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Zwischen Arbeit und Familie„Meine Frau und ich haben beide die Arbeitszeit reduziert”

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Jürgen Kura vom Kölner Väterverein

  1. Eine psychisch labile Partnerin, eine konfliktreiche Beziehung, ein schwieriges Kind oder Selbstzweifel: Der Kölner Verein „Väter in Köln” hilft Vätern, die woanders keine Hilfe kriegen.
  2. „Wir sind, was Gleichberechtigung betrifft, im Vergleich zu den skandinavischen Ländern 30 Jahre hinterher”, kritisiert der Vorsitzende Jürgen Kura.
  3. Ein Gespräch über dominante Mütter, eine neue Sexualkunde und die Entscheidung, mehr Zeit mit der Familie als auf der Arbeit zu verbringen.

KölnHerr Kura, Sie verkörpern den neuen Typ Vater, sind Fotograf, Journalist und Vereinsvorsitzender. Liegt Ihnen der Wechsel zwischen den Rollen?

Jürgen Kura: Ich finde das gut, ja. Auch wenn es anstrengend ist. Ich will kein Rädchen in einer einzigen Maschine sein und damit auch komplett von dieser Maschine abhängig sein.

Haben Sie da schlechte Erfahrungen gemacht?

Ich selbst nicht. Aber mein Vater hat so gelebt. Er war Fotograf, musste aber nach dem Krieg in der Industrie arbeiten, um seine Familie mit vier Kindern zu ernähren. Er hat das getan, was seine Pflicht war. Er musste funktionieren in einer Rolle, die er sich selbst nicht ausgesucht hatte. Das wollte ich mir, aber auch meiner Tochter ersparen.

War Ihr Vater Vorbild oder eher abschreckendes Beispiel, als Sie überlegt haben, welche Art Vater Sie sein wollen?

Schwierig. Mein Vater war zu Hause teilweise ein Tyrann. Meiner Schwester hat er verboten, dass ihr Freund sie besucht, weil der lange Haare hatte. Er hat ihr verboten, kurze Röcke zu tragen. Und das Ergebnis? Meine Schwester ist aus dem Fenster geklettert, um heimlich auszugehen. Sie hat als Minderjährige geheiratet, um von zu Hause wegzukommen. Mir gegenüber war mein Vater wesentlich toleranter. Ich habe das schon damals als unfair empfunden.

So ein Mann und Vater wollten Sie nicht sein?

Nein. Aber ganz abgesehen davon habe ich mir sehr früh die Frage gestellt, was Männlichkeit bedeutet. Als meine große Schwester uns Jahre später mal wieder besuchte, war ich vielleicht zwölf Jahre alt. Sie gab mir die Hand und sagte: „Jürgen, du hast aber einen schwachen Händedruck, das ist aber nicht männlich.“ Damals habe ich angefangen, mir zu überlegen: Was ist das eigentlich: männlich sein? Und heute weiß ich: Als heterosexueller Mann sollte ich da in einer Schublade landen, in der ich vielleicht gar nicht sein will: als Alleinversorger der Familie, dazu ihr Oberhaupt – das war zumindest früher eine klar zugewiesene Rolle und die war gesetzlich geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch. Der Vater hatte das Recht, die Kinder zu züchtigen.

Das hat sich ja geändert. Kinder haben jetzt qua Gesetzbuch ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.

Das erst seit dem Jahr 2000! Der Staat macht Gesetze, aber um mit diesen Gesetzen umzugehen, brauchen die Menschen Begleitung. Väter mussten, ganz platt gesagt, ja lernen: Wenn ich jetzt nicht mehr schlagen soll, was mach ich denn dann? Wenn ich eine gleichberechtigte Partnerschaft leben will, wie geht das denn? Natürlich gibt es eine urbane Elite, die gute Vorbilder hat. Aber das ist nicht die Mehrheit. Vielen fehlt aber jemand, der ihnen vorlebt, wie anderes Rollenverhalten geht. Und um das zu kompensieren, fehlt die staatliche Unterstützung. In Schweden wurde die Elternzeit in den 70er Jahren eingeführt und gleichzeitig hat man sogenannte Vätertrainings etabliert. In Deutschland war man noch lange nicht so weit. Als die „Starke Eltern – starke Kinder“-Kurse des Kinderschutzbundes in den 90er Jahren auch abends angeboten wurden, um berufstätige Mütter und Väter zu erreichen, war das geradezu eine Revolution in der Familienbildung.

Deutschland ist – was Väterarbeit betrifft – hinterher?

Wir sind, was Gleichberechtigung betrifft, im Vergleich zu den skandinavischen Ländern 30 Jahre hinterher.

Zur Person

Jürgen Kura, Vorsitzender des Vereins „Väter in Köln e.V.“, wurde mit fünf Jahren zum ersten Mal Onkel. Wenn die Erwachsenen feierten, musste er sechs Nichten und Neffen betreuen. Er sitzt als beratendes Mitglied im Jugendhilfeausschuss und hat eine Tochter.„Väter in Köln e.V.“ bietet z.B. ein wöchentliches Vater-Kind-Café, eine Elternzeit-Vätergruppe, Crashkurs für werdende Väter. Im Herbst ist eine Fachtagung „Vater 4.0“ geplant.www.koelnervaeter.de

Wie sehr identifizieren Sie sich über Ihr Geschlecht?

Ich identifiziere mich in erster Linie über mein Vatersein. In zweiter Linie bin ich Partner und an dritter Stelle ein Mensch, der Geld verdienen muss. Da spielt die Frage, ob ich Mann oder Frau bin eigentlich keine große Rolle.

Gibt es zwischen Müttern und Vätern gar keinen großen Unterschied?

Sagen wir so: Wenn du dich als Vater um dein Kind kümmerst, machst du das gleiche wie eine Mutter. Außer stillen. Meine Frau und ich haben beide die Arbeitszeit reduziert. Es war mir wichtig, keine Entwicklungsphase zu verpassen, zu wickeln, beim Kinderarzt dabei zu sein. Für meine Frau und mich war das selbstverständlich.

Bei anderen Paaren ist das nicht so selbstverständlich. Ich glaube, Väter emanzipieren sich nicht so gerne, weil sie den vermeintlich unattraktiveren – nämlich unbezahlten – Teil der Arbeit dazubekommen. Während die Mütter durch Emanzipation ihre finanzielle Macht ausbauen.

Trotzdem gewinnen Männer etwas. Sie erhalten Zugang zu einer emotionalen Kraftquelle. Wer seiner Familie mehr Zeit widmet, lebt auch gesünder und damit länger. Ich habe zum Beispiel aufgehört zu rauchen. Ich konnte als Freiberufler Arbeit und Familie auch einigermaßen gut unter einen Hut bringen.

In einer Festanstellung wäre das nicht so gut gegangen?

Wahrscheinlich nicht. Statistisch ist es so, dass angestellte Väter noch mehr arbeiten als Männer ohne Kinder. Weil sie die Mehrausgaben erwirtschaften wollen, die ein Kind mit sich bringt. Und das, obwohl sich viele Paare die Rollenverteilung viel gleichberechtigter wünschen. Sie rutschen in die traditionellen Rollen zurück.

Aber die Arbeitswelt setzt weiter auf Vollzeit, Anwesenheit, feste Arbeitszeiten. Könnte die Wirtschaft da ein Hebel sein, um Veränderungen anzustoßen?

Sicher, und natürlich der öffentliche Dienst. Anfangs sperrten sich große Teile der Wirtschaft gegen das Recht auf Elternzeit. Und manche Branchen tun sich auch heute noch schwer. Aber vor allem dort, wo Fachkräftemangel herrscht, ändert sich vieles, weil die „neuen Väter“ eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wünschen. Und das ebnet wiederum auch Frauen den beruflichen Aufstieg.

Demnach war das Elterngeldgesetz eigentlich ein Erfolg.

Ja. In Köln haben 2017 etwa 36 Prozent aller frischgebackenen Väter Elterngeld bezogen. Und ein Drittel davon länger als zwei Monate – und das, obwohl nicht alle Vorbilder hatten und die neue Vaterrolle während der Schulzeit oder in der Familienbildung nur selten thematisiert wird. Dabei brauchen Jungen und Männer und erst recht werdende Väter eine gute Vorbereitung auf gleichberechtigte Partnerschaft und Erziehung.

Wie bringen Sie das Vätern bei?

Es geht nicht so sehr darum, dass wir ihnen etwas beibringen. Wir schaffen den Raum, damit Väter und Kinder miteinander umgehen lernen. Je häufiger etwas klappt – wie Wickeln, Füttern, Trösten – desto mehr Selbstvertrauen bekommen die Väter und umso gelassener werden sie. Dafür ist auch wichtig, dass Väter mal unter sich sind. Ohne Mütter, die alles regeln und damit dem Mann die Möglichkeit nehmen, die Lage alleine in den Griff zu kriegen. Die Väter lernen durch Austausch und die Beobachtung: Wie geht der andere Vater mit dem schreienden Kind um? Wie löst er einen Konflikt? Kann ich das auch versuchen? Das stärkt die Vater-Kind-Bindung und sorgt für mehr Engagement in der Familie.

Welche Väter erreichen Sie?

Zu uns kommen Väter aus allen Milieus, in allen Lebenslagen und jeden Alters. Oft sind sie wegen des Studiums, des Jobs oder der Liebe nach Köln gezogen, fern von der eigenen Familie oder sie haben hier keine Freunde, die Väter sind. Oder sie haben eine Herausforderung zu meistern: psychisch labile Partnerin, konfliktreiche Beziehung, schwieriges Kind, Selbstzweifel. Oder sie wollen einfach nur mal unter Vätern reden, sich zu Ausflügen verabreden, Spaß haben. Allein in unserer Whatsapp-Gruppe vernetzen wir zurzeit 80 Elternzeit-Väter. Wir wollen alle erreichen. Doch nur wenige muslimische Väter finden zu uns. Das mag daran liegen, dass wir Räume katholischer Träger nutzen, denen wir dankbar sind. In Berlin und Hamburg gibt es reine Väterzentren, die mehr Geld haben und entsprechend mehr anbieten können.

Wie wichtig ist Ihre Anlaufstelle für Trennungsväter?

Ziemlich wichtig. Zu unseren Vater-Kind-Cafés kommen auch getrennt lebende Väter, die ihr Kind nur am Wochenende sehen und teilweise dafür nach Köln anreisen müssen. Sie haben keinen ruhigen Ort, um selbstbestimmte Zeit mit dem Kind zu verbringen, mit ihm zu spielen. Bei uns können sie das.

Kann Väterarbeit dazu beitragen, Trennungen zu verhindern?

Das glaube ich schon. Aus Schweden wissen wir, dass Partnerschaften länger halten, wenn Väter engagiert sind und in Elternzeit gehen. Eine soziologische Studie aus Deutschland hat erwiesen, dass Väter, die Elternzeit genommen haben, sich auch danach mehr an der Familienarbeit beteiligen. Das entlastet die Partnerinnen und stärkt die Gleichstellung.

Müsste schon die Schule das Mutter- und Vatersein einüben?

Auf jeden Fall. Die Sexualkunde müsste sich weiterentwickeln. Es kann ja nicht nur darum gehen, eine selbstbestimmte Sexualität zu entwickeln und frühe Schwangerschaften zu vermeiden. Sondern auch um die Frage: Was braucht ein Kind eigentlich? Wie will ich als Vater oder Mutter sein? Wer verdient das Geld? Auch Kinder und gerade Jungen können sich damit ernsthaft beschäftigen, wie Projekte gezeigt haben.

Es gibt Männer, die sagen: Lasst euch nicht enteiern! Während ihr mit den Kindern spielt und den Hausmann gebt, sucht sich eure Frau einen richtigen Kerl fürs Bett. Dann habt ihr den Salat. Was entgegnen Sie?

Oft ist Männlichkeit ja nur reine Behauptung, zum Beispiel mittels eines großen Autos. Ein Mann, der in der Lage ist, nachts um drei Uhr alleine das Problem einer geplatzten Windel in einem frisch bezogenen Bett zu lösen, der beweist mehr Standvermögen als derjenige, der jeden Tag ins Büro geht und nur das tut, was sein Chef ihm sagt.