„Akıns Traum“ im Schauspiel KölnSo lief Stefan Bachmanns letzte Inszenierung nach elf Jahren am Rhein

Lesezeit 5 Minuten
Akıns Traum
vom Osmanischen Reich
von Akın Emanuel Şipal
Regie: Stefan Bachmann
 
Regie: Stefan Bachmann
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musikalische Leitung & Komposition: Sven Kaiser
Choreografie & Körperarbeit: Sabina Perry
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Lea Goebel
 
Foto: Tommy Hetzel

Stefko Hanushevski in „Akıns Traum“ im Depot 1 des Kölner Schauspiels.

Mit der Uraufführung eines Geschichtspanoramas des Osmanischen Reichs verabschiedet sich Intendant Stefan Bachmann aus Köln. Unsere Kritik. 

Die Seeschlacht von Lepanto, in der die christlichen Mittelmeermächte 1571 die prächtige Flotte des Osmanischen Reiches vernichtend schlugen, hat viele Spuren in der abendländischen Kunstgeschichte hinterlassen. Vom Zeitgenossen Paolo Veronese, der sein Gemälde aufteilte zwischen den in tödlicher Umarmung verkeilten Galeeren und dem himmlischen Beistand der siegreichen Christen aufteilte, bis zu Cy Twomblys zwölfteiligem Bildzyklus aus dem Jahr 2001, in dem das blutige Gemetzel in luftiger Sublimierung erscheint.

Beinahe ebenso schön wie bei Twombly leuchtet uns die Lepanto-Schlacht in Stefan Bachmanns Uraufführung von „Akıns Traum“ im Depot 1 des Kölner Schauspiels heim. Vom Himmel hängen warm glühende Leuchtstoffröhren, bilden auf dem Boden schmalen Passagen, zwischen denen die handelnden Personen schwanken.

Wir befinden uns auf der kaiserlichen Yacht des Hauses Osman, die Leuchtröhren werden langsam abgeseilt, die Bühne wird zum Ägäischen Meer. General Lala Mustafa Paşa erstattet Bericht, er hat dem Hauptmann der Venezianer auf dem Marktplatz die Haut bei lebendigem Leib abziehen lassen. Mustafa Paşa ist für Grausamkeit berüchtigt, doch die Musik des von Sven Kaiser geleiteten Quartetts und Stefko Hanushevskys rhythmisierter Vortrag verwandeln den Bericht in ein mitreißendes Rap-Rezitativ.

Der Autor Akın Emanuel Şipal träumt vom Osmanischen Reich

Noch trägt der Traum vom Osmanischen Reich, Nurbanu, einflussreiche Favoritin des Sultans gebiert ihm einen Nachfolger auf hoher See, die Dynastie ist mal wieder gerettet, dann trägt der Wind ein brennendes Schiff heran und bringt die Nachricht von der Niederlage, der Traum wird zum Albtraum, die Musik bricht wie eine Welle – und spült uns wieder in die Gegenwart, ins multiethnische Gelsenkirchen, wo Akın Emanuel Şipal, Autor des gerade gespielten Stücks, seiner Frau immer noch nicht die verlangten Feuchttücher aus dem DM besorgt hat. Als Hausmann und Vater zweier Kinder reibt er sich zwischen den Zumutungen des Familienalltags und seinem größenwahnsinnigen Vorhaben auf, die gesamte Geschichte der Osmanen in einem möglichst unterhaltsamen Zwei-Stunden-Abend zu fassen.

Dass Şipal dabei vom eigenen Scheitern erzählt, ist mehr als nur billige Rückversicherung. Die letzten Ausläufer eines einst prächtigen Reiches versickern vor dem Gelsenkirchener Ausländeramt – und der in die Peripherie verbannte Autor träumt von schriftstellerischer Größe, unbelastet von der eigenen Herkunft, auf Du und Du mit Jelinek, Handke, Goetz: „Wenn das Thema Diversity verraucht ist möchte ich nicht als Antirassismusbeauftragter in einem Altenheim co-vegetieren müssen, sondern längst groß rausgekommen sein“, klagt Mehmet Ateşçi als Alter Ego des Autors.

Der Gast, sonst am Wiener Burgtheater und am Deutschen Schauspielhaus beschäftigt, trifft genau den richtigen Ton zwischen Larmoyanz, Wut und Verzweiflung, komisch ist er obendrein – und von verschüchterter Zärtlichkeit, wenn er sich in eine erotisch aufgeladene Jugenderinnerung flüchtet, ein aufregender Pas de deux zwischen Ateşçi und Melanie Kretschmann, die sich als forsche Tochter vom griechischen Aphrodite-Grill wundert: „Kaum zu glauben, dass deine Vorfahren einmal die halbe Welt beherrschten!“

Akıns Traum
vom Osmanischen Reich
von Akın Emanuel Şipal
Regie: Stefan Bachmann
 
Regie: Stefan Bachmann
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Musikalische Leitung & Komposition: Sven Kaiser
Choreografie & Körperarbeit: Sabina Perry
Licht: Jan Steinfatt
Dramaturgie: Lea Goebel
 
Foto: Tommy Hetzel

Olfa Altmanns phänomenales Bühnenbild von „Akıns Traum“

Unvermittelt kippt die Handlung zurück ins Konstantinopel der Renaissance: Bruno Cathomas will als Murad III. zum Verdruss seines Vaters Selim II. (Kais Setti) partout keinen Erben zeugen, er liest lieber, am Ende wird er die größte Bibliothek seiner Zeit aufgebaut haben. Aber er hat die Rechnung ohne die starken Frauen des osmanischen Hofes gemacht, seine Großmutter Hürrem (ein gerade in seiner Zurückhaltung sehr komischer Seán McDonagh), seine Mutter Nurbanu (die resolute Cennet Rüya Voß) und seine Zukünftige Safiye, von Kretschmann mit dem gleichen sexuellen Furor dargestellt, dem sie zuvor ihrer Imbiss-Göttin verliehen hatte.

In dieser Art von doppelter Belichtung erhellen sich die Zeiten in „Akıns Traum“, bilden Pointen, setzen andere ganz Schwerpunkte als die offizielle Geschichtsschreibung und verraten einiges darüber, was sie überhaupt mit dem Einzelnen macht, die Geschichte. Ein „Lehrstück, aber sexy“, hatte Alexander Angeletta dem Alter Ego des Autors zu Anfang versprochen und tänzelt als „Halbpferd“ (Choreografie: Sabina Perry) so gekonnt durchs Lichterlabyrinth, als sähe er überall nur Freiräume.

Seine traumhafte Sicherheit entspricht die des Regisseurs. Es ist Stefan Bachmanns letzte Inszenierung am Schauspiel Köln vor seinem Wechsel an die Wiener Burg – und sie vereint viele Themen und Formen, die den Intendanten in seinen elf Jahren am Rhein beschäftigt haben: Die Erzählungen der türkisch geprägten Nachbarschaft des Depots; das Märchenhafte, dem er vor allem am Anfang seiner Kölner Zeit hinterher spürte (etwa in „Das Käthchen von Heilbronn“ und „Der Kaufmann von Venedig“); die durchgetaktete Sprechoper, in die er – ebenfalls mit Sven Kaiser – in Basel Max Frischs „Graf Öderland“ und in Köln Rainald Götz' „Reich des Todes“ und „Johann Holtrop“ verwandelte – und selbstredend zitiert Olaf Altmanns Bühnenbild die Gittermatrix, die er für die beiden Goetz-Inszenierungen geschaffen hatte.

Anders gesagt: Stefan Bachmann zieht hier die Summe seiner Kunst und bleibt dabei doch im Dienste dieses profunden, albernen, sexy-lehrreichen Textes, ja, er bringt ihn zum Leuchten. Finale Worte spricht Margot Gödrös als 106-jährige letzte Prinzessin der Osmanen: „Ein Vaterland kann man erst lieben, wenn es weg ist.“


Regie: Stefan Bachmann, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Musik: Sven Kaiser, Choreografie: Sabina Perry, Licht: Jan Steinfatt, Dramaturgie: Lea Goebel, mit: Alexander Angeletta, Mehmet Ateşçi, Bruno Cathomas, Margot Gödrös, Stefko Hanushevsky, Melanie Kretschmann, Seán McDonagh, Kais Setti, Cennet Rüya Voß, Livemusik: Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye, Jan-Felix Rohde

Nächste Termine: 29. Februar, 3., 16. März, 2., 7., 19., 24. April, Depot 1,110 Minuten, keine Pause

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