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Psychologin erklärtWie Angehörige leiden, wenn der Mörder noch frei herumläuft

Lesezeit 2 Minuten

Am Tag nach dem Mord haben Freunde von Anke S. Blumen und Kerzen vor der Salatbar in der Innenstadt abgelegt.

KölnFrau, Dennemarck-Jäger, welche Auswirkungen hat ein Verbrechen auf die Angehörigen der Opfer?

Das kann viel schlimmer erlebt werden, als wenn ein Angehöriger durch eine Krankheit stirbt. Weil es ein so grausamer und unnötiger Tod war.

Stirbt jemand durch einen Unfall, stand keine Absicht dahinter. Dann leidet der Verursacher auch. Verliert man jemanden durch eine Krankheit, dann weiß man: Viele Menschen haben alles mögliche versucht, um zu helfen. All diese Faktoren machen es leichter, den Verlust zu verarbeiten.

Kommt jemand gewaltsam zu Tode, ist das ein Man-Made-Desaster – ein Mensch hat einem anderen etwas Schlimmes zugefügt. Das kann das Vertrauen in die Welt und in andere Menschen erschüttern. Warum ist es passiert? Diese Frage wird immer bleiben.

Wie ertragen die Angehörigen die ungeklärte Situation, dass ein Täter noch frei herum läuft?

Wenn der Mörder nie gefasst wurde, ist viel Raum für Spekulationen. Hinzu kommt das Gefühl, dass das Verbrechen nicht gesühnt wird. Wenn der Täter nicht vor Gericht gestellt wird, kann man sich nicht sagen: Er hat seine Strafe bekommen.

Das Gefühl, dass diese Geschichte nie beendet werden kann, lässt Angehörige verzweifeln. Es bleibt viel Platz für Phantasie: Wie lebt der Täter? Ist er vielleicht sogar glücklich? Damit kann man kaum Frieden schließen.

Was macht den Hinterbliebenen am meisten zu schaffen?

Diplom-Psychologin Brigitte Dennemarck-Jäger (59) ist als Therapeutin am Deutschen Institut für Psychotraumatologie in Zollstock tätig, zu dem auch eine Beratungsstelle für Gewalt- und Unfallopfer gehört. (hsr)

Diese Erfahrung kann nicht wirklich abgeschlossen werden. Weil immer Raum da ist für die Phantasie: Was ist passiert? Hat mein Angehöriger gelitten? Hat er in den letzten Minuten an mich gedacht? Das fragen sich vor allem Eltern, deren Kinder umgebracht wurden.

Oft bleiben Schuldgefühle: Warum habe ich mein Kind nicht zur Schule gebracht? Diese Abläufe kommen immer wieder in den Sinn und geben dem Gefühl und dem Verstand keine Ruhe.

Kann man richtig oder falsch trauern?

Trauern ist eine individuelle Angelegenheit. Man sollte sich nicht unter Druck setzen. Wichtig ist, dass die Trauer eine Form findet. Rituale unterstützen oder ein Hausaltar, der einem das Gefühl gibt: Die Person ist nicht weg. Sie ist ja auch nicht weg. Sie ist ständig da, in einer negativen Form: im Verlust. Wenn es gelingt, aus dieser negativen Form etwas Positives zu machen, also die Liebe zu erhalten, dann lässt sich der Verlust besser verarbeiten. Aber das ist nicht einfach.