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Acht Thesen zum SelbstverständnisWie verändert Digitalisierung den Journalismus?

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Die Digitalisierung führt zur tiefgreifenden Transformation unserer Gesellschaft. Sie hat auch grundlegend die Art verändert, wie wir miteinander kommunizieren, Informationen teilen und gemeinsames Wissen herstellen. Journalismus muss sich in diesem Spannungsfeld positionieren, behaupten und in Teilen neu erfinden. Acht Thesen zu unserem Selbstverständnis.

Wir sind moderne Informationsmanager

Als das Internet aufkam, dominierte die euphorische Annahme, Wissen werde demokratisiert, Meinungsvielfalt gestärkt. Sogenannte Gatekeeper-Funktionen, die auch der Journalismus übernimmt, würden kritisch herausgefordert und zum Nutzen aller pluralisiert. Im Jahr 2021 wissen wir: Professionelle Instanzen, die wertvolle von nutzlosen und falschen Nachrichten unterscheiden, sind notwendiger denn je. Wir sind Informationsmanager, die für die moderne Gesellschaft relevantes Wissen produzieren, organisieren, kuratieren und kommunizieren.

Journalismus ist nicht überflüssig geworden, das Gegenteil ist der Fall. Lokal wie global. Nur ein Beispiel: Die Corona-Krise brauchte Übersetzer, die wissenschaftliche Komplexität mit Sachverstand reduzierten und für alle begreifbar machten. Wer Sorge hatte, sich impfen zu lassen, war angewiesen auf verlässliche Informationen und Quellen, eine Grundlage für angstfreie Entscheidungen. Journalismus leistet das.

Wir stiften eine gemeinsame Realität

Dass wir uns trotz essenzieller Meinungsverschiedenheiten auf eine gemeinsame Realität, eine Faktenbasis, einigen, ist die Grundlage unserer Demokratie, die noch immer zu den besten dieser Welt gehört. „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“ hat die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim ihr aktuelles Buch zum Thema genannt, ein leidenschaftliches Plädoyer für Fakten.

Donald Trump hat in seiner Zeit als US-Präsident auf beängstigende Weise gezeigt, wie soziale Netzwerke genutzt werden können, um zu manipulieren und mit permanent gestreuten Desinformationen Verunsicherung zu stiften. Machtlenker im Trumpschen Sinne haben kein Interesse an einer gemeinsamen Realität, der Basis für eine funktionierenden Gemeinschaft. Deswegen ist der Journalismus ihr Feind.

Wir sind Gegner aller Demokratiefeinde

„Die wahre Opposition sind die Medien“, hat Steve Bannon gesagt. Trumps damaliger Chefstratege hat richtig erkannt, dass journalistische Medien mit ihrer Korrektiv-Funktion die größte Gefahr für Despoten sind. Darum wird in Ländern, in denen sie an der Macht sind, zuallererst die Pressefreiheit eingeschränkt. Unabhängige und überparteiliche Medien sind die wichtigsten und wirkmächtigsten Gegner von Demokratiefeinden jeglicher Art. Das muss so bleiben – gerade auch dann, wenn unabhängiger Journalismus auf vielen Ebenen zunehmend unter Druck gerät.

Wir stehen für gegenseitigen Respekt

Eine Strategie der Demokratie- und Journalismus-Feinde: den digitalen Raum mit Desinformation und Hass fluten, um das knappe Gut Aufmerksamkeit zu absorbieren und Deutungshoheit zu kapern. Die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ weiß meist vorher, welche Artikel in der Facebook-Kommentarspalte mit Hassbeiträgen geflutet werden wird – zum Beispiel, wenn es um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern geht oder um Geflüchtete. Plötzlich erscheint die Gruppe derjenigen riesig, die verbal Krawall macht, obwohl sich in Wahrheit eine winzige Minderheit digital organisiert hat, um genau diesen Eindruck zu erwecken: die sogenannten Trolle. Ihre Strategie: Angst machen, Diskussionskultur zerstören, andere Perspektiven zum Verstummen bringen. Die Redaktion löscht Kommentare, die respektlos und beleidigend sind, und übernimmt damit Verantwortung. Die sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook tun dies deutlich zu wenig – unter anderem deshalb, weil sie mit Wut und Empörung Geld verdienen.

Wir sorgen für wertvolle Netzwerke

Die Währung der sozialen Medien sind neben Herzchen und Likes auch die roten Wut-Emojis. Mit ihren vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten steuern die Netzwerke, welche Inhalte Menschen posten und welche nicht. Nichts gegen schöne Bilder des Kölner Doms auf Instagram. Auch unsere Redaktion postet diese liebend gern. Aber die Reflektion darüber, wie erhobene Daumen und Algorithmen zunehmend unser Verhalten, Denken und die Weitergabe von Wissen formen, ist eine journalistische Aufgabe. Eine Blase, wie die Echokammern im Netz auch genannt werden, ist das Gegenteil von wertvollen Netzwerken. Leserbriefe, -kommentare und E-Mails sind für unsere Redaktion darum ein wichtiges Korrektiv: Wo sind wir in unserer Berichterstattung zu einseitig? Wo bedarf es dringend einer Gegenrede? Was gesellschaftliche Werte angeht, brauchen wir ein großes Lagerfeuer, an dem wir uns treffen. Unser Anspruch ist es, dafür das Holz zu sammeln.

Wir arbeiten konsequent datenbasiert

Die Digitalisierung macht den Journalismus besser. Mit großen Datenmengen etwa lässt sich deutlich besser differenzieren als früher. Ein Beispiel dafür ist unsere interaktive Grafik mit den Corona-Infektionszahlen in allen Kölner Veedeln. Doch Daten allein sind nur Informationen. Die journalistische Aufgabe besteht darum neben der datenjournalistischen Aufbereitung immer auch darin, die Zahlen zu analysieren. Waren die hohe Inzidenzwerte in Meschenich eine Momentaufnahme, das Zufallsergebnis einer großen Familienfeier? Oder ergibt sich ein Muster, das zeigt, dass sozial Schwache von der Pandemie übermäßig stark betroffen sind? Köln war mit seinen Stadtteil-Impfungen bundesweit Vorreiter und hat damit mutmaßlich viele Menschenleben gerettet. Ausführlich berichtet hat darüber der „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Wir investieren in neue Angebote

Die Digitalisierung hat zu einer Vielzahl von neuen Sprechern und Formaten geführt. Youtuber wie Rezo haben Millionen Follower, die für eine klassische Tageszeitung schwer erreichbar sind. Für die jüngeren Generationen relevante Nachrichten-Angebote zu schaffen, ist eine große Herausforderung.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ arbeitet daran, sein Angebot zu diversifizieren, um die Informationsbedürfnisse möglichst vieler Menschen in Köln und der Region abzudecken. Wir bieten Podcasts zum Hören an, ordnen die Kommunalwahlen in Video-Livestreams ein, versorgen mit unseren Newslettern immer gezielter Gruppen, die sich etwa besonders für Gastronomie oder Immobilien interessieren. Die wichtigsten Nachrichten des Tages in Köln bereiten wir als Instagram-Format und Podcast ebenso auf wie als gedruckte Zeitung.

Das Ergebnis: Noch nie haben wir mehr Menschen in der Region erreicht als heute! Mehr Diversität muss aber auch bedeuten: mehr Vielfalt in der Redaktionen, mehr Mitarbeitende mit verschiedenen kulturellen und sozialen Backgrounds. Auch in Führungspositionen. Darin müssen wir besser werden.

Auch unter Druck sind wir relevant

Wir müssen unsere Relevanz täglich aufs Neue beweisen – und das unter steigendem Veränderungsdruck. Es stimmt, Informationen sind in Zeiten der Digitalisierung fast überall frei verfügbar geworden. Warum dann für journalistische Produkte Abos abschließen – digital wie print? Weil aus verlässlichen Primärquellen hergestelltes Wissen niemals kostenlos sein kann. Qualität und Recherche brauchen Zeit und unerschrockenes Personal.

Schauen wir allein auf unsere Region: Regelmäßig werden viele kleine und große Skandale vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ aufgedeckt. Wo aber nichts mehr aufgedeckt wird, blühen Korruption, die Willkür der Bürokratie oder des Geldes. Ja, wir als Journalisten sind zunehmend gefordert, den immensen gesellschaftlichen Beitrag zu erklären, den wir zu leisten behaupten. Aber das versuchen wir gerne. Jeden Tag.

Carsten Fiedler ist Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Sarah Brasack ist stellvertretende Chefredakteurin. 

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