Antje Pieper über 50 Jahre „auslandsjournal“„Ich verstehe, dass manche krisenmüde sind“

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Antje Pieper

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ZDF-Moderatorin Antje Pieper über Auslandsberichterstattung in Krisenzeiten und veränderte Arbeitsbedingungen durch Social Media.

Frau Pieper, wie gelingt es, die Vielfalt der Welt in 30 Minuten „auslandsjournal“ gerecht abzubilden?

Man kann die ganze Welt im Blick haben, muss aber immer wieder neu entscheiden, was davon Platz in der Sendung finden kann. Wir haben die Möglichkeit, uns intensiver und länger mit den Themen zu beschäftigen, als es die Nachrichten können. Wir bieten also häufig den Hintergrund zu den aktuellen Themen. Und wir wollen dabei auch nicht nur Trübsal blasen nach und nicht allein das zeigen, was auf der Welt schlecht läuft. Es tut gut, auch mal über Gelingendes zu berichten.

Haben Sie dennoch manchmal das Gefühl, dass es so viele Krisen gibt, dass die Menschen sich nicht mehr mit allen auseinandersetzen wollen?

Natürlich verstehe ich, dass manche krisenmüde sind. Aber ich merke auch: Wenn man Geschichten an Einzelschicksalen erzählt, ist die Bereitschaft da, das wahrzunehmen. Wenn man den Menschen nahekommt, kann man auch Krisen besser erklären. Wir wollen ja die Welt verstehen – und zwar nicht erst, wenn die Krise da ist, sondern schon vorher ein Gespür dafür entwickeln. Und wir schauen auch nach der Krise nochmal hin. Wir wollen nicht von einer Krise zur nächsten springen, sondern Entwicklungen aufzeigen.

Wir wollen nicht von einer Krise zur nächsten springen, sondern Entwicklungen aufzeigen
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Das „auslandsjournal“ gibt es seit 50 Jahren. War der Blick früher stärker auf Europa und die USA gerichtet?

Nein, wir haben immer schon auch in andere Weltregionen geschaut. Es geht uns darum, nicht nur Europa und Amerika im Blick zu haben, sondern eine Mischung an Themen aus aller Welt zu bieten. Wir wollen nicht eurozentristisch unterwegs sein, sondern nehmen auch Regionen wie die Sahelzone in den Fokus. Heute ist es eher so, dass wir manchmal sagen: Wir brauchen jetzt noch ein europäisches Thema.

Und hat sich an der Art, wie Sie auf die Länder blicken, etwas verändert? Früher haben wir doch aus Deutschland häufig auf das Ausland mit einer Haltung geblickt, die sagte: Wir erklären euch jetzt mal die Welt.

Wir haben uns für die Jubiläumsausgabe Beiträge von vor 50 Jahren angeschaut. Früher war es schon so, dass vor allem der Korrespondent und Regierende zu Wort kamen – und zum Beispiel sehr wenige Frauen. Heute ist die Sichtweise viel häufiger: Schaut mal, da funktioniert etwas, das bei uns nicht funktioniert. Dass die Korrespondenten vor Ort leben, verändert deren Weltsicht.

Man ist auf Augenhöhe?

Ja, es ist eben nicht so, dass die Korrespondenten mal kurz einfliegen und den Menschen vor Ort erklären, was sie in Agenturmeldungen gelesen haben. Sie versuchen, deren Positionen zu verstehen und wiederzugeben. Ich war in meiner Zeit als Korrespondentin in Rom auch für Griechenland zuständig. Da wurde mir dann oft die deutsche Haltung vorgeworfen, zugleich musste ich die griechische erklären. Man steht da zwischen den Stühlen – aber genau das ist die Aufgabe: Positionen erklären.

Es stimmt, man entdeckt keine unbekannten Welten mehr. Aber die Aufgabe, die Regionen in diesen Bilderfluten näherzubringen und alles geopolitisch zu verorten, ist geblieben
Antje Pieper

Wie sehr hat sich die Arbeit der Korrespondenten verändert durch Social Media? Heute sind Bilder von überall auf der Welt in Sekunden verfügbar.

Es stimmt, man entdeckt keine unbekannten Welten mehr. Aber die Aufgabe, die Regionen in diesen Bilderfluten näherzubringen und alles geopolitisch zu verorten, ist geblieben. Der Korrespondent muss die Bilder einordnen und die richtigen Geschichten finden, die exemplarisch für die großen Themen stehen.

Sie waren selbst Auslandskorrespondentin: Wann kann man sagen: Jetzt habe ich das Land verstanden? Oder muss man Beobachterin von außen bleiben?

Wir wechseln die Berichterstattungsorte nach einigen Jahren – niemand bleibt heute auf Lebzeiten irgendwo Korrespondent. Es geht eben darum, immer wieder einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Ich war über neun Jahre in Italien. Vielen Themen begegnet man dabei über die Jahre immer wieder – und sollte sich dabei immer wieder fragen: Habe ich es ganz verstanden? Muss ich noch mal einen anderen Blickwinkel dazu einnehmen? Aber klar: bei längerer Erfahrung im jeweiligen Berichterstattungsgebiet lassen sich manche Themen schneller einordnen.

Was Sie tun, ist öffentlich-rechtliches Kerngeschäft. Würden Sie sich manchmal wünschen, auch mal in der Primetime zu senden?

Nein. Wir sind erfolgreich und haben so viel Zuspruch wie lange nicht – auch bei jungen Zuschauer. Ich bin mit dem Sendeplatz sehr zufrieden. Und für uns ist es heute wichtiger, auf den digitalen Plattformen präsent zu sein. Wir denken da mittlerweile anders, verlängern etwa Beiträge für andere Ausspielwege oder produzieren Dokus, die in der ZDFmediathek und bei Youtube zu sehen sind.

Ist Auslandsberichterstattung in Zeiten zunehmender Abschottungstendenzen wichtiger denn je?

Ich finde sie besonders wichtig, um nicht nur die eine Perspektive zu haben. Allein kann Deutschland in all diesen globalen Krisen nichts ausrichten. Es geht nur in Zusammenarbeit mit anderen. Abschottung ist keine Lösung. Insofern bin ich mir sicher, dass die Menschen auch künftig nicht nur das interessiert, was vor ihrer Haustür passiert.


Antje Pieper (54) moderierte von 1991 bis 1994 die Kindersendung „Disney Club“ im Ersten, danach wechselte sie zum ZDF und präsentierte unter anderem die Nachrichtensendung „logo!“. Nach ihrem Studium arbeitet sie weiter fürs ZDF. Sie war von 2005 bis 2014 Leiterin des ZDF-Studios in Rom. Seit Juli 2014 moderiert sie das „auslandsjournal“.

Das wöchentliche Magazin des ZDF ist seit dem 5. Oktober 1973 auf Sendung. Am Mittwoch, 4. Oktober, 22.15 Uhr, gibt es die Jubiläumssendung. In einer „Langen Nacht“ folgen ab 0.45 Uhr die „auslandsjournal“-Dokumentationen „Weltenbummler, Welterklärer – 60 Jahre ZDF-Auslandskorrespondenten“ und „Deutschland und die Welt – 50 Jahre auslandsjournal“.

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