„Wo ist Maria Kalesnikava?“Verfolgte Belarussinen sprechen in Köln

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Gerhart Baum und Tatsiana Khomich

Gerhart Baum (l.) und Tatsiana Khomich

Im Lew Kopelew Forum wurde die politische Verfolgung in Belarus diskutiert. Zu Gast war auch Gerhart Baum.

Eine Simultandolmetscherin übersetzte den Gästen, was Tatsiana Khomich zu sagen hatte. Und was sie hörten, klang nicht gut. „Wo ist Maria Kalesnikava?“ war die Diskussionsveranstaltung im Lew Kopelew Forum überschrieben.

Zusammen mit Swjatlana Zichanouskaja und Veranika Tsepkala trat Kalesnikava bei den Wahlen 2020 gegen den in Belarus diktatorisch regierenden Präsidenten Lukaschenko an. Eine Zeitlang sah es so aus, als würde sich das Blatt in der ehemaligen Sowjetrepublik wenden. Doch dann kam es anders: Die Wahlergebnisse wurden offenbar gefälscht, Lukaschenko setzte sich erneut ins Amt. Die Massenproteste danach wurden niedergeschlagen. Zichanouskaja und Tsepkala flüchteten ins Ausland. Kalesnikava jedoch wurde verhaftet und zu einer elfjährigen Haftstrafe verurteilt. Und jetzt?

Von Maria Kalesnikava gibt es seit Februar kein Lebenszeichen

„Was jetzt läuft, wissen wir nicht“, so Tatsiana Khomich, Kalesnikavas Schwester, im Gespräch mit dem ehemaligen ARD-Journalisten und Forums-Vorsitzenden Thomas Roth. Khomich hält sich mittlerweile ebenfalls im europäischen Ausland auf und arbeitet von dort aus für den oppositionellen Koordinierungsrat. Die 37-Jährige sieht sich als Stimme ihrer Schwester. Von ihr gebe es seit Februar dieses Jahres kein Lebenszeichen mehr, „keine Briefe, keine Anrufe, keine Treffen mit den Anwälten“. Kalesnikava, die Ende 2022 wegen eines Magendurchbruchs operiert werden musste, befinde sich in Isolationshaft unter „sowjetischen Verhältnissen“.

„Lukaschenko hat sich dieses Land seit 1994 unter den Nagel gerissen“, so Thomas Roth zur Einführung in den Abend, an dem auch Kalesnikavas Anwältin Liudmila Kazak und der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum teilnahmen. Seitdem bemühe er sich, Widersacher in seinem Lagersystem verkümmern zu lassen, „in einem Grab“ zu versenken: „Das werden wir nicht zulassen.“ Gerhart Baum, 91-jähriger FDP-Politiker und Bürgerrechtler, betonte, dass auch der russische Präsident Putin den „Wind der Freiheit“ aus Belarus fürchte. Noch mehr als die Nato.

Repressionen in Belarus: Ukraine-Sympathisanten werden verhaftet

Tatsiana Khomich berichtete, wie hart das belarussische Regime durchgreife und Sympathisanten der Proteste von 2020 und 2021 verfolge. Handyfotos würden ausgewertet, Menschen festgenommen wegen regierungskritischer Äußerungen in den sozialen Medien. Auch Statements gegen den Ukraine-Krieg oder die Verwendung ukrainefreundlicher Symbole könnten mehrere Jahre ins Gefängnis führen. Im Unterschied zu den Russen seien die meisten Belarussen gegen den Ukraine-Krieg und lehnten auch Lukaschenko ab.

Doch die Repressionen funktionierten gut, rund 500 000 Menschen hätten das Land bereits verlassen. Dazu gehört auch Liudmila Kazak, die ihre Karriere beenden musste, nachdem sie Maria Kalesnikava sechs Monate als Anwältin vertreten hatte. Sämtliche Anwälte der Oppositionspolitikerin hätten ihre Lizenz verloren und Belarus den Rücken gekehrt. Heute werde Kalesnikava nicht mehr anwaltlich vertreten. Die Bedingungen in der Haft hätten sich radikal geändert: „Die Staatsmacht hat das Ziel, die Ereignisse von vor drei Jahren auszulöschen.“

Die Lage scheint also hoffnungslos zu sein. Doch Gerhart Baum gab sich kämpferisch: „Nicht vergessen und nicht verharmlosen“, sei das Gebot im Umgang mit Belarus und den politisch Gefangenen: „Maria hat auch unsere Freiheit mitverteidigt.“ Es sei zu hoffen, dass Lukaschenko und Putin irgendwann scheiterten: „Die Aggressivität dieser Regime muss beseitigt werden, sonst leben wir nicht in Frieden.“

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