Vor GroßdemoWie gehen Kölner Kurden und Türken mit dem Nordsyrien-Krieg um?

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Im türkischen Café Beyoglu am Eigelstein werden seit einigen Monaten keine politischen Nachrichten mehr gezeigt.

  • Kurden und Türken leben in Köln meist friedlich zusammen. Doch der türkische Einsatz in Nordsyrien birgt großes Konfliktpotenzial.
  • Darüber reden wollen in der Stadt nur wenige. Wenn es um den Krieg geht, sind Worte vielen zu gefährlich.
  • Im Vorfeld der Großdemonstration von Kurden am Samstag will niemand die angespannte Stimmung weiter anheizen.

Köln – „Wir essen alle, trinken alle, schlafen alle, arbeiten alle. Meine Kollegen sind Kurden, ich bin Türke, wir sind alle Menschen, oder?“ Bilen, Verkäufer in der Nimet-Backstube auf der Kalker Hauptstraße, sagt, was viele sagen. Neben ihm steht ein kurdischer Kollege und schweigt. Er sei gegen die Militäroffensive der Türken in Nordsyrien, sagt Bilen. „Aber es gibt sogar Leute, die finden Hitler gut. Auch wenn man das nicht glauben kann.“

In dem Laden, sagt der Verkäufer, werde nicht über Politik gesprochen, und auch nicht über Religion. „Mir ist egal, woher jemand kommt oder wen er anbetet. Leider denken nicht alle Menschen so.“

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Bilen, Verkäufer in der Nimet-Backstube an der Kalker Hauptstraße in Köln

In einer kleinen Ditib-Moschee in der Vietorstraße warten Jugendliche auf den Beginn des Koranunterrichts. Die Religionslehrerin irritiert die Frage nach dem Zusammenleben von Kurden und Türken in Köln. „Ich bin halb kurdisch, halb türkisch, so wie viele hier“, sagt sie. „Zu uns kommen Kurden, Türken, Araber, Mazedonier und Menschen aus vielen anderen Ländern und Kulturen. Wir haben einen Tag der offenen Moschee, jeder ist hier willkommen. Was gerade in Syrien passiert, stört die Beziehungen der Menschen in Köln nicht.“

Zu der Frage, ob sie es gutheiße, dass staatliche Verbände wie die Ditib in ihren Moscheen für türkische Soldaten beten lassen, sagt die Lehrerin nichts, sie scheint sich provoziert zu fühlen. „Wir reden hier über Kultur und Religion, das hat mit Politik nichts zu tun“, sagt sie mit Nachdruck, und entschuldigt sich. Zu der Frage, ob das im Falle der Ditib und anderer Moscheevereine wirklich so stimmt, kommt es nicht mehr.

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Fast jeder kurdisch- oder türkischstämmige Kölner gibt höflich Antwort, wenn man ihn fragt. Der Kalker Friseur, selbst kurdischstämmiger Iraker, der vor Saddam Hussein floh, sagt: „Man ist nett zueinander und schont sich. Natürlich bin ich kein Erdogan-Freund. Aber ich würde es öffentlich nicht sagen. Zu mir kommen nationalistische Türken genauso wie kurdische Flüchtlinge, die Angehörige in der Kriegsregion in Syrien haben.“

Der Kellner eines kurdischen Restaurants sagt – freilich nur, ohne genannt zu werden: „Wissen Sie, es ist alles ein riesengroßer Mist: Wir schweigen uns an, auch Nachbarn. Dabei wollen wir am liebsten schreien. Nicht nur wegen Erdogan: Auch weil alle – auch Deutschland! – die Kurden im Stich lassen. Wir werden aber kämpfen. Der Angriff der Türken vereint zumindest die Kurden.“

„Es ist besser, nichts zu sagen.“

Mustafa Nabaz, (kurdischer) Besitzer des Restaurants Saana auf der Kalker Hauptstraße, antwortet: „Bei mir arbeiten Türken und Kurden. Ich sage ihnen, dass sie bei der Arbeit nicht über Politik sprechen sollen. Es ist nicht gut. Es ist besser, nichts zu sagen.“

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Demonstrierende Kurden an der Deutzer Werft in Köln am 12. Oktober 2019.

Geschwiegen wird freilich auch dann, wenn gesprochen wird. Im türkischen Café Beyoglu am Eigelstein werden seit einigen Monaten keine politischen Nachrichten mehr gezeigt – „aus Respekt, und auch, weil hier keiner will, dass die Emotionen hochkochen“, sagt ein Stammgast. Kurden aus Syrien, dem Irak, Iran und der Türkei sitzen mit Erdoğan-Anhängern an einem Tisch – einigen können sie sich beim Chai-Tee manchmal darauf, dass sie sich vom Westen im Stich gelassen fühlen.

Manchmal schweigen die Menschen auch aus Angst. Worte können gefährlich sein, weil man die Ehre des Nachbarn, der Freundin, des Kunden verletzen könnte – aber auch, weil man „Verwandte in der Türkei hat und weiterhin dorthin reisen will“, wie Ciler Firtina sagt. Firtina ist Kurdin und mit einem Türken verheiratet, aber darum gehe es nicht: „Die nationale oder ethnische Zugehörigkeit sagt nichts aus. Es geht um Menschenrechte und um Frieden.“

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Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan bei dessen Besuch in Köln-Ehrenfeld im September 2018

Sie pflege weder persönliche Kontakte zu rechtsradikalen Türken noch zu nationalistischen Kurden, sagt Firtina, die als Dolmetscherin und Moderatorin arbeitet und im Vorstand des Fördervereins des NS-Dokumentationszentrums arbeitet. „Es ist bitter, dass viele Menschen auch in Deutschland nicht mehr miteinander sprechen. Dass viele aus Angst, Überforderung oder einfach, weil es zu kompliziert ist, schweigen.“

Firtina kritisiert die Politik des türkischen Staatspräsidenten öffentlich: Sie wirft Recep Tayyip Erdoğan vor, „die Menschen mit seiner populistisch-nationalistischen Politik zu spalten und viele dadurch zum Schweigen zu bringen“. Der Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien sei „ein völkerrechtswidriger Krieg, der auch so benannt werden muss“. Es sei traurig, dass Menschen schon verunglimpft werden könnten, „weil sie einen Krieg einen Krieg nennen. Und aus Resignation oder Sorge lieber gar nicht mehr sprechen“, sagt Firtina.

Zeichen für den Frieden setzen

Sie erlebe das Miteinander von kurdisch- und türkischstämmigen Menschen in Köln „trotz des langjährigen Konflikts als fast schon erstaunlich friedlich“, sagt Berivan Aymaz, kurdischstämmige Landtagsabgeordnete der Grünen. Um den gesellschaftlichen Frieden aufrechtzuerhalten, brauche es in den Gemeinden und Städten „einen stetigen Dialog und eine sachliche Aufklärung über die Hintergründe des Konflikts. Die türkischen Gemeinden und Moscheevereine sollten klare Zeichen für den Frieden setzen. Wenn die Ditib und andere Verbände offen für Erdoğan und seinen Angriffskrieg eintreten, heizen sie die Stimmung dadurch auf“.

Von Aufklärung und Dialog sind längst nicht alle Kurden und Türken in Köln überzeugt. Ein (türkischstämmiger) Besucher eines Cafés am Eigelstein sagt, was viele Erdoğan-Anhänger denken: „Es heißt in westlichen Medien immer, Erdoğan kämpfe gegen die Kurden, aber das stimmt nicht: Die Türkei kämpft gegen die Terroristen der PKK, die von den USA über Jahrzehnte mit Waffen beliefert worden sind.“ Die kurdischen Kämpfer der YPG-Miliz würden in westlichen Medien oft idealisiert.

„Ich glaube nicht an die westliche Sicht und auch nicht an Präsident Erdoğan“, sagt der Besucher. „Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass es in Syrien vor allem um imperialistische Interessen der USA, von Russland und dem Iran geht. Und Europa mit Rücksicht auf den Flüchtlingsdeal mit Erdoğan lieber auch schweigt.“

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