Interview zum Afrika Film Festival Köln„In Accra gibt es nur drei Kinos“

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Szene aus „Bravo, Burkina!“ (2023) von Wale Oyejide

Szene „Bravo, Burkina!“ (2023) von Wale Oyejide

Jacqueline Nsiah ist mitverantwortlich für das Programm des Afrika Film Festival Köln, das am 14. September startet. Im Interview spricht sie über das Programm und erklärt, warum einige der Filme in Afrika nicht gezeigt werden.

Jacqueline Nsiah, ab dem 14. September startet wieder das Afrika Film Festival Köln. Gibt es dieses Jahr einen thematischen Schwerpunkt?

Jacqueline Nsiah: Dieses Jahr geht es um „Art and Activism“, also um Kunst und Aktivismus. Ich finde, das fließt in die meisten afrikanischen Filme sowieso mit rein. In „All the Colours of the World Are Between Black and White“ von Babatunde Apalowo aus Nigeria etwa geht es um Menschen aus der LGBTQI+-Szene. „Bravo, Burkina“ ist auch ein interessanter Film, der einerseits experimentell arbeitet, aber auch harte Themen wie Migration und Flucht anspricht. Das ist meiner Meinung nach, was afrikanisches Kino spannend macht.

Gibt es eigentlich „afrikanisches“ Kino? Kann man die Filmkunst eines ganzen Kontinents unter einem Begriff fassen?

Darüber denke ich viel nach. Im Englischen kann ich es leichter beschreiben, indem ich von african cinemas spreche, also mehreren afrikanischen Kinos. Unser diesjähriges Programm zeigt, wie divers es ist. Aber es gibt gewisse Muster, die man eher im afrikanischen Film sieht als im europäischen. Traditionell beginnt man oft mit dem Ende und rollt die Handlung dann rückwärts auf. Dieses Storytelling sieht man oft in afrikanischen Kulturen, auch wenn sich das natürlich wandelt. Das ist in der Hinsicht eine schöne Zeit, weil das afrikanische Kino aus den alten Strukturen ausbricht. Die Leute trauen sich jetzt, ihr eigenes Ding zu machen, ganz kompromisslos und ohne sich in eine Box einpferchen zu lassen.

Jacqueline Nsiah erklärt, warum afrikanische Filme nicht im Fokus sind

Warum kommt davon eigentlich so wenig in Deutschland an, also abseits von Festivals?

Das Schlimmste ist ja, dass es nicht nur in Deutschland oder Europa so ist, sondern dass Menschen auf dem Kontinent selbst nicht wissen, welche Filme überhaupt existieren. Natürlich ist es auch schade, dass die Filme auch in Europa sehr nischig sind und man sie nur auf Festivals sieht. Im Kino läuft es ja noch gar nicht. Das hat natürlich offensichtliche Gründe.

Spielen Sie auf Folgen des Kolonialismus an?

Absolut. Anders kann man es sich nicht erklären. Qualitativ sind die Filme genauso gut wie Hollywoodfilme. Heutzutage kann man durch die Technik kaum einen Unterschied erkennen, die Kameras sind die gleichen.

Und warum sehen teilweise nicht mal Menschen aus Afrika die Filme?

Das hat verschiedene Gründe. Wenn ich mir West-Afrika oder Ghana im Speziellen anschaue, hatten wir nach der Unabhängigkeit in den sechziger und siebziger Jahren bis in die Achtziger schon eine starke Film- und Kinokultur. Dann haben die politischen Unruhen und Staatsstreiche die ganze Kulturlandschaft zerstört. Es gab zum Beispiel Ausgangssperren, die Leute mussten also früh wieder zuhause sein. Das Kino hat sich seit dieser Zeit nie mehr erholt.

Wie ist denn die Situation heute?

Es gibt mittlerweile ein paar Initiativen. Aber in ganz Accra gibt es nur drei Kinos, in einer Stadt mit vier Millionen Einwohnern. Diese drei Kinos gehören zur gleichen Kinogruppe, sind alle in Malls und zeigen auch nur eine spezielle Art Film. Kuration findet da nicht statt. Die kaufen einfach nur Content, meistens aus Kenia, überwiegend Hollywoodfilme und vereinzelt mal kommerzielle Filme aus Nollywood – das Hollywood Nigerias - oder von ghanaischen Produktionen. Das ist für die natürlich einfacher und billiger, ich finde das aber problematisch.

Filme des Afrika Film Festival Köln landen im Archiv

Was ist denn mit den Filmen, die zum Beispiel auf dem Afrika Film Festival Köln gezeigt werden?

Viele der unabhängigen Filme auf dem Markt stammen von europäischen Förderern und Produktionsfirmen wie Arte oder World Cinema Fund. Die geben dann oft vor, was mit den Filmen passiert. Nachdem sie die Festivallandschaft besucht haben, landen die meistens in irgendwelchen Archiven im Westen. Im besten Fall haben sie eine kleine Distribution im Westen und mit ein bisschen Glück landen die bei Netflix oder Amazon Prime.

Gibt es denn keine Filminitiativen in Afrika?

Es gibt nur wenige, die versuchen, unabhängige Filme zu zeigen. Etwa Cinemateque in Kairo oder Cinegiumbi in Burkina Faso. Das ist natürlich viel zu wenig und mit ein Grund dafür, warum ich dabei bin meinen Hauptwohnsitz nach Accra zu verlagern. Ich habe den großen Traum, hier ein Kino zu bauen. Es ist mein Lebensprojekt, diese Filme auch hier zu zeigen. Ich glaube, das macht wirklich etwas mit dem Selbstwertgefühl der Leute, wenn sie sich selbst auf einer Kinoleinwand sehen und die Geschichten, die sie tagtäglich durchleben – und das in einer Erzählweise, die man nachvollziehen kann.

Wie wichtig ist es denn, medial repräsentiert zu sein?

Man hat als schwarze Person in der Diaspora und selbst auf dem Kontinent nur wenige Vorbilder. Ständig suggerieren einem Bilder, dass nur Weiß schön und gut ist. Eine Freundin von mir, die deutsch-ghanaische Künstlerin Zohra Opoku, hat kürzlich ein Puppenexperiment in einer ghanaischen Schule gemacht. Sie hat Puppen mit verschiedenen Hautfarben aufgestellt. Keines der Familienmitglieder der Schüler hat irgendeinen Zugang zu Europa. Trotzdem sind alle Kinder automatisch zur weißen Puppe gegangen. Das ist in den Menschen schon so drin, dass es auch in Afrika System hat. Deswegen muss man dagegen arbeiten.

Drei Filmtipps von Jacqueline Nsiah

1. „Milisuthando“ von Milisuthando Bongela

„Milisuthando“ von der gleichnamigen Regisseurin ist ein interessanter Film, der sich zwischen Dokumentarfilm und Fiktion bewegt. Die Regisseurin erzählt ihre Familiengeschichte, die natürlich eine breitere Geschichte mit sich zieht. Es gab innerhalb Südafrikas den Staat Transkei, in dem Schwarze während der Apartheid frei leben konnten.

20.09. um 19:00 Uhr im Filmforum Ludwig, in Anwesenheit der Regisseurin Milisuthando Bongela

2. „Or de Vie“ von Boubacar Sangaré

„Or de Vie“ ist ein klassischer Dokumentarfilm aus Burkina Faso. Der Regisseur ist selbst aus der Community und filmt dort Jugendliche, die in einer Goldmine unter harten Bedingungen arbeiten. Man bekommt über seinen Zugang ein gutes Bild von der Arbeit, worüber die Leute nachdenken, was sie bewegt. Und es hat auch sehr viel Humor.

19.09. um 20:00 Uhr im Off-Broadway

3. „Mami Wata“ von C.J. Obasi

Das ist ein Film des nigerianischen Filmemachers C. J. Obasi. In „Mami Wata“ dreht sich viel um eine folkloristische Figur, die in Westafrika eigentlich jeder kennt. Der Film modernisiert diese Geschichte und geht ein bisschen in Fantasy rein.

22.09. um 19:30 Uhr im Filmforum Ludwig, in Anwesenheit des Schauspielers Emeka Amakeze

Zu Person und Veranstaltung

Jacqueline Nsiah, geboren 1981, ist eine Kuratorin aus Mönchengladbach. Sie hat African Studies and Politics an der SOAS in London und Visual and Media Anthropology an der Freien Universität Berlin studiert. Sie ist im Auswahlkomitee der Berlinale und hat neben ihrer Arbeit für das Afrika Film Festival Köln bereits für zahlreiche Filmfestivals wie Film Africa in London, dem Cambridge African Film Festival oder dem UHURU in Rio de Janeiro gearbeitet.

Das Afrika Film Festival Köln findet vom 14. bis zum 24. September in verschiedenen Kölner Kinos statt und wird von FilmInitiativ Köln e. V. organisiert. Das gesamte Programm gibt es hier.

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