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„Arabella” an der Bonner OperOffensives Bekenntnis zum guten Geschmack

Lesezeit 4 Minuten

Kutsche mit Fiaker-Milli (Julia Bauer, Mitte) im zweiten Akt        

Bonn – Um es gleich vorweg zu sagen: Wer von der die Bonner Opernsaison eröffnenden „Arabella“ eine originelle Deutungsperspektive erwartet, interpretatorische Neuansätze, überhaupt eine deutlich formulierte „Stellungnahme“ der Inszenierung zu diesem letzten Gemeinschaftsprojekt von Strauss und Hofmannsthal – wer das tut, wird arg enttäuscht werden.

Tatsächlich nötigt des Schweizers Marco Arturo Marelli geradezu chuzpe-haftes Bekenntnis zum Justemilieu, zur Ästhetik des erlesenen Geschmacks, zum demonstrativen Verzicht auf alles, was ein Traditionspublikum an das böse Regie-Theater mit viel Müll und fettigen Haaren erinnern könnte, schon fast wieder Respekt ab.

Hier verweigert sich jemand, wie es scheint, mannhaft-reaktionär dem Zeitgeist und seinen intellektuellen Spitzfindigkeiten. Und der Schlussbeifall bei der Premiere auch für die Inszenierung zeigte, dass er damit offensichtlich ein Bedürfnis dieser Tage bedient.Sicher sind die Möglichkeiten begrenzt, „Arabella“ gegen den Strich zu bürsten, Subtexte zu entwickeln, modernisierende Effekte einzubauen. Und allemal stellt sich die Gefahr eines fantasielosen Aufgusses ein. Der von Haus aus fruchtbare Ansatz einer wechselseitigen Bespiegelung der Zeitebenen von Stück (Wien 1860), Entstehungszeit (am Vorabend der NS-Machtergreifung) und Gegenwart etwa: alles in der Inszenierungsgeschichte schon weidlich ausgenutzt und ausgewalzt.

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Desgleichen ist das Potenzial, welches das problematische Frauenbild und das skandalöse Verhältnis von Liebe und Geld, auch die Verflüssigung der Geschlechterzuschreibungen im Fall von Zdenkas/Zdenkos Hosenrolle für eine kritische Ausleuchtung bereithält, längst aktiviert. Wenn darob jemand das Werk „als solches“ (aber gibt es das?) hinstellen, es im Eins-zu-Eins-Format bebildern will, so mag dieser Antiquiertheit sogar eine unvermutete Lauterkeit zuwachsen.

Marelli also, der auch für Bühnenbild und Licht verantwortlich zeichnet, zieht in sämtlichen drei Akten über die Breite der Bühne eine asymmetrisch geschwungene, Assoziationen an herrschaftlichen Stuck und Marmor weckende klassizistische Rückwand, deren Trennwirkung freilich durch zahlreiche hohe Türen nahezu aufgehoben wird. Kammerspiel und große Szene, Privatheit und Öffentlichkeit werden durch dieses Türenmotiv, das zudem, choreografisch bequem, den geschmeidigen Ab- und Zustrom des Personals ermöglicht, dialektisch verschmolzen, gleichsam kurzgeschlossen.

Auch in Figurenkonzeption und Personenführung wie in der Kostümausstattung (Dagmar Niefind) bleibt alles hübsch am Platz: Der alte Waldner ist der beflissene Bankrotteur, Mandryka der finanziell potente slawonische Hinterwäldler und Fremdkörper auf dem glatten Parkett der Wiener Aristokratie, Arabella die verwöhnte Göre, die aber, wie es das Stück nahelegt, im Lauf der Handlung menschlich reift.

Keine Sex-Saturnalien im zweiten Akt

Der Gelegenheit, den zweiten Akt (die walzersatte Ballstrecke) in rustikale Sex-Saturnalien ausarten zu lassen (Tatjana Gürbaca nutzte sie in ihrer Düsseldorfer Inszenierung von 2015), versagt sich Marelli – wie hier die handfest-komischen Aspekte eh kaum ausgereizt werden. Zum Auftritt der halbseidenen Fiaker-Milli (immerhin als peitschenbewehrte Domina im Pink-Kleid) rollt eine ansehnliche Kutsche auf die Bühne.

Allenfalls im dritten Akt wird so etwas wie eine individuelle Regie-Handschrift erkennbar: Das blaue Licht realisiert ihn als märchennahe Traumszene, die an einen zentralen Satz des thematisch verwandten „Rosenkavalier“ erinnert: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein.“ Darüber gemahnt die Entrückung nachdrücklich daran, dass diese „lyrische Komödie“ eine nur mit Mühe verhinderte Tragödie ist.

Allemal lässt die Bühne Strauss’ großartig-berückende Musik atmen und leben. Dirk Kaftan am Pult des Beethoven Orchesters nutzt diese Räume weidlich aus: Aus dem Graben kommt eine teils satte, teils in ihrer nervösen Brillanz und Agilität, auch der kammermusikalischen Auffächerung des Instrumentalklangs nervenreizende Spätest-Romantik. Und die (von Strauss selbst verachteten) „schönen Stellen“ kommen mit suggestivem sinnlichem Appeal und einer der großen Phrase angemessenen Gelassenheit.

Den Gipfel besteigen die beiden Sopranistinnen

Auf diesen Boden setzen sich gute bis herausragende Vokalleistungen. Den Gipfel besteigen die beiden im Timbre angemessen verschiedenen Sopranistinnen Barbara Senator (Arabella) und Nikola Hillebrand (Zdenka). Die eine klingt reifer, gedeckter, die andere offener und jugendfrischer, aber beide warten mit strömend-differenziertem Wohllaut, mit unangestrengt-großem Ton, fabelhafter Höhe und schönem Sotto voce auf. Wahrhaft ein Fest der Strauss-Stimmen. Der Bariton Giorgos Kanaris gefällt als Mandryka mit würdiger Fülle, während es der Tenor Martin Koch als Matteo ein wenig an Raumfülle, Charakteristik und Durchsetzungskraft fehlen lässt. Julia Bauer als Fiaker-Milli zwitschert munter ihre Koloraturen, Martin Tzonev und Susanne Blattert bewähren sich als Ehepaar Waldner.

Weitere Aufführungen: 6., 20., 31. Oktober