VeedelsspaziergangEin „Tatort“-Star am Eigelstein

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Justine Hauer, die Frau, die man als "Beckchen" aus dem Bodensee-"Tatort" kennt, wohnt am Eigelstein.

Justine Hauer, die Frau, die man als "Beckchen" aus dem Bodensee-"Tatort" kennt, wohnt am Eigelstein.

Köln – Es gibt Menschen, die haben ein Liebesschloss an der Hohenzollernbrücke, wählen täglich am Morgen aus ihren verschiedenen Jeans die eine zum Anziehen und träumen ansonsten von einem Leben unter Palmen. Das alles tut Justine Hauer nicht. Sie hat statt eines Liebesschlosses einen Lieblingsknopf, würde ihre langen Beine niemals in zwei Baumwollröhren stecken und lebt genau dort, wo sie schon vor Jahren hinwollte: in der Weidengasse am Eigelstein. Für Südsee-Umzüge wäre die 41-Jährige ohnehin ungeeignet, weil sie „wahnsinnig ungern“ verreist und man sie schier nötigen muss, in den Urlaub zu fahren.

Privat ist sie ein Innenstadt-Junkie

Gleichwohl kehrt sie regelmäßig in ihre Bodensee-Heimat zurück, um sich dort in „Beckchen“ zu verwandeln und die Ermittlungsarbeit von Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) zu unterstützen. Seit zwölf Jahren verkörpert Justine Hauer im „Tatort“ aus Konstanz die kokett im Minirock agierende Assistentin Annika Beck, die mitunter darunter leidet, dass in Polizeibüros so selten attraktive Männer auftauchen. Privat ist sie ein Innenstadt-Junkie; jemand, der in schlaflosen Nächten unbedingt das Gefühl braucht, nicht als einziger wach zu liegen. "Das würde mich deprimieren."

Wir treffen uns an der Eigelsteintorburg, um zuerst besagten Lieblingsknopf in Augenschein zu nehmen; jenes Ding, das den Anschein erweckt, als lasse sich damit das im Rundbogen verankerte Tor fallbeilartig versenken, aber eigentlich ein Kunstwerk ist. Von dort sind es nur ein paar Schritte zu Justine Hauers zweitliebstem Café im Veedel, was als Feststellung amüsiert, da Justine Hauer "eigentlich nie Kaffee trinken" geht. Hier, im Textilcafé, könnte sie sich unabhängig von der Wahl des Heißgetränkes auch eine Hose zulegen, wenn sie welche trüge. Tut sie aber nicht. Zumindest nicht drüber. Unterm Rock hält die 1,80 Meter große Schauspielerin mittels einer Unterhose ihres Freundes die Strumpfhose da, wo sie hingehört. Und obendrein hält die Unterhose — an Tagen wie diesen — die Kälte ab.

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Es gibt im Übrigen noch andere Dinge, die sie nie tut oder täte, vom Hosen tragen abgesehen: Dinge essen, "die Augen oder Eltern haben". Oder heiraten. Letzteres, „weil ich so wahnsinnig ungern Verträge unterschreibe“.

Dass sie, die nach einer Fernsehdokumentation über Massentierhaltung bereits mit 14 Jahren zur Vegetarierin wurde, ausgerechnet in einem Viertel landete, das gefühlt zu 79 Prozent aus Brautkleid-Anbietern und Grillstuben besteht, passt zu der Frau, die charmant-unkonventionell und so gar nicht stromlinienförmig daherkommt.

Bodenlange Roben

Wir stehen vor Melissa Braut- und Abendmoden, wo sich die Trauschein-Gegnerin mit Blick auf die rot-weißen bodenlangen Roben in ähnliche Begeisterung reden kann wie ein Kunsthistoriker vor dem Dom.

Nach mittlerweile 17 Jahren in Köln und Zwischenstationen im Belgischen Viertel und in Barbarossaplatz-Nähe wollte sie genau hierher, wo „das Publikum so extrem durchgemischt“ ist und es neben dem komplett türkischen Teil die Alteingesessenen gebe, „die noch richtig Kölsch reden“; wo der kleine Sohn (2) mit leuchtenden Augen die Geschäftsauslagen betrachten kann und vom Bäcker einen Keks oder Teigkringel bekommt. Wo nach wie vor dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen wird und man bei manch einer Fassade zu gerne wüsste, was dahinter steckt.

Viele Künstler

Hauer liebt das Gegensätzliche: Die Häuser mit den Döner-Läden im Erdgeschoss und der Madonnen-Figur weiter oben in der Fassade. Meterweise Taft und Tüll in den Schaufenstern und auf dem Bürgersteig der Loddel mit einem Mädel.

„Dann sind hier noch viele Leute im künstlerischen Bereich tätig, was man denen aber nicht ansieht“. Die 41-Jährige mag diese heruntergespielte Wichtigkeit. Das sei hier eben ganz anders als im Belgischen Viertel, was sie keineswegs abwerten wolle. „Hippe Leute tun einer Stadt, die sonst eine glatte Drei ist und Gefahr läuft, ganz in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, durchaus gut.“

Während sie das sagt, geraten die vergoldeten Teekannen an ihren Ohrläppchen tüchtig in Schwingung. Das tun sie erneut, als wir das Fisch-Paradies und das Weinhaus Vogel passiert haben und ein paar Schritte weiter auf die Rudimente einer Häuserzeile schauen. „Das Savoy hat den halben Eigelstein gekauft. Das ist der Wahnsinn, was hier passiert!“

So, wie Hauer das sagt, wird durchaus deutlich, dass sie mit den noch bestehenden Etablissements in diesem „Männervergnügungsviertel“, wie sie es nennt, weniger Probleme hat als mit der Vorstellung von geplanten Luxus-Hotelappartments.

Am Eingang zur Weidengasse weist sie auf das außergewöhnliche Eckhaus, in dem sich ihre „Lieblings-Spielothek“ befindet, die sie zwar nicht besucht, aber gerne anschaut. Anschließend betreten wir den Wohn- und Geschenkartikelladen „Gotlik Art“, wo wir uns mindestens zwei Stunden aufhalten müssten, um nur das halbe Sortiment von Lampen, Schmuck und Bildern gesehen zu haben. Von Suha Ardanic, dem freundlichen Inhaber, hat Hauer bereits zwei Lampen gekauft.

Kein Brot nördlich von Frankfurt

Weiter geht es vorbei an dem seit mehr als 50 Jahre bestehenden Backhaus Bechers. Mit dem wird die Schauspielerin aber wohl nie wirklich warm werden; nördlich von Frankfurt sei das Brot nur noch bedingt genießbar, findet die Hauer nämlich. Lachend posiert sie dann einer weiteren Sehenswürdigkeit, dem Haus mit der Nummer 16. Dort, wo früher ein Juwelier ansässig war, „habe man eine tragende Wand rausgeklopft“, was überhaupt „ein beliebter Sport in der Weidengasse“ sei. Nun schlängelt sich ein bedrohlich wirkender Riss über die Fassade. „Das wird man wohl abreißen müssen.“

Um zu erfahren, wo man das beste Lammfleisch kauft oder besonders gut speist, ist die Frau vom Bodensee keine gute Quelle. Sie frequentiert nicht einmal den ansässigen Obst- und Gemüsehändler, weil sie überzeugt ist, „dass konventionelle Landwirtschaft unseren Planeten ruiniert“. Demzufolge kauft sie auch keine konventionellen Produkte.

Ihre Lieblingsadresse im Veedel ist das relativ neu eröffnete Café Westflügel, wo selbst gemachte Blätterteigteilchen und leckere Veggieburger angeboten werden und Kunstausstellungen stattfinden. „Da gehen wir ganz viel hin.“ Nachdem wir uns auf der anderen Straßenseite bei "Damla" durch das 120 Sorten umfassende Gebäck genascht haben, landen wir schließlich bei der alten Frau Filz in ihrem seit 1937 bestehenden Hausrat-Geschäft „Ed. Balke“.

Für Justine Hauer, die dort schon Spiegeleier-Formen, Reiben und andere kleinere Haushaltswaren erstanden hat, hat der Laden mit der museumsreifen Eichenholzkasse „das schönste Schaufenster der Straße“. Unter den Gegenständen in der Auslage befindet sich auch eine Spätzle-Presse, wie sie die Frau aus Südbaden natürlich ebenfalls besitzt.

DJane im „Durst“

Just an diesem Küchengerät endet der Spaziergang mit Justine Hauer. Leider hat der fast legendäre Italiener „San Remo“ noch geschlossen und die gegenüber liegende Musikkneipe „Durst“ ebenfalls. „Manchmal lege ich dort auf“, sagt die Schauspielerin, derweil die Teekannen wieder an Schwingung zulegen. Nach dem Bodensee-Tatort vom vergangenen Sonntag werden wir „Beckchen“ in Zukunft vielleicht mit anderen Augen betrachten.

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