Alice Schwarzer„Ich kriege seit 50 Jahren Morddrohungen“

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Alice Schwarzer

Die bekannteste Feminstin Deutschlands: Alice Schwarzer.

Alice Schwarzer feiert am 3. Dezember ihren 80. Geburtstag. Im Interview spricht sie über ihre Fernseh-Duelle mit Verona Pooth und Esther Vilar, die Kopftuch-Debatte und die Ablehnung, die sie für einige ihrer Positionen erfährt. 

Frau Schwarzer, Sie werden 80 Jahre alt. Was finden Sie gut am Älterwerden?

Früher bin ich immer mit dem Kopf durch die Wand gegangen, beim kleinsten gewitterten Unrecht habe ich getobt. Heute sage ich: Die kleinen Ungerechtigkeiten lassen wir mal liegen und konzentrieren uns auf die großen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, der Tod ist ja unrealisierbar, wie Jean-Paul Sartre mal gesagt hat. In diesem Sommer hat es mich allerdings erwischt mit einer üblen Wirbelsäulen-Operation. Wenn man im Krankenhaus liegt, wo es Menschen gibt, denen es noch viel schlechter geht, muss man über das Ende nachdenken. Das Resultat war bei mir, dass ich nochmal entschiedener alles geregelt habe, was geregelt sein sollte, falls ich doch plötzlich unter die U-Bahn gerate.

Sie sind 1942 in Wuppertal geboren, leben aber seit vielen Jahren in Köln. Wie hat die Stadt auf Sie abgefärbt?

Ich bin nach Stationen in München, Frankfurt, Paris und Berlin hierhergekommen. Warum? Erst dachte ich, weil im Umkreis des WDR viele zukünftige EMMA-Mitarbeiterinnen wären und Paris nicht weit. Allmählich begriff ich, es war, weil Köln für mich als sehr rheinisch orientierte Wuppertalerin ein Stück Heimat ist. Dessen war ich mir zunächst aber noch nicht bewusst. Köln, das sind für mich die Menschen und der Rhein. Vor allem die Menschen. Die Mentalität der Kölner entspricht mir. Die Coolness, das Antiautoritäre, der Humor. Die Berliner lachen gern auf Kosten anderer, der Kölner lacht über sich selbst. Immer wenn ich nach ein paar Wochen wiederkomme, denke ich: Ja, so seid ihr. Und so bin ich hoffentlich auch ein Stück.

Sie sagen von sich, Sie seien angstfrei. Kann man das lernen?

Ich bin angstfrei im Vergleich zu anderen, vor allem zu Frauen. Ich habe keine Angst vor Autoritäten. Und auch keine Angst, mal was falsch zu machen - dann korrigiere ich mich eben oder ich lerne dazu. Allerdings habe ich als Frau lernen müssen, in bestimmten Situationen Angst zu haben: Ich würde niemals nachts durch einen Stadtpark gehen. Ich wechsle im Dunkeln die Straßenseite, wenn mir jemand Fragwürdiges entgegenkommt. Ich habe also Angst vor Gewalt. In einer Welt, in der jede dritte Frau sogar Gewalterfahrungen mit ihrem eigenen Mann gemacht hat, kein Wunder.

Haben Sie eine unerwiderte Liebe – jemanden, den Sie als Mann oder als Frau einseitig toll fanden?

Nein, ich bin intelligent genug, mich niemals unerwidert verliebt zu haben. Ich steige erst ein, wenn die andere Seite reagiert. Ich gucke zweimal hin, wenn mir eine Silhouette, die Bewegungen, die Ausstrahlung gefallen. Dann würde ich aber erst weitermachen, wenn was zurückkäme. Darum war ich noch nie unglücklich verliebt.

Haben Sie sich verändert, um zum Kampf gegen die Klimakrise beizutragen?

Eigentlich nicht. Ich bin im Dorf aufgewachsen, später haben wir am Waldrand gewohnt. Ich war also immer sehr naturverbunden und eng mit Tieren. Meine tonangebende Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin, war eine frühe Naturschützerin und Tierrechtlerin. Das bin ich auch geworden: Der einzige Verein, in dem ich jemals Mitglied war, ist der Verein gegen Missbrauch der Tiere. Und ich bin, schon mangels Masse, sehr bescheiden erzogen worden. Die große Konsumentin war ich also noch nie. Ich glaube auch nicht, dass Konsum glücklich macht. Aber ich trenne den Müll und achte noch mehr auf die Umwelt als früher.

Können Sie verstehen, dass sich junge Leute auf der Straße festkleben oder Tomatensuppe gegen Gemälde werfen?

Ja. Festkleben finde ich witzig und originell. Wer sich davon gestört fühlt, kann die Protestierenden doch einfach sitzen lassen. Das mit den Kunstwerken allerdings stört mich da, wo man Gefahr läuft, etwas zu zerstören.

Wenn jemand Sie auf der Straße erkennt und ein Foto mit Ihnen machen möchte, sagen Sie Ja?

Es gibt Momente, wo ich müde bin und mir seit drei Tagen nicht die Haare gewaschen habe. Dann versuche ich freundlich zu sagen: Bitte, heute wirklich nicht. Aber solange es mir gut geht, mache ich das. Klar. Es dürfte viele komische Handyfotos von mir auf der Welt geben Ich bin ja seit vielen Jahrzehnten eine öffentliche Person und wundere mich immer, was für ein Theater andere sogenannte VIPs machen: Bodyguards etc  Ich bin nun wirklich ein Mensch, gegen den die Emotionen oft hochschlagen. Aber ich bin noch nie bedroht worden auf der Straße - und wenn doch, würde ich mich schon irgendwie rausreden. Also: Schutz nur in real heiklen Situationen.

Der Ton ist deutlich rauer geworden in den vergangenen Jahren – auch durch die sozialen Netzwerke.

Ja. Aber gegen mich war er schon immer heftig. Gleichzeitig aber bekomme ich seit Jahrzehnten unendlich viele Sympathie-, ja Liebesbezeugungen. Man darf sich selbst nicht so wichtig nehmen. Ich kriege seit 50 Jahren Morddrohungen. Wenn es mal ganz finster wird, schickt meine Kollegin das der Polizei. Aber ich lebe so, wie ich immer gelebt habe. Ich nehme auch den Bus.

Schmierereien am Bayenturm im Rheinauhafen gegen die Emma-Redaktion.

Schmierereien am Bayenturm im Rheinauhafen gegen die Emma-Redaktion.

Es gibt etliche Schimpfworte, mit denen sie im Laufe der Jahrzehnte belegt worden sind. Welches davon haben Sie am wenigsten verstanden?

Eigentlich sind fast alle beknackt. Aber am blödesten finde ich, dass ich humorlos bin. Ich bin wirklich jemand, der das Lachen so nötig braucht wie die Luft zum Atmen.

Von wem nehmen Sie Kritik an?

Von jemandem, der es besser weiß als ich. In meiner Redaktion wissen die Kolleginnen in manchen Bereichen oft mehr als ich, und wenn ich ein Buch schreibe, veröffentliche ich nichts, was nicht mindestens von zwei Menschen, die mich kennen und an meinen eigenen Möglichkeiten messen, sehr kritisch gegenlesen. Mich interessiert Kritik sehr, weil ich zu den Menschen gehöre, die sich durch eine sachliche Kritik nicht im Innersten in Frage gestellt fühlen.

Welche Kritik hat Sie zuletzt ernsthaft getroffen, wo Sie Ihre Position daraufhin korrigiert haben?

Das macht sich natürlich immer gut, wenn man darauf spontan antworten kann. Fällt mir jetzt nix ein.

Sie haben viele spannende Frauen in Ihrem Leben getroffen. Was hat Sie an Romy Schneider am meisten beeindruckt?

Ihre Sehnsucht nach einem anderen Leben, ihre Disziplin und Leidenschaft. Sie war eine beeindruckende Schauspielerin, die nicht die Rollen hat spielen können, die ihr zugestanden hätten. Sie hat sehr hart gearbeitet und immer Sehnsucht nach der großen Liebe gehabt. In der Hinsicht hat sie allerdings permanent ins Klo gegriffen. Immer, wenn ich Marmelade koche, was ich manchmal tue, muss ich an Romy Schneider denken. Sie hat sich gewünscht, eine tolle Schauspielerin zu sein, aber gleichzeitig die romantische Frau auf dem Land. Das hat sie nicht geschafft.

Was haben Sie von Angela Merkel gelernt?

Dass eine Frau das kann. Bevor sie Kanzlerin wurde, sagten auch gute, kluge Freundinnen, ich verstehe, dass du das interessant findest, aber kann die das? Weil diese Frau sich nicht wichtig inszenierte. Und dann fand ich doch formidabel, wie sie diese gewaltigen Herausforderungen, die in ihrer Regierungszeit an sie herangetragen wurden, angenommen und gemeistert hat. Das hatte natürlich für Frauen und vor allem auch kleine Mädchen einen enorm ermutigenden Effekt - egal, ob Merkel selbst sagt, sie sei Feministin. Das muss sie gar nicht sagen.

Alice Schwarzer gibt die feministische Zeitschrift Emma heraus.

Alice Schwarzer gibt die feministische Zeitschrift Emma heraus, die Redaktion sitzt in Köln.

Ihr Fernseh-Streitgespräch 1975 mit Esther Vilar, die das Buch „Der dressierte Mann“ schrieb, hat Sie berühmt gemacht. Das Gespräch war unergiebig. Haben Sie bereut, in die Diskussion gegangen zu sein?

Nein. Das Buch war eine ganz billige Provokation, hat alle Frauen diskriminiert. Hätte es ein Mann geschrieben, wäre es nie veröffentlicht worden. Aber Frau gegen Frau ist ja eine Masche, die bis heute sehr gut läuft. Als ich das Buch gelesen habe, bin ich fast vom Stuhl geflogen und dachte: Kann doch nicht sein, dass man so etwas druckt. Ich war so empört. Der WDR hatte die Sendung auf Weiberfastnacht gelegt, auch so ein unvergleichlicher Karnevals-Gag. Ich habe nicht zugesagt, weil ich dachte, ernsthaft mit der Frau diskutieren zu können. Ich wollte nur öffentlich zeigen, was ich davon halte.

Das andere Streitgespräch, das im Fernsehen für viel Aufmerksamkeit sorgte, war Ihr Aufeinandertreffen mit Verona Feldbusch bei Johannes B. Kerner. Nach zehn Minuten war alles vorbei. Ging das Streitgespräch nach der Sendung noch weiter?

Nein, um Gottes Willen. Feldbusch steht in der Tat in der Tradition von Vilar. Bei Vilar hatte man sich noch mit Worten auseinandergesetzt und Feldbusch hat nur noch körperlich agiert. Bei Feldbusch wollte ich zeigen, dass hier ein Produkt der Werbung Frauen unter Druck setzt. Ich bin gegen das Frauenbild angetreten, dass Feldbusch verkörpert, nicht gegen die Person. Die interessiert mich nicht. Aber gleichzeitig bin ich auch eine große Naive. Ich hoffe doch immer: Da ist ein Mensch und der ist vielleicht erreichbar. Die Kälte, mit der sie mir begegnet ist, hat mich dann doch ein wenig sprachlos gemacht. Aber auch diese Sendung war wochen- und monatelang Gesprächsthema. Und da haben mich vor allem junge Männer angesprochen. Die fühlten sich von mir bestärkt darin, nicht ein solches Frauenbild zu haben. Die waren von so einem Angebot gekränkt.

Lassen Sie uns über ein paar der großen Debatten sprechen, in die Sie involviert sind. Sie haben eine sehr klare Position beim Thema Kopftuch und sagen, in öffentlichen Gebäuden in Schulen sollte es ein Kopftuchverbot geben. Manche werfen ihnen vor, Frauen vorschreiben zu wollen, was sie tragen. Und es gibt in Deutschland schlaue, emanzipierte Frauen, die ein Kopftuch tragen. Was sagen Sie denen?

Natürlich gibt es die, das ist ja keine Frage der Intelligenz. Aber wir schreiben das Jahr 2022, und wir sehen, was gerade in Iran los ist. Ich bin tief berührt von diesen Fotos, auf denen die Frauen stolz den Kopf heben und ihr Haar zeigen und allein damit ihr Leben riskieren In diesen Ländern werden Millionen Frauen zwangsverschleiert. Ich finde, dass in diesen Zeiten eigentlich alle Frauen, die in unseren Ländern ein Kopftuch freiwillig tragen, aus Solidarität mit den Frauen, die mit ihrem Leben dafür bezahlen, dieses Kopftuch ablegen müssten.

Viele sagen, im Iran gibt es kein Zurück mehr. Wie blicken Sie auf die Lage dort?

Ich blicke verzweifelt darauf, weil ich mich einerseits wahnsinnig freue, wenn ich diese mutigen Frauen und die Männer, die öffentlich an ihrer Seite stehen, sehe. Doch anderseits frage ich mich, wie das enden wird. Ohne Hilfe vom Ausland können die Menschen in diesem Gewaltregime nicht siegen. Ich bin der Meinung, dass das demokratische Ausland, wenn es das ernst meint mit den Menschenrechten, Wege finden muss, diese Bewegung zu unterstützen.

Und wie beurteilen Sie die Kopftuch-Frage in Deutschland?

Für mich gibt es beim Kopftuch zwei Ebenen. Es gibt die Individuen, die das Kopftuch in unseren Ländern mehr oder weniger freiwillig tragen. Sie haben unterschiedliche Motive. Mal sind es für sie Glaubensfragen, auch wenn es keine religiöse Vorschrift ist, oder Identitätsfragen oder sie wollen ihrer Community zeigen, dass sie „anständige“ Frauen sind. Das ist ihr recht. Niemals werden Sie von mir ein Wort finden, dass ich solchen Frauen Vorschriften mache. Wenn diese Frauen mit mir reden wollen, dann sage ich aber gerne etwas dazu. Und zwar erstens: Bedenkt, wofür das Kopftuch steht! Unter anderem für die Toten im Iran. Der politische Islam hat es zu seiner Flagge gemacht, es ist ein politisches Signal. Zweitens bedeutet das Kopftuch, das Haar und der Körper einer Frau seien haram, also sündig. Und ein Mann, der eine Frau ohne Kopftuch sieht, stürze sich gleich auf sie. Was ist das für ein Männerbild?! Und was für ein Frauenbild?!  Pro Kopftuch zu sein, wäre für eine Feministin wie mich also völlig absurd. Ich kann trotzdem verstehen, dass manche Frauen es tragen. So gewünscht, würde ich mit diesen Frauen also diskutieren.

Eine andere Debatte: Sie kritisieren Menschen, die Prostituierte als Sexarbeiterin bezeichnen, weil sie das Wort als Euphemismus empfinden und diese wiederum werfen ihnen vor, dass Sie mit ihren Forderungen eines Verbots der Prostitution in Deutschland diejenigen, die sich freiwillig prostituieren, zu entmündigen und dass ein Verbot die Situation für die Prostituierten verschlimmern könnte. Was entgegnen Sie denen?

Ich bin nicht für das Verbot von Prostitution, sondern für die Ächtung von Prostitution, die Ausstiegshilfe für Prostituierte und die Bestrafung der Freier. Man muss endlich begreifen, dass es ein Skandal ist, dass die Hälfte der Menschheit potentiell Käufer der anderen Hälfte ist und Manner für ein paar Scheine den Körper und die Seele eines Menschen anfassen können. Und ich bin für eine Bestrafung von Freiern, weil erst der Kunde den Markt schafft.

Die Frau wird ja nicht nur körperlich gekauft, sondern auch seelisch
Alice Schwarzer

Das sogenannte nordische Modell also.

Genau. Die Freier kriegen in anderen Ländern zum Beispiel erst mal einen Brief nach Hause geschickt. Auf diesem Weg wird ein Bewusstsein geweckt für das Unrecht dieser Situation. Gleichzeitig ist dieses Modell verbunden mit Ausstiegshilfen für Frauen. Wir wissen ja, 95 Prozent der Frauen in der Prostitution in Deutschland kommen aus den ärmsten Ländern. Sie können oft kein Wort Deutsch, werden wie Frischfleisch verladen und oft auch vergewaltigt, damit sie wirklich fertig sind und die Freier bedienen. Mein Kampf gegen die Prostitution ist die aktive, unterstützende Solidarität mit den Frauen, die in der Prostitution sind, und der Kampf gegen das System, mit dem vorwiegend Manner Milliarden machen. Das Schlimmste, sagen manche Prostituierte, ist noch nicht mal, die Beine breitzumachen, sondern dass er immer recht hat. Die Frau wird ja nicht nur körperlich gekauft, sondern auch seelisch. Ich halte die Prostitution für den dunklen Kern des Geschlechterverhältnisses. Eine Gesellschaft, die Prostitution nicht ächtet, kann keine gleichberechtige Gesellschaft sein. Da weiche ich keinen Millimeter zurück.

Es gibt nicht wenige junge Frauen, die sagen, Alice Schwarzer ist unsere Gegnerin, unser Feindbild. Das muss Sie doch treffen, oder?

Es gibt auch ältere Frauen, die Alice Schwarzer nicht gut finden. Und nicht wenige junge Frauen, die mich toll finden und sagen: Alice Schwarzer ermutigt mich. Ich halte dieses ganze Generationsgerede in Wahrheit für ein Medien-Manöver, ein politisches Manöver von außen zur Spaltung der Frauengenerationen. Man suggeriert jungen Frauen, wir seien von gestern und alles, was wir gemacht haben, sei Quatsch, wir seien von gestern und unsexy. Also alles, was eine junge Frau nicht hören möchte. Man ermutigt sie, sich gegen uns zu richten. Was heißt das? Die Enkelinnen-Generation soll nicht von uns Pionierinnen lernen. Die sollen sich nicht auf unsere Schultern stellen können und weiter schauen und sagen: Es ist schon viel passiert, jetzt mach ich weiter. Sie sollen wieder bei Null anfangen. Ich halte diese Manöver der Spaltung der Generationen schon seit langem für eines der größten Hindernisse zum Fortschritt bei der Emanzipation. Da lacht das Patriarchat.

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