Was Männer erleben, wenn sie Frauen mit einem Maibaum überraschen wollen
Mai-TraditionBirken, die an Regenrinnen hängen – eine Liebeserklärung an den Maibaum

Selbstverständlich ist es auch möglich, seiner geliebten Heimatstadt einen Maibaum zu stellen. Hier steht ein Exemplar vor dem Kölner Dom.
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Traditionen haben ihre eigenen Regeln, selbst wenn diese hier und da mit den tatsächlichen Gesetzen kollidieren. Daher sei an dieser Stelle vieles im Konjunktiv formuliert. Einerseits zum Selbstschutz, andererseits auch wegen der vielen Zeit, die vergangen ist, seit im Kölner Westen Maibäume in Massen verteilt wurden. Denn manche Erinnerung verblasst schneller als ein Kreppband im Mairegen.
Für Zugereiste hier das grobe Reglement: In der Nacht zum 1. Mai stellen heranwachsende Männer in Köln und Umgebung junge Birken vor die Häuser ihrer Angebeteten. Zwar war es schon immer so, dass auch in festen Beziehungen oder sogar in Ehen Bäume gestellt wurden, weil es so eine schöne Geste ist. Grundsätzlich sollte das Stellen eines Maibaums jedoch die Manifestation einer geheimen Verehrung sein – ohne Anspruch auf Exklusivität. So konnte es durchaus passieren, dass es in den Vorgärten besonders populärer Mädchen in der Mainacht zuging wie auf einem Ameisenhaufen: Von überall kamen verliebte Jungs daher, mit Bäumchen beladen. Schlechte Charaktere versuchen bisweilen, Bäume etwaiger Rivalen zu stehlen, weshalb es auch eine Tradition des Bäume-Bewachens gibt. Aber wer hat darauf schon Lust?
Ein wichtiges Utensil: der Rucksack. Darin natürlich Kreppbänder, die idealerweise wasserfest sind. Denn erstens soll so ein Baum auch nach verregneter Mainacht Herz und Auge der Angebeteten erfreuen. Gleichzeitig will man es sich nicht mit dem Herrn des Hauses verscherzen: Eine verfärbte Hauswand verschlechtert die Chancen auf Fürsprache im Elternhaus der Partnerin in spe. Zur Rolle des Vaters später noch mehr.
Wer gut vorbereitet ist, hat neben Kreppbändern und einer Schere auch Schnüre im Rucksack. Und natürlich: Kabelbinder. In einer Gegend mit Einfamilienhäusern etwa gilt es als adäquat, die Garage zu erklettern, um den Baum dort an der Regenrinne des angrenzenden Wohngebäudes zu befestigen – leicht erhöht und damit gut sichtbar. Auch für die Mädchen der Nachbarschaft. Die Königsklasse ist allerdings der Schornstein. Einen Weg aufs Dach zu finden, gilt zurecht als Heldentat: Am Morgen des 1. Mai einen prächtig geschmückten Fünf-Meter-Baum hoch droben auf dem Dach zu sehen, dessen bunte Bänder vor blauem Himmel im Frühlingswind wehen, zählt zu den erhabensten Resultaten menschlicher Brautschau.
Hier und da kamen Sägen zum Einsatz
Um die Realität nicht durch Auslassungen zu entstellen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich in den Rucksäcken früherer Zeiten neben den bereits genannten Utensilien auch eine Säge befand. Maibaumtaxis waren noch nicht erfunden, und wer etwas auf sich hielt, mied die offiziellen Verkaufsstellen. So gehörte es zumindest früher mancherorts womöglich zur Tradition, an die Birkenpollen-Allergiker zu denken und den einen oder anderen Baum aus dem Stadtbild zu entnehmen.
Oft auch spontan. Zwar will es die Tradition, dass ein Maibaum ohne weitere Hilfe gestellt wird. Aber das ist natürlich Unsinn, schließlich trifft man sich am Abend des 30. April im Freundeskreis zum Grillen, um dann am späteren Abend gemeinsam durch die Vororte zu schleichen und das eine oder andere Vorhaben in die Tat umzusetzen. Weil es aber beim Maibaumstellen zu nicht unerheblichen Teilen ums Anhimmeln geht, musste regelmäßig spontan ein Baum her, weil man etwa am Haus einer Mitschülerin vorbeikam, in die zwar niemand konkret verliebt war. Bei der jedoch Einigkeit darüber herrschte, dass ein Baum definitiv angebracht sei. So war das Maibaumstellen auch ein Akt jugendlicher Ritterlichkeit. Schließlich konnte man nicht zulassen, dass beliebte Mädchen am 1. Mai ohne Baum aufwachten, nur weil sich gerade niemand traute, sein Glück zu versuchen.

Viel besser geht es nicht: Ein stolzer Maibaum am Himmel über Köln, weithin sichtbar.
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Ein besonderes Thema ist allerdings das Abholen des Baumes. Mancher Vater ließ durch seine Tochter ausrichten, eine Abholung sei nicht nötig – er freue sich über bestes Birkenholz, um den Grill anzufeuern. Das war dann ein Ende des Maibaums, mit dem man ganz gut leben konnte. Denn aufs Abholen hat traditionell niemand so recht Lust. Grundsätzlich muss ein Baum in der Nacht zum 1. Juni wieder eingesammelt werden, um sich von der Angebeteten dabei erwischen zu lassen – ein schöner Gedanke gerade im Falle einer geheimen Liebe, die dann selbstverständlich erwidert wird.
Wer erwischt wird, hatte aus dem Bestand des designierten Schwiegervaters das Anrecht auf eine Kiste Bier – oder auf einen Kuchen der Angehimmelten. Beides herrliche Aussichten, doch bleibt zu sagen: Den Regeln entsprechend abgeholt wird kaum ein Baum. Aus diesem Grund steht so mancher bis in den Sommer am Haus, vertrocknet und nicht mehr allzu schön anzusehen. Doch die Schönheit liegt selbstverständlich auch da im Auge der Betrachterin.
Wenn Sie aus Ihrer Vergangenheit eine besonders schöne Erinnerung rund um den Brauch des Maibaum-Stellens erzählen möchten, schreiben Sie uns eine E-Mail mit Betreff „Maibaum“ an: leserforum@kstamedien.de