Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

StudieKöln Spitzenreiter in der Liste der Städte mit geringem Einsamkeitsrisiko

6 min
Eine Frau mit roter Pappnase feiert Weiberfastnacht

In Köln ist das Einsamkeitsrisiko laut einer Untersuchung geringer. Vielleicht auch wegen des Brauchtums.

In Köln ist man am wenigsten allein. Das suggeriert nun zumindest der World's Loneliest Cities Report 2025. Was sagen Kölner Experten dazu?

Der Worlds Loneliest Cities Report 2025 hat beste Nachrichten. Köln soll den Studien-Machern der Berliner „Nova Tech Industries“ zufolge die Stadt mit dem geringsten Risiko zur Einsamkeit sein. Teilt man die frohe Kunde mit Menschen, die sich in der Stadt seit vielen Jahren mit dem unfreiwilligen Alleinsein vieler ihrer Bürgerinnen und Bürger beschäftigen, dann erntet man zuweilen Überraschung ob dieses Ergebnisses. Schließlich enthüllte erst vor zwei Jahren eine Studie im Auftrag der Landesregierung, dass die bisher eher unter Senioren verbreitete Einsamkeit auch auf die Jugend übergegriffen hat: Jeder fünfte Jugendliche fühlte sich demnach unfreiwillig allein.

Und auch eine Umfrage des Statistischen Bundesamtes ergab, dass sich die Zahl der jungen Menschen, die sich einsam fühlen, in Deutschland von 14 bis 17 Prozent in der Zeit vor Corona auf 36 Prozent im Jahr 2023 verdoppelt hat.

Wie das Einsamkeitsrisiko gemessen wurde

Der World's Loneliest Cities Report 2025 hat sich nun das Ziel gesetzt, das Einsamkeitsrisiko an Orten möglichst objektiv zu vergleichen. Statt per subjektiver Umfrage Einsamkeit festzustellen, betrachtet der Bericht Faktoren für Einsamkeit lokal. Dafür hat er europäische und US-amerikanische Städte in neun Kategorien gemessen. Im Fokus hatten die Forscher etwa die Heiratsrate, das Glücksniveau sowie die Gesundheitsversorgung. Für jede Kategorie vergeben die Forscher zwischen einem und zehn Punkten; je mehr Punkte, desto niedriger fällt das Einsamkeitsrisiko am Ende aus.

Das Ergebnis: Köln gewinnt mit 41,8 Punkten von 90 Punkten, Lissabon und Miami folgen dicht dahinter mit 41,7 Punkten auf Platz zwei. In den Top zehn der 25 untersuchten Städte liegen auch Berlin, Hamburg und München. Die traurige andere Seite der Treppe führt ausschließlich in die USA: Die einsamsten Städte sind Los Angeles (20,2 Punkte), Houston (20,2 Punkte), San Diego (22,5 Punkte) und Dallas (22,8 Punkte). Schlusslicht ist New York City mit 18,7 Punkten. Ein Problem der US-Metropolen: Sie sind eher mit Autos statt zu Fuß erkundbar. Und wer schon mal versucht hat, auf der Stadtautobahn Beziehungen zu knüpfen, der weiß, dass das der Einsamkeit durchaus zuträglich sein kann.

Herausgekommen ist am Ende eher ein Indikatoren-Ranking. Alle europäischen Metropolen verfügen vor allem über ein vergleichsweise gutes Gesundheitssystem, einen robusten Sozialstaat und schaffen es so schon schnell automatisch auf die vordersten Plätze. Hinzu komme eine ausgeglichene Balance zwischen urbanem Leben und sozialer Infrastruktur. „Das deutsche Modell der Stadtentwicklung, das öffentliche Räume, kulturelle Einrichtungen und soziale Dienste betont, scheint besonders effektiv bei der Bekämpfung urbaner Einsamkeit zu sein“, heißt es. Grundlage für die Bemessung dieser öffentlichen Räume und kulturellen Einrichtungen war beispielsweise die Zahl der Yoga- und Fitnessstudios oder queeren Bars im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. Wissenschaftlich mag man das kritisch sehen, aber immerhin haben die Studien-Macher ein wichtiges Ziel erreicht: Aufmerksamkeit für ein Thema zu schaffen, das sich lange in der Tabuzone versteckt.

Grundlage für die Bemessung: Zahl der Yogastudios oder queeren Bars im Verhältnis zur Bevölkerungszahl

Und vielleicht ist die gute Platzierung der deutschen Städte und insbesondere der einzigen Metropole Nordrhein-Westfalens ja gerade die Folge der schlechten Nachrichten nach der Corona-Pandemie. Immerhin ist die Diagnose – und sei sie noch so besorgniserregend – ja auch der erste Schritt zur Genesung. So sieht es zumindest Arndt Klocke, Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion für mentale Gesundheit. In den vergangenen Jahren geriet die Bekämpfung von Einsamkeit auch in Deutschland und hier auch speziell in NRW zunehmend in den Fokus von Politik. „Da hat uns Großbritannien mit seinem Einsamkeitsministerium inspiriert. Die zunehmende Einsamkeit während Corona hat die Lage dann zugespitzt.“

Und dann muss man kein Lokalpatriot sein, um vorauszusehen, dass das Thema Einsamkeitsbekämpfung in Köln zumindest nicht auf sandigen Boden fällt: „Köln ist eine Stadt des Gemeinsinns. Eine Metropole für Bürgervereine, Initiativen, Sportclubs, Karnevalsgärten und Nachbarschaftsfeste. In Köln findet der zweitgrößte Christopher-Street-Day Europas statt“, schwärmt Klocke im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass eine zugeschriebene heitere Volksseele, erste Plätze in Rankings und Fortschritte in der politischen Debatte nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die Einsamkeit auch in Köln noch immer einen zu großen Platz einnimmt. Und dass bei der Bekämpfung des guten Willens allein nicht erreicht wurde. „Sogar ein ehrenamtliches Projekt braucht immer auch finanzielle Unterstützung“, sagt Klocke.

Politischer Aktionsplan gegen Einsamkeit hat auch Kölner Projekte auf der Förderliste

Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist Klocke zufolge des Aktionsplans gegen Einsamkeit. Die Landesregierung hat ihn „Du+Wir=Eins“ genannt, auch Kölner Projekte finden sich auf der Förderliste. Ausreichend sei das aber lange nicht. Klocke fordert, dass die Stadt nicht an der Zivilgesellschaft spart, sondern gerade die Mittel für Soziales zusätzlich langfristig abgesichert werden müssten. Das sei am Ende sogar ökonomisch, sagt Klocke: „Weil jeden Euro für Soziales kriegen wir vielfach in Wohlstand im Gesundheitssystem und bei den Ausgaben zur Prävention von Rechtsextremismus wieder raus.“ Einsamkeit belaste nicht nur die Seele der Betroffenen, sondern fördert auch Extremismus und körperliche Krankheiten. Beispielsweise steige Einsamkeitsstudien zufolge das Risiko von Demenz um 50 Prozent und das für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um ein Drittel.

Nils Freund von der Caritas pocht ebenfalls auf mehr Geld im Kampf gegen Einsamkeit: „Damit das Risiko für Kölner niedrig bleibt, muss die Stadt die Zivilgesellschaft mehr und verlässlicher finanziell unterstützen.“ Köln zeichne sich derzeit durch seine Vielfalt an Trägern für soziale Projekte und Netzwerke aus. Was laut Freund tatsächlich ein Bollwerk gegen Einsamkeit bilden könnte. Fragt sich nur, wie lange noch. Denn aktuell, so beobachtet Freund mit Sorge, streiche die Stadt Projekte, um Geld zu sparen. Dabei bräuchten besonders die steigende Zahl von Rentnern und die vielen zugezogenen Studierenden eine gute soziale Infrastruktur, um sich aufgehoben zu fühlen.

Infrastruktur, wie sie beispielsweise das Nachbarschaftswerk Kölsch Hätz biete, das ebenfalls die Caritas verantwortet. Das Prinzip: Nachbarn helfen ehrenamtlich anderen Nachbarn. Sie kümmern sich um Seniorinnen und Senioren, Kinder von Alleinerziehenden, veranstalten Straßenfeste und verbringen Zeit mit denen, die sonst wenig Ansprechpartner haben. Rund 600 Kölner engagieren sich bei Kölsch Hätz.

Der Kölner Psychotherapeut Professor Michael Klein begrüßte solche Initiativen im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Das Gegenstück zu Einsamkeit ist guter sozialer Kontakt – dazu tragen Nachbarschaftsnetzwerke, Vereine und Initiativen bei. Dadurch entsteht dann der psychologisch gesehen beste Schutz: Einen Freundeskreis aus zwei bis fünf wirklich Freunden zu erzeugen. Wer das hat, fühlt sich selten einsam.“ Für viele seiner Patientinnen und Patienten sei solch ein Netz keine Selbstverständlichkeit. Klein beobachtet eine zunehmende Isolation, die er auch der übermäßigen Nutzung sozialer Medien zuschreibt.

Ein gutes Netz an Beziehungen ist auch den Studienautoren zufolge dem Einsamkeitsrisiko abträglich. Formalitäten, wie sie aus Heirats- oder Scheidungs- oder Singleraten abzulesen sind, hängen mit dem Einsamkeitsrisiko oder dessen Abwesenheit zusammen. Sie kommen zu dem Schluss, dass „die Qualität sozialer Netzwerke wichtiger ist als formelle Beziehungsstrukturen.“

Das wird die kölsche Karnevalsseele gerne hören, die schon im Liedgut auch Wildfremde dazu einlädt, doch einfach einen mitzutrinken.


Die „Nummer gegen Kummer“ ist unter der kostenfreien Rufnummer 116 111 erreichbar – montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr. Dort finden alle unter 21 Jahren anonym und vertraulich ein offenes Ohr für Sorgen und Probleme (https://www.nummergegenkummer.de).

Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr unter den kostenfreien Nummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 erreichbar. Das Angebot richtet sich an Menschen jeden Alters, anonym und vertraulich, auch per Mail oder Chat nutzbar (https://www.telefonseelsorge.de).