„Hinter den Zahlen verbergen sich Schicksale“Kölner Verein gedenkt 76 Drogentoten

Lesezeit 3 Minuten
Ein Paragraph wird symbolisch verbrannt.

Ein Paragraph wird am „Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende“ symbolisch verbrannt. Der Verein fordert Hilfsangebote statt strafrechtliche Verfolgung.

Zum „Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende“ hängt der Verein „Vision“ 76 schwarze Luftballons für Drogentote auf.

Diesmal waren es 76 schwarze Luftballons, die der Verein „Vision“ auf seinem Gelände in Kalk aufhing. Sie standen für die 76 Drogentoten, die 2022 zu beklagen waren – 68 in Köln und acht in Leverkusen.  Immer am 21. Juli, dem „Internationalen Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende“, veranstaltet die Kalker Beratungsstelle an der Neuerburgstraße eine Feier, um an die Toten zu erinnern. Erneut ist deren Zahl gestiegen. Wies die Polizeistatistik für 2021 noch 74 Drogentote aus (Köln und Leverkusen), waren es 2020 50.

„Verhindern könnte man das in erster Linie, indem man den Konsum entkriminalisiert“, sagt Claudia Schieren, Geschäftsführerin von „Vision“, dem „Verein für innovative Drogenselbsthilfe“. Dann würden sich die Konsumenten schneller outen und könnten rechtzeitig Hilfe bekommen. Derzeit geschehe dies meist erst nach vielen Jahren, „wenn das Leben in Illegalität, mit Schwarzmarktsubstanzen und Kriminalisierung körperliche und psychische Narben hinterlassen hat“.

2022: 76 Drogentote in Köln und Leverkusen

Symbolisch wurde während der Gedenkveranstaltung ein Paragraphenzeichen des Betäubungsmittelgesetzes verbrannt. Auch eine Gedenkminute zu Ehren der Verstorbenen zählte zum Programm. Zu den trauernden Teilnehmern gehörte Thomas aus Kalk. Früher habe er Kokain genommen, sei aber seit einigen Jahren clean, erzählt der 56-Jährige. Auch seine Verlobte habe ihre Sucht immer besser in den Griff bekommen. Vor zwei Jahren jedoch habe sie in seiner Abwesenheit „die falschen Leute mit nach Hause genommen“. Mit ihnen habe sie Tabletten konsumiert. Als er die Tür aufgeschlossen habe, habe die 49-Jährige tot auf dem Boden gelegen. „Es vergeht kein Monat, wo keiner gestorben ist“, sagt Thomas mit Tränen in den Augen: „Aber ich komme speziell wegen ihr hierhin.“

Drogenbeauftragter Burkhard Blienert und Claudia Schieren vom Verein „Vision“ beschriften während der Gedenkveranstaltung Schmetterlinge aus Papier mit Namen von Drogentoten.

Drogenbeauftragter Burkhard Blienert und Claudia Schieren vom Verein „Vision“ beschriften während der Gedenkveranstaltung Schmetterlinge aus Papier mit Namen von Drogentoten.

„Hinter den Zahlen verbergen sich Schicksale, es sind Menschen, die haben Angehörige, Arbeitskollegen, Geschwister und Kinder“, so Gastredner Burkhard Blienert, Sucht- und Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Angesichts der bundesweit 1990 Drogentoten im Jahr 2022 forderte auch er eine neue Suchtpolitik: „Wir brauchen keine Bestrafung von Drogenkonsumierenden.“ Stattdessen müssten sie unterstützt werden, um ein möglichst langes und würdevolles Leben führen zu können. Die geplante Cannabis-Legalisierung sei insofern „dringend notwendig“.

Köln hat drei Drogenkonsumräume

Der Verein „Vision“ versorgt Drogenkonsumenten mit Kleidung, Essen und Hygieneartikeln und bietet ihnen einen Ruheraum. Laut Claudia Schieren wächst die Nachfrage, pro Tag nähmen etwa 40 Männer und Frauen die Angebote wahr. Beschäftigt werden vom Verein sowohl Menschen mit Drogengeschichte als auch professionelle Kräfte. Dreimal pro Woche werden Parks und andere Orte von gebrauchten Spritzen gereinigt. Regelmäßig fahren Streetworker Szene-Hotspots an, um Hilfe anzubieten oder auf Anlaufstellen hinzuweisen. Die wachsende Zahl von Drogentoten führt Streetworkerin Jona Pfaff nicht nur auf eine falsche Drogenpolitik, sondern auch auf eine fehlende ärztliche Behandlung zurück: „Ein ganz großes Problem ist, dass psychische Erkrankungen und Suchterkrankungen nicht ausreichend zusammen behandelt werden.“

Derzeit sei verstärkt reines Kokain im Umlauf, erläuterte Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamts, am Rande der Gedenkveranstaltung. Die Droge könne seelische Krankheiten auslösen oder verstärken und auch zum Selbstmord führen. Immerhin könnte bald ein langgehegter Wunsch von „Vision“ in Erfüllung gehen: Der Drogenkonsumraum an der Dillenburger Straße in Kalk mit sechs Plätzen soll laut Nießen Anfang 2024 öffnen. Nach den Räumen am Neumarkt und am Hauptbahnhof wäre es der dritte in Köln. Für Claudia Schieren wäre die Einrichtung, die bereits 2017 vom Rat beschlossen worden sei, ein großer Fortschritt für das Rechtsrheinische. Der Drogenkonsum könne dann unter Aufsicht stattfinden: „Todesfälle passieren, weil die Menschen alleine konsumieren und niemand da ist, der helfen kann.“

KStA abonnieren