Andrés Orozco-Estrada, Kölns neuer Generalmusikdirektor, über seine ersten Erfahrungen in der Stadt, das Interim und zu fette Klänge.
Andrés Orozco-Estrada„Geistig und emotional bin ich in Köln angekommen“

Andrés Orozco-Estrada beim „Carmina Burana“-Konzert in Köln
Copyright: Bettina Stöß
Herr Orozco-Estrada, das Saison-Eröffnungskonzert mit dem Gürzenich-Orchester liegt hinter Ihnen, für das erste Abokonzert an diesem Sonntag proben Sie. Wie sind Ihre ersten Kölner Erfahrungen?
Andrés Orozco-Estrada: Alle sehr positiv. Wir sind, glaube ich, alle sehr glücklich und zufrieden. Die „Carmina Burana“ am vergangenen Sonntag waren ein toller Moment. Musikalisch sowieso mit dem Bürgerchor und mit dem Orchester, die diesen Spannungsbogen vom Anfang bis zum Ende durchgezogen haben. Das hat wohl auch dem Publikum gefallen, wie zu hören war. Prima war auch die vorangegangene kleine Reise zum Rheingau-Musikfestival mit den zwei Auftritten. Gewöhnen muss – und werde – ich mich noch an Konzerte am Sonntagmorgen um 11 Uhr. Das ist doch sehr früh.
Aufgefallen an der Aufführung ist die enorme perkussive Schlagkraft des Orchesters. Mussten Sie da viel für tun?
Nun, ich war nicht direkt überrascht. Aber ich bin natürlich sehr froh darüber, dass das Orchester so mitgemacht hat.
Dass Ihnen das Stück Spaß bereitet, konnte man sehen. Kam da auch ein bisschen lateinamerikanische Fiesta durch?
Also, ich habe das Stück schon als Knabe im Chor gesungen, später im Orchester mitgespielt. Ich weiß jetzt nicht, ob das unbedingt mit meiner Herkunft aus Kolumbien zu tun hat, wenngleich diese geforderte rhythmische Lockerheit schon aus der lateinamerikanischen Sphäre kommt. Allemal klar ist, dass ich die Musik tief verinnerlicht habe.
Mir gefällt in Köln die Offenheit der Menschen, der entspannte Umgang untereinander
Man konnte sich bei der Aufführung, gerade auch bei ihrer rhythmischen Schlagkraft, an „Sacre du printemps“ erinnert fühlen. Zu Recht? Ist dieser Orff sozusagen ein „Strawinsky für Arme“?
Schön formuliert, auch wenn ich es auch nicht so sagen würde, denn tatsächlich ist ja nichts Armseliges an dieser Musik. Aber in der Sache stimmt das schon, da gibt es viele Gemeinsamkeiten, auch übrigens in den jeweiligen Sujets. Sehen Sie etwa die ausgeprägt heidnische Anmutung, die sich in beiden Fällen mit dem Frühling verbindet. Und diese rhythmische Schärfe bei Orff – ja, da steckt viel Strawinsky drin. „Sacre“ machen wir ja tatsächlich auch in dieser Saison – im Juli-Konzert.
Sind Sie also angekommen in Köln?
Geistig und emotional auf jeden Fall.
Was gefällt Ihnen am meisten?
Mir gefällt die Offenheit der Menschen, der entspannte Umgang untereinander. Auch dass Dinge unverblümt, aber respektvoll angesprochen werden. Zugleich gefällt mir die Leidenschaft in der Sache.
Wie sieht's aus mit der Wohnung? Was liegt Ihnen mehr – Ehrenfeld oder Hahnwald?
Weiß ich nicht, da habe ich einfach noch zu wenig Ahnung. Wir suchen noch, da sind mehrere Personen dran beteiligt. Bislang spielt sich mein Leben in Köln zwischen Philharmonie, Staatenhaus und unserem Probenzentrum ab.
Wie ist mit der Oper – dort dirigieren Sie in zwei Wochen die Saisonpremiere mit Puccinis „Manon Lescaut“?
Die Proben laufen sehr gut, und ich bin so froh, dass ich dieses Stück, das Intendant Hein Mulders mir vorgeschlagen hat, genommen habe. Erst habe ich gedacht: warum nicht „Bohème“? Aber jetzt muss ich sagen: „Manon“ ist ein tolles Stück, unglaublich gut komponiert, es macht riesigen Spaß.
Im Grund will ich etwas ganz Einfaches: Ich will erreichen, dass wir gut aufeinander hören
Und das Staatenhaus? Das ist ja als Opernhaus nicht für jeden was.
Sagen wir es so: Ich bin von Natur aus ein dankbarer Mensch, froh darüber, Musik machen zu dürfen. Es ist vor allem mach- und denkbar, weil wir alle wissen: Es wird bald anders sein. Als Übergangslösung ist das Staatenhaus absolut okay. Ich bewundere allerdings die Sänger und Musiker, die das jetzt schon so lange durchhalten.
Und die Akustik?
Die ist halt, wie sie ist, da gibt es nichts schönzureden. Ich habe bei der ersten Sitzprobe gesagt: Dieser Raum hier hat sozusagen gar keine Akustik. Es kommt jetzt darauf an, dass wir durch den Klang, den wir mitbringen, unsere eigene Akustik hier schaffen. Das ist Herausforderung und Chance zugleich.
An diesem Sonntag dirigieren Sie im Abokonzert Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta sowie Brahms' zweite Sinfonie. Das sind zwei extrem gegensätzliche Werke, wenngleich sich kulturgeografisch über die k.u.k.-Connection Wien-Budapest auch Gemeinsamkeiten ergeben mögen. So oder so ist es eine spannungsgeladene Kombi. War das Ihre Idee?
Ja, war es. Brahms war für mich von Anfang an gesetzt. Ich hatte sogar an zwei Brahms-Sinfonien gedacht, dann aber doch den starken Kontrast gewählt. Brahms und Bartók, das habe ich auch schon einmal gemacht, die passen gut zueinander. Beide sind halt unglaublich schlaue Komponisten, keine reinen Emotionsmusiker, sondern solche, die alles super genau durchdenken. Da ist keine Note zu viel, es ist einfach perfekt – unabhängig davon, dass beide mit völlig unterschiedlichen Aussagen kommen. Der Bartók fordert das Orchester übrigens sehr, er ist wirklich schwer zu spielen. Das Publikum wird das vielleicht nicht merken, die Musik spricht es unmittelbar an – als eine Reise durch einen ganzen Kosmos, von Bach bis zur Volksmusik. Aber sie ist eben auch sehr komplex. Und es wird darauf ankommen, dieses rhythmische Element, über das wir im Zusammenhang im Orff gesprochen haben, zu intensivieren und weiterzutreiben. Bei Brahms dann – nach diesem lauten, aggressiven Bartók-Sound – genau das Gegenteil, für das ja gerade die Zweite steht. Da gibt es im ersten Satz kaum Stellen, wo er mal richtig aus sich rausgeht.
Das Gürzenich-Orchester hat einen romantischen Grundklang. Mit dem muss man als Dirigent klarkommen – man wird ihn zerstören, wenn man ihn grundständig verändern will. Trotzdem werden Sie, selbstredend, Ihre eigenen Akzente setzen wollen – sonst bräuchten Sie ja in Köln nicht anzutreten.
Im Grund will ich etwas ganz Einfaches: Ich will erreichen, dass wir gut aufeinander hören. Wenn man mit sehr viel Klang und laut spielt, dann verliert man diese Fähigkeit, das Kammermusikalische. Das hat für mich gerade bei Brahms – wir sprachen darüber – die höchste Priorität. Man muss etwas schlanker spielen und wenn da „piano“ steht, richtig piano, nicht mezzoforte. Man muss die Dinge so erzählen, wie sie wirklich sind – ohne Pathos.
Haben Sie Angst, dass das Orchester zu fett spielt?
Nein – weil ich das nicht erlaube. Ich habe in den Proben von Anfang an gesagt: Lasst uns das spielen, was da in der Partitur steht; nicht unbeteiligt, sondern aus der inneren Anverwandlung an diese innerliche Musik heraus.
Beschreiben Sie uns mit einem Satz Ihre Kölner Perspektiven.
Lassen Sie uns – Musiker, Dirigent, Publikum – als eine große künstlerische Familie ans Werk und gemeinsam auf eine Reise gehen.