Im Interview spricht die Kölner Expertin für Einsamkeit Erzsébet Endlein über Probleme, Hilfen und Lösungsansätze in der Weihnachtszeit.
Weihnachten in KölnWenn Einsamkeit besonders belastet – und was dagegen hilft

In der Weihnachtszeit belastet Einsamkeit Menschen besonders stark, so die Kölner Sterbe- und Trauerbegleiterin Erzsébet Endlein im Interview. (Symbolbild)
Copyright: Michael Bause
Köln soll einer Studie vom August zufolge die Stadt mit der geringsten Einsamkeitsrate sein. Dennoch vereinsamen auch hier stetig mehr Menschen. Diese Erfahrung macht auch die Kölner Sterbe- und Trauerbegleiterin Erzsébet Endlein, die den Verein „Endlich Palliativ und Hospiz“ gegründet hat. Besonders intensiv zeige sich das in der Weihnachtszeit.
Was machen Sie in der Funktion als ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin überhaupt, und wie begegnen Ihnen dabei einsame Menschen?
Als Sterbe- und Trauerbegleiterin unterstütze ich Menschen in kritischen Lebenslagen. Zum Beispiel am Lebensende, in Zeiten des Abschieds und während der Trauer. Ich höre den Menschen aufmerksam zu, begleite sie in tiefsten emotionalen Krisen und stehe sowohl Angehörigen als auch den Betroffenen zur Seite. Sehr viele Menschen erzählen dabei von Einsamkeit. Vor allem jene, die keinen engen Familienkreis mehr haben, deren Freundschaften sich im Laufe der Jahre aufgelöst haben oder die durch Krankheit, Verlust oder seelische Belastungen kaum noch soziale Kontakte pflegen können.
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Inwiefern unterscheidet sich dabei „allein sein“ von „einsam fühlen“?
Es ist tatsächlich hilfreich zu wissen, dass sich einsam zu fühlen nichts mit dem Zustand des Alleinseins zu tun hat. Allein zu sein ist ein objektiv sichtbarer Zustand, der häufig auch positiv empfunden wird. Einsamkeit ist hingegen ein subjektives Gefühl: das Empfinden von Leere, fehlender Verbundenheit oder mangelnder Resonanz. Oft auch, wenn man von anderen umgeben ist. Um zu erkennen, ob sich ein Mensch einsam fühlt, reicht es also nicht aus, ihn auf ein etwaiges Alleinsein zu überprüfen. Einsamkeit kann sich stattdessen in emotionaler Distanz und körperlichen Symptomen wie Schlafstörung, Appetitlosigkeit oder allgemeinem Unwohlsein zeigen.
Wie hat sich das Thema Einsamkeit in den vergangenen Jahren verändert?
Einsamkeit hat durch gesellschaftliche Veränderungen, insbesondere Digitalisierung und die Pandemie, spürbar zugenommen. Viele Menschen erleben weniger direkten Kontakt, während psychische Belastungen und soziale Unsicherheiten gestiegen sind. Auch haben sich gesellschaftliche Strukturen verändert: Familien wohnen seltener in mehreren Generationen zusammen, Pflege und Sorgearbeit lasten auf weniger Schultern, und berufliche oder digitale Lebensformen reduzieren persönliche Begegnungen. Auch soziale Medien können hierzu beitragen. Viele Menschen erzählen mir, dass sie sich zwar „vernetzt“, aber nicht „verbunden“ fühlen.
Von Einsamkeit betroffen sind daher auch zunehmend junge Menschen. Besonders häufig trifft sie Trauernde, die wichtige Bezugspersonen vermissen, Jugendliche, die sich trotz vieler Kontakte nicht zugehörig fühlen, aber auch ältere Menschen, die Partner, Freunde oder Mobilität verloren haben. Aber auch Alleinerziehende oder Personen, die neu in einer Stadt sind oder durch berufliche Veränderungen soziale Netze verloren haben, sind öfter einsam. Deswegen braucht Einsamkeit zunächst einmal Nähe und Verständnis. Es beginnt oft mit dem Zuhören.
Wie äußert sich das in der Weihnachtszeit?
Weihnachten ist ein Fest, das traditionell mit Familie, Wärme und Geborgenheit verbunden wird. Für viele – auch nicht-christliche Menschen – ist Weihnachten eine Zeit des Zusammenseins und der Besinnlichkeit. Ein duftender Tannenbaum, das gemeinsame Abendessen oder der Besuch des Gottesdienstes schenken das Gefühl von Zugehörigkeit. Geschenke werden oft ausgetauscht, was eine wichtige Tradition darstellt. Wer diese Nähe nicht erlebt, kann die Einsamkeit besonders schmerzlich empfinden oder oft stärker wahrnehmen. Gefühle von Verlust, Leere oder Ausschluss können dann intensiver sein.

Erzsébet Endlein hat durch jahrelange Ehrenamtsarbeit eine breite Expertise rund um das Thema Einsamkeit aufgebaut. Im Interview berichtet sie.
Copyright: Alexander Schwaiger
Und vor welchen speziellen Herausforderungen stehen Betroffene dann?
Betroffene erzählen mir von verstärkter Traurigkeit, Erinnerungen an frühere, glücklichere Feste, Schlafstörungen oder innerer Unruhe und dem Gefühl, vergessen worden zu sein. Das Gefühl von Einsamkeit kann durch die Erinnerungen an frühere harmonische Familienfeste auch verstärkt empfunden werden. Gerade an diesen besonderen Festtagen ist der Wunsch noch größer, doch wenigstens mit jemandem zu sprechen. Dabei entstehen die Herausforderungen in der Weihnachtszeit nicht unbedingt durch neue Situationen, sondern durch den starken Kontrast oder durch die Diskrepanz zwischen den eigenen inneren Gefühlen und der gesellschaftlich erschaffenen Erwartungshaltung.
Gibt es in der Weihnachtszeit besondere Angebote für einsame Menschen?
Tatsächlich gibt es in der Weihnachtszeit auch ein breiteres Auffangangebot für einsame Menschen. Viele gemeinnützige Vereine, Gemeinden, soziale Einrichtungen und Kirchengemeinden bieten offene Feiern, Begegnungsnachmittage, ehrenamtliche Besuchsdienste oder Telefon- und Onlineangebote an. Auch Trauergruppen und Hospizdienste bieten gemeinsame Abende in der Adventszeit an. Und wer niemanden zum Reden hat, kann rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter der Nummer 116 123 anrufen oder den „Telefonbesuch der Malteser“ kontaktieren. Dort findet man stets ein offenes Ohr.
Einsamkeit zu überwinden ist ein Prozess – oft in kleinen, behutsamen Schritten. Deshalb ist es wichtig, solche Angebote aufzusuchen und anzunehmen. Besonders hilfreich sind meiner Erfahrung nach Gruppenangebote, Kurse und Gesprächskreise sowie sich neue Rituale zu schaffen und Gewohnheiten nach und nach zu verändern. Wichtig ist dabei: Niemand muss Einsamkeit allein überwinden, und jeder Schritt zählt. Somit kann jede Begegnung und jede kleine Geste zu einem Lichtblick werden.
Haben die Erfahrungen mit Einsamkeit auch eine positive Seite?
So schmerzhaft Einsamkeit ist – sie kann auch eine Botschaft enthalten. Sie zeigt an, dass im Leben etwas fehlt. Manche Menschen entdecken in Zeiten der Einsamkeit ihre eigenen Bedürfnisse klarer, reflektieren Beziehungen, stärken ihre innere Widerstandskraft und entwickeln neue Interessen. So kann Einsamkeit – wenn man sie ernst nimmt– ein Startpunkt für Veränderung, Entwicklung und mehr Verbundenheit mit sich selbst und anderen sein.

