ZeitzeugeErinnerungen eines Kölner Holocaust-Überlebenden

Jerzy Gross, der letzte Überlebende von Schindlers Liste, stirbt im Alter von 84 Jahren in Köln.
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Köln – Erst als vor 25 Jahren der Hollywoodfilm Schindlers Liste in die Kinos kam, brach Jerzy Gross sein Schweigen. Er wandte sich gegen die Verklärung des Industriellen Oskar Schindler als Über-Held und Gutmensch. Die Identifikation mit Schindler als Judenretter habe dem Holocaust womöglich einen Teil seines Schreckens genommen.
Jerzy Gross, der sogar seiner Frau und seinem Sohn sein Schicksal als Schindler-Jude lange verheimlicht hatte, erzählte seine Geschichte nun an Schulen und in Universitäten. In den vergangenen Jahren zählte er zu den letzten in Deutschland wohnenden Überlebenden von Schindlers Liste. Als vor drei Jahren der Augsburger Mietek Pemper starb, war er der letzte. „Ich lebe, um meine Geschichte zu erzählen“, sagte er gern. Er hatte Parkinson und musste alle zwei Tage zur Dialyse, trotzdem trat er oft mehrmals pro Woche auf. Zuletzt stand er am 16. Mai auf der Bühne des Gymnasiums in Hückelhoven. In der Folge wurde eine spät entdeckte Krebserkrankung stärker als sein unbändiger Lebenswille.
Krebserkrankung spät entdeckt
Die Kölner Journalistin Angela Krumpen hat ein bewegendes Buch über den Mann geschrieben, der sich Michael Emge nannte. Unter seinem richtigen Namen hatte er mehrfach Morddrohungen von Neonazis erhalten. In Köln musste er aus Sicherheitsgründen dreimal den Wohnort wechseln. In dem Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“ erzählt Gross der jungen Geigerin Judith Stapf seine Geschichte. Die zwei fahren zusammen zu den ehemaligen Konzentrationslagern, wo der junge Jerzy Gross zusehen musste, wie Tausende Juden von den Nazis ermordet wurden. Gross war ein talentierter Geiger, bevor er ins KZ kam. Als er Ende der 60er Jahre nach Köln zog, arbeitete er als Barmixer und Verkäufer. Am Ende lebte er von Sozialleistungen.
Dass Gross auf Schindlers lebensrettende Liste kam, war purer Zufall – oder Schicksal, wie er glaubte. „Ich sollte wohl derjenige aus meiner Familie sein, der überlebt.“ 65 Familienmitglieder brachten die Nazis um. Außer Gross überlebte den Holocaust nur ein Onkel. Der Autor dieser Zeilen hat vor einem halben Jahr den Film „Schindlers Liste“ mit Jerzy Gross geguckt. Immer kamen Gross dabei die Tränen – er wollte sich indes auf diese Reise in die Vergangenheit einlassen, um möglichst vielen Menschen von der Unmenschlichkeit zu erzählen.
Wer erzählt die Geschichte weiter, wenn er tot ist? Diese Frage plagte ihn in den Tagen vor seinem Tod, als die Ängste aus dem KZ ihn panikartig einholten. Erst als seine Freundin Angela Krumpen ihm versicherte, seine Geschichte weiterzuerzählen, beruhigte er sich. Vor dem Tod an sich hatte der letzte Überlebende von Schindlers Liste keine Angst. Wie erst jetzt bekannt wurde, starb Jerzy Gross am 24. Juli mit 84 Jahren in Köln.