalt, etwa durch eigene Einsichtnahme von Akten und Briefen, verfolgt und sich auch um der Opfer willen dienstrechtswidrig nicht ausreichend gekümmert.

Die Staatsanwaltschaft ihrerseits habe „clever“ den Zeitpunkt vor dem Beginn des Konklaves in Rom und der Wahl des neuen Bundeskanzlers genutzt, um endlich Klarheit in die Sache zu bringen. „Sie hat den Kardinal fraglos rechtskonform, aber dennoch mit Glacéhandschuhen angefasst. Die Allianz von Thron und Altar scheint weiter gut zu funktionieren.“ Nach Schüllers Worten beginnen im Erzbistum nun „bittere Jahre einer trostlosen Wüstenwanderung mit einem Erzbischof an der Spitze, dem die Gläubigen nicht mehr vertrauen, weil sie nicht mit Sicherheit wissen können, ob er gerade die Wahrheit oder die Unwahrheit sagt.“

Mit Blick auf die Einstellung des Verfahrens erinnerte Schüller an den Präzedenzfall Franz-Peter Tebartz-van Elst: Auch dem früheren Bischof von Limburg war eine falsche eidesstattliche Versicherung vorgeworfen. Auch er entging mit Zahlung einer Geldauflage einer Anklage. „Seinen Bischofssitz hat er danach trotzdem verloren“, so Schüller.

Die katholische Reform-Initiative Maria 2.0 sprach von einer „schweren Niederlage“ für Woelki. „Die Staatsanwaltschaft hat den Kardinal, der sich immer als großen Aufklärer dargestellt hat, nun zweimal der Lüge überführt, ob bewusst oder unbewusst“, sagte Maria-2.0-Sprecherin Maria Mesrian dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es bleibe dabei, dass Woelki seiner Aufgabe zur Aufgabe des Missbrauchsskandals nicht gerecht geworden sei, „sondern dass er primär vertuscht und Täter geschützt hat“.